Mittwoch, 12. Oktober 2011

David Icke und sein Streifzug durch esoterische Untiefen

Was erhält man, wenn man so ziemlich alle menschlichen Urängste und Alptraum-Inhalte durchmischt und in einem System phantastischer Verschwörungsthesen strukturiert? Keine Ahnung, aber so oder so ähnlich dürften die Bücher von David Icke entstanden sein.
Wenige Angehörige im Umfeld von Esoterik und Verschwörungstheorien polarisieren in gleichem Maße wie dieser Ex-Fussballprofi, Ex-BBC-Reporter sowie Ex-Mitglied der britischen Grünen.




David Icke, 2008

Der 'Verschwörungstheoretiker' David Icke (er nennt sich selbst so) berichtet von Illuminaten, Freimaurern und der von George W. Bush ins Leben gerufenen PNAC.  Bis hierhin erinnern seine Ausführungen an Gedankengänge des Hackers Karl Koch, dessen Leben im Film "23 - Nichts ist so wie es scheint" verfilmt wurden.

"Erwähne bloß nicht die Reptilien..."

Bisweilen gibt David Anlass zu einem verständnisvollen Schmunzeln. Er berichtet gerne von Einladungen in "seröse Talkshows", wobei deren Produzenten vor seinem Auftritt eine dringliche Bitte geäußert hätten: Er möge doch seine Thesen über eine geheime Weltverschwörung etc. ausbreiten - aber "bitte nicht das Zeug mit den Echsen". Denn das gehe eindeutig zu weit.
Ich stelle mir vor, wie jene Produzenten sich gewunden haben: als Quotenbringer eignet sich der Ex-Fußballer und Ex-Fernsehmoderator allemal, denn er hat eine ziemlich große Fangemeinde. Nur lässt er sich ausgesprochen schlecht steuern - was mir fast widerwilligen Respekt abnötigt.
Icke nimmt die Realität insoweit wahr, als er mit vollem Bewusstsein Spott und Gelächter auf sich zieht: Trotz aller Bitten und Warnungen spricht er offen von Lebewesen, die unter der Erdkruste leben, "reptiloiden Gestaltwandlern" an der Spitze von Politik und Gesellschaft, von Lemuria und Atlantis sowie der drohenden weltweiten Gehirnwäsche bis hin zu einer ‘realen Matrix’.


"Sumerische, pädophile Echsen-Faschisten"…

In Bezug auf einzelne Mutmaßungen wirkt Icke mitunter durchaus glaubwürdig auf mich, was mir eine Einschätzung seiner Person nicht gerade erleichtert. Seine Aussagen über die ‘große Verschwörung’ der sog. Shapeshifter aber sind sehr weit entfernt von dem, was mir auch nur im Ansatz vorstellbar erscheint. Diese Gestaltwandler seien seit mindesten 700 Jahren unsere Anführer und entstammten alle den gleichen Blutlinien. Sie seien durch Geistwesen einer anderen Dimension gesteuert, den eigentlichen Urhebern der großen “Weltverschwörung"...

In der Bibel, so Icke, werde erzählt, dass sich die Gottessöhne mit den Frauen der Menschen paarten (Genesis 6,1-4). Dies sei einer von vielen Hinweisen auf die sumerischen Blutlinien
 halb-göttlicher Herrscher (jedenfalls lässt sich die biblische Schöpfungsgeschichte z.T. auf ältere Schriften aus Sumer zurückführen). In Wahrheit handele es sich bei diesen Halbgöttern um außerirdische Wesen, die den damaligen Menschen technisch weit überlegen gewesen seien.
Nichtvorhandensein jeglicher Empathie (Mitgefühl) sei ein weiteres, über alle Generationen vererbtes, genetisches Merkmal dieser Gruppe.

