Donnerstag, 1. März 2012

Vollkommenes Glück – auf Dauer eine Illusion?

Es ist schon lange her, sehr lange sogar … doch ich erinnere mich gut ein einen Zustand absoluten, vollkommenen Glücks, einhergehend mit einer vollständigen Unbeschwertheit. In seiner uneingeschränkten Form habe ich diesen Zustand allerdings zuletzt in meiner Kindheit empfunden – und selbst damals handelte es sich kaum um eine stabile, dauerhafte Empfindung.

Eigentlich merkwürdig, denn Glückseligkeit ist etwas, wonach wir alle streben, auch wenn die individuellen Voraussetzungen dafür keineswegs gleich sind. Fragen wie ‘Wie kann ich glücklich werden?’ oder ‘Ist dauerhaftes Glück möglich?’ zeigen ein zentrales Bedürfnis (fast) aller Menschen auf.

Offensichtlich stehen wir uns selbst im Weg, was unser Glücksgefühle anbetrifft; unter anderem halten konkrete wie unbestimmte Zukunftsängste uns davon ab, rundum glücklich zu sein.

(Selbst wenn im eigenen Leben und im persönlichen Umfeld alles zum besten steht bzw. stünde, reicht mir persönlich ein kurzer Blick auf die vermutete Zukunft der Menschheit, um jedes aufkeimende Glücksgefühl auf einen sehr kurzen Zeitraum zu reduzieren:

Die Autorin Martina André zeichnet dieses Bild der Zukunft, das zwar fiktional ist, aus heutiger Sicht aber mit einiger Wahrscheinlichkeit real werden dürfte:’ Politische Ohnmacht sowie soziale Gegensätze münden in einen kollektiven Fatalismus, während  sämtliche Entscheidungen egoistischen Wirtschaftsmagnaten vorbehalten bleiben, die den Planeten ausbluten ließen und die Menschen nach Möglichkeit zu roboterhaften Arbeitssklaven degradieren, die sich mit platter Bedürfnisbefriedigung ruhig stellen lässt… Die verbliebene Erdbevölkerung ist kaum noch in der Lage, sich Manipulationen und lückenloser Überwachung zu zu entziehen… )

Manche haben die Suche nach dem glück in ihrem gegenwärtigen Leben beinahe aufgegeben und sich statt dessen auf das Glück im Jenseits versteift, getreu dem Motto ‘Im nächsten Leben wird alles anders’. Ob sie damit richtig leben, werden sie in einer fernen Zukunft vielleicht wissen. Auch wenn eine großer Teil aller Menschen glaubt, dass es dass es eine Welt hinter der Welt gibt, wird versucht, bereits in der Gegenwart oder wenigstens in einer diesseitigen Zukunft so glücklich wie möglich zu werden.

Wir stehen uns dabei allerdings ständig selbst im Weg, ohne uns über die Ursachen und tieferen Zusammenhänge im Klaren zu sein. Psychologen versuchen, die Gesetze des menschlichen Glücksempfindens zu durchschauen.

Des eigenen Glückes Schmied?

Dieses journalistische Mantra der Boulevardpresse scheint auch für die psychologische Erforschung der Gefühle zu gelten – zumindest könnte dieser Eindruck beim Durchblättern einschlägiger Lehrbücher und Fachzeitschriften entstehen.

Traumata, Stress, Angst und Depression werden unermüdlich erforscht, während angenehme Gefühle wie Glück und Freude eher ein Schattendasein in der Psychologie führen.
Erst in den letzten Jahren hat die so genannte positive Psychologie oder Wohlbefindens-Forschung  an Bedeutung gewonnen. Sie will ergründen, wozu angenehme Gefühle wie Glück, Zufriedenheit, Hoffnung usw. existieren wie sie entstehen.

Das bisher wichtigste Resultat dieser Forschungen der positiven Psychologie: Glücksgefühle halten nicht dauerhaft an, aber wir können etwas dazu beitragen, dass sie immer wieder neu auftreten. Diese Erkenntnis scheint sich jedoch noch nicht herumgesprochen zu haben. Mehrere  Umfragen haben ergeben, dass die meisten Menschen nämlich nicht davon ausgehen, ihr eigenes Glück wesentlich selbst gestalten zu können.