Seit damals sei es diesen reptiloiden Aliens gelungen, jene hybriden Blutlinien (europäische Königshäuser, aber auch Familiendynastien wie die Bushs oder Rothschilds) zu besetzen, die bis heute die Anführer von Staaten und Konzernen stellten. D. Icke setzt noch eins drauf: Diese Menschen mit hybridem Genom sind nicht Herr ihrer selbst, wenn sie Machtpositionen (auch mit Hilfe der von ihnen gegründeten Geheimlogen und -orden) besetzen ...sondern sie werden wie Marionetten durch Geistwesen einer anderen Dimension kontrolliert, die auf diese Weise auch Kontrolle über den gesamten Planeten ausübten ...gewissermaßen per Fernsteuerung…


Immerhin dämmert mir allmählich, woher Rudi Berners Gedankengut (‘Auf ein Wort‘) stammen könnte - auch dem Buchautor und 'Ex-Magier' Berner vermag ich ein Stück seines gedanklichen Weges zu folgen – bis an die Stelle, wo auch er von der Unterwanderung der Menschheit durch Aliens (die bei ihm Anunnaki heißen) anfängt.

"Systematische Reduzierung der Weltbevölkerung"

Ickes Ausführungen zur ‘Matrix’ im Sinne einer holografischen Realität oder auch zur Manipulation durch multinationale Konzerne wirken dagegen beinahe plausibel. Diese Manipulation geht für ihn jedoch so weit, dass er von einer systematischen Vergiftung der Menschheit spricht, die schon im Säuglingsalter von wenigen Monaten beginne ...durch Impfungen, Geschmacksverstärker, Flour-Beimischungen in Zahnpasta und natürlich genetisch veränderte Nahrungspflanzen. Geplant sei sogar, allen Menschen einen RFID-Chip einzupflanzen, um sie zu überwachen. All dies habe den höheren Zweck, unser wahres, unendliches Bewusstsein zu unterdrücken, das weit über die Begrenzungen unseres Körpers hinausreiche.

Icke veranschaulicht seine Sichtweise durch einen Vergleich mit einem Fernseher, welcher potenziell viele verschiedene Programme ausstrahlen kann, auch wenn unsere Wahrnehmung auf einen kleinen Teil der gesamten Realität begrenzt ist.

“Der Körper ist nur ein Fahrzeug für unser Bewusstsein.” Wir selbst aber bestehen aus mehr als der wahrgenommenen körperlichen Identität. Innerhalb dieses Paradigmas leuchtet ein, dass jene multidimensionalen Herrscher uns um so leichter beherrschen können, wenn wir uns auf die physische Identität und deren Bedüfnisbefriedigung reduzieren lassen.
Auf groteske Nummern wie die Idee von menschliches Blut trinkenden Aliens (um die humanoide Gestalt zu erhalten) will ich erst gar nicht eingehen…

Einen recht guten Überblick über den Lebensweg von David und seine Buch für Buch gewachsenen Themenfelder gibt nachfolgendes Interview:


Was vermag ich selbst mit David Icke anzufangen?

Persönlichkeiten wie Icke oder David Wilcock erfassen möglicherweise Elemente (oder besser: Facetten) einer tieferen Wahrheit, die ich zwar nicht pauschal ablehne, zu der ich aber keinen eigenen Zugang habe - weder rational noch intuitiv. Sie scheitern m.E. aber in ihren Erklärungsversuchen und Interpretationen – vielleicht erliegen sie dem Drang nach fortgesetzter Aufmerksamkeit (weshalb sie meinen, sich in ihren Phantasien immer weiter steigern zu müssen?).

Warum ich nicht alles pauschal als Humbug abtue, was David Icke von sich gibt: 


Zunächst einmal: der Mann ist weder dumm noch 'verrückt' ...und gar nicht soo selten äußert er Gedanken, über die nachzudenken sich lohnt. Ein Beispiel:

"Wir sind nicht unser Körper; wir sind unendliches Bewusstsein, das mittels des Körpers eine Erfahrung durchläuft. 
Über unendlich ließe sich streiten, doch abgesehen davon stimme ich mit dieser Aussage überein.
Zweitens versuche ich dem Grundsatz 'Misstraue dem Offensichtlichen' zu folgen - und bin ich mir eines Umstandes bewusst: 
Eine Aussage muss nicht allein deshalb unwahr sein, weil sie das Maß des Vorstellbaren übersteigt ...dies zeigt sich sowohl in der Geschichte wissenschaftlichen Fortschritts als auch menschlicher Greueltaten. (Was Hitler und seine NS-Schergen der Menschheit antun würden, hätte vor 1933 kaum jemand für möglich erachtet, und doch wurden die durch ihn veranlassten Verbrechen und Genozide zum entsetzlichen Teil unserer Realität.)

Der Annahme Ickes, dass menschliches Denken vielfach nur in von außen vorgegebenen, wenngleich unerkannten Grenzen stattfinde, begegnen wir auch bei anerkannten Autoren – sie könnte sich einst sehr wohl als wahr erweisen. Zumindest in der Zukunft, denn die uns umgebenden, manipulativen Einflüsse nehmen eher zu als ab.


Andererseits ist kaum eine der Thesen des David Icke wirklich neu: Vieles wurde Jahrzehnte zuvor schon von Däniken, Sitchin und anderen ausgebreitet. Seine Behauptung, der gesamte Mond sei ein Wahrheit ein riesiges Alien-Raumschiff, kennt zumindest 
aus SciFi-Romanen wie denen von David Weber. Andere Mystery-Autoren wie 
Fred und Glenn Steckling ("Wir entdeckten außerirdische Basen auf dem Mond"mutmaßen in ihrer relativen Bescheidenheit nur, auf dem Mond befinde sich ein uraltes, abgestürztes Raumschiff.

Icke's Bezugnahme auf Matrix veranschaulicht sein Vorgehensschema:
"Wir leben in einem Virtual-Reality-Universum, wie es symbolhaft und sehr anschaulich in der Filmtrilogie „Matrix" dargestellt wurde, obgleich die Wirklichkeit noch weit darüber hinausgeht."
Kann es sein, dass David Icke seine mal esoterischen, mal unglaublichen Ideen von anderen aufgreift, neuartige Verbindungen zwischen den einzelnen Thesen zieht und das Resultat an empfängliche Teile einer Gesellschaft vermarktet, in der 'Ablenkungsthemen' so gefragt sind wie nie zuvor? 

Okay, mir selber könnte man nun entgegenhalten, dass ich auch nichts anderes tue, als fremde Ideen und Gedanken in mein eigenes Paradigma zu 'assimilieren' - wodurch jenes Paradigma ggf. erweitert werde (Akkomodation und Assimilation nach Piaget). Das stimmt vermutlich, aber mein Anspruch ist es, Zusammenhänge selber zu verstehen. Icke dagegen sieht sich als Vordenker - der seiner Leserschaft dazu verhilft, ihren "
Intellekt zu öffnen", damit sie sich "mit dem größeren Ich verbinden und auf Ebenen zugreifen, auf denen Verständnis, Erkenntnis und Gewahrwerden sich weiten" - und mit seinen Buchverkäufen nicht schlecht verdient. Bei David Icke finde ich 'von allen etwas', sei es 'Seth' (Jane Roberts), Petschers 'Holofeeling', Michael Talbot's holographisches Universum, Zecharia Sitchin/E.v.Däniken oder gar der alte Sigmund Freud. Sogar neurobiologische Erkenntnisse verarbeitet er:
"Die physische Welt, die Sie als außerhalb von sich wahrnehmen, existiert (in dieser Form) nur in Ihrem Gehirn. 
Klar. Schon wegen unserer begrenzten bzw. selektiven Sinneswahrnehmung (z.B. bestimmter Spektralbereiche des Lichts und eingeschränkter Schallfrquenzen) können wir die Außenwelt nicht so sehen/hören/fühlen/schmecken/ertasten, wie sie in ihrer Gesamtheit ist - von den Verarbeitungsprozessen ("Dekodiersysteme") des Gehirns ganz zu schweigen. Um dies einzusehen, muss aber niemand Texte von D.Icke lesen, denn dies wurde schon zu meiner Zeit in der 7. oder 8. Schulklasse vermittelt.
Spannender (aber ebenfalls nicht neu) ist da schon die Aussage:
"Das Buch, das Sie gerade betrachten, existiert in seiner scheinbar „physischen" Form nur in Ihrem Gehirn."
Will Icke uns damit sagen, die materielle Außenwelt existiere gar nicht, 'jedenfalls nicht so, wie wir sie wahrnehmen'?  Vermutlich, schließlich hat er nicht umsonst von virtueller Realität und Matrix angefangen. Der Intellekt sei gewissermaßen die Schnittstelle zwischen uns (=Bewusstsein) und dieser Illusion der Stofflichkeit "dort draußen".
"Der Intellekt nimmt die Wirklichkeit in Form von Getrenntheit, Struktur, Sprache, Hierarchie, Gesetzen, Zeit, Baum und Individualität wahr. Das ist seine Aufgabe - dem Bewusstsein die Erfahrung solcher Dinge zu ermöglichen."
Das Problem ist nur, dass die Menschen sich so vollständig mit dem Intellekt und dessen Wahrnehmungsweise identifizieren, dass sie glauben, sie seien ihre Erfahrung. Dadurch verliere sich die 'eigene' Kreativität und Einzigartigkeit in der universalen Software, die allen Computern gemein ist.

Bis hierhin mag das Gesagte strittig sein, aber nicht notwendigerweise falscher, irreführender Unfug. 
Doch dann: 
"Generation um Generation sind wir manipuliert worden, um [unsere Einzigartigkeit] zu vergessen, und zwar von dem Netzwerk der sich ausschließlich untereinander kreuzenden Familien, mit deren Enthüllung ich mich jetzt schon seit Jahren befasse."
Diese üblen Gestalten wissen nicht nur, "wie wir die Realität erschaffen"- ihr Ziel bestehe darin, uns im Intellekt fest- und vom Bewusstsein fernzuhalten. 
"In diesem Zustand werden wir als Masse kontrollierbar. Sie fixieren uns auf der Wahrnehmungsebene des Intellekt- Körper-Computers und programmieren gezielt die Wirklichkeitswahrnehmung des Computers, indem sie die uns erreichenden Informationen und elektrochemischen Einflüsse steuern."
Und damit ist David Icke in seinem Metier angekommen, der Projektion allen Übels auf einige wenige Verursacher - die stets 'die anderen' sind. Leider verwirren mich Widersprüchlichkeiten in diesen Aussagen: wen würden physisch existente Familien und deren Manipulationsversuche interessieren, sofern wir (unser Bewusstsein) uns doch in einer selbst erschaffenen Realität befänden?

Für seine Kritiker hat der Meister milden Spott übrig:
"Ich muss immer unwillkürlich lächeln, wenn ich Kommentare höre wie: 'Icke ist verrückt', als Reaktion auf Ansichten, die, was Verrücktheit angeht, nicht einmal in derselben Liga spielen wie diese Wirklichkeit. 'Icke ist über- geschnappt!' Ach ja? Denken Sie, das ist Luft, die Sie da gerade atmen?"
Ob eine andere Person 'ver-rückt' von einer pathologisch relevanten Störung betroffen sein könnte, vermag ich nicht zu beurteilen - schon gar nicht 'aus der Ferne', indem ich ihre Bücher lese.
Als unangenehm empfinde ich vielmehr: mir wird beim Lesen von Icke's Texten regelrecht schwindelig ...diese Nebenwirkung tritt ansonsten kaum auf, eigentlich gar nicht. Wie auch immer, allzu lange sollte man sich m.E. nicht in diese gedanklichen Abgründe begeben - selbst wenn ein kleiner Teil davon der Realität nahe kommen mag...

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