Glücksgefühle könnten kaum gezielt hervorgerufen werden und seien in erster Linie ein flüchtiges Geschenk des Schicksals oder ein günstiger Zufall –so der Tenor der Befragten. Damit tritt ein entscheidender Unterschied etwa zur Einschätzung der eigenen Lebensqualität zu Tage, die als recht gut steuerbar gilt. Tatsächlich scheinen Glückszustände oft ohne bewusste Anstrengung zu kommen und zu gehen.”

Infolge dieser Erfahrung unterschätzten viele, wie wichtig Glücksempfindungen für das Überleben und die erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Umwelt sein können. Emotion entstehe meist aufgrund äußerer Veränderungen und solle dem Organismus helfen, sich besser an eine bestimmte Situation anzupassen und auf sie zu reagieren – so die bisherige Lehrmeinung.
Allerdings reagieren wir Menschen emotional stärker auf ungünstige Änderungen als auf Positives, reagieren, deshalb stehen vor allem negative Gefühle wie Angst oder Ärger im Vordergrund. Schließlich entsteht Handlungsbedarf insbesondere dann, wenn sich die Lebensbedingungen verschlechtern.

Um so mehr benötigen wir auch nur positive Emotionen, um im Leben zurechtzukommen.
Neuere Emotionstheorien weisen zum Beispiel Freude und Heiterkeit wichtige Funktionen zu, sie besänftigen und beruhigen uns und ermöglichen so eine innere Balance und Ausgleich.
Die Biologie unterstützt diese These Annahme: Positive Emotionen und Glücksgefühle versetzen das vegetative Nervensystem, welches unbewusste Vorgänge wie Atmung, Verdauung oder Sexualfunktionen reguliert – kaum in Aufruhr, sondern veranlassen den Organismus zu einem ‘Energiesparmodus’.
Im Gegenzug verursachen anhaltende, einseitig negative Gefühle eine Art Dauerstress; sie reiben sie uns auf und schaden dem Organismus. Darin liege auch der tiefere Sinn von Feiern nach Beerdigungen – sie helfen den Trauernden, wieder in einen emotionalen Normalzustand zurück zu gelangen.

Positive Emotionen halten uns seelisch stabil und beugen damit auch psychischen Störungen vor. Das Konzept der ‘Salutogenese des israelischen Psychosomatikers Aaron Antonovsky fordert, eine Therapie solle primär das Gesunde in einem Patienten stärken sollte, anstatt nur die Krankheit zu bekämpfen.
Übertragen auf psychische Erkrankungen bedeutet dies, insbesondere die positiven Gefühle von Patienten zu fördern, anstatt nur negative oder krankhafte Empfindungen und Verhaltensäußerungen zu unterdrücken.

Wohlbefinden etwa bei Mahlzeiten, sexuellen Verhalten usw. stellen ein internes Belohnungssystem dar, welches dafür sorgt dafür, dass wir diese für unser Überleben und das unserer Spezies notwendigen Verhaltensweisen nicht vernachlässigen. Wir tun also uns (und damit auch anderen in unserer Nähe) Gutes, indem wir uns dieses Wohlbefinden in geeigneter Weise verschaffen.

Vielleicht schütze Glück (und die Erinnerung an positive Emotionen) sogar davor, Trägheits- und Unlustgefühlen auf Dauer nachzugeben:
Aus unseren früheren Erfahrungen wissen wir um die belohnenden Glücksempfindungen, die uns dann zuteil werden, wir uns aber dennoch anstrengen, höhere Ziele zu erreichen und weitere Erfahrungen zu sammeln und dabei Erfolg haben.

“Die Hoffnung auf emotionale Höhenflüge dürfte wohl zu der typisch menschlichen Eigenschaft beitragen, nie mit dem Erreichten zufrieden zu sein, sondern immer wieder zu versuchen, die persönliche Situation zu verbessern und sich weiterzuentwickeln.”

Auch unser Sozialverhalten profitiert offenbar von positiven Gefühlsregungen, denn andere Menschen sehen einem Glücklichen seine Empfindungen an und finden ihn dadurch unbewusst meist attraktiver. Eine positive Spirale, wenn auch nicht endlos: Persönliches Glück fördert Bekanntschaften und Kontakte, aber auch neue Partnerschaften:

Wie viele Liebesbeziehungen begannen mit einem Lächeln!

Entscheidend ist zunächst, dass Freude und andere positive Gefühle auch sogar die Gesundheit günstig beeinflussen – dies ist inzwischen erwiesen:  Lachen und gute Laune stärken das menschliche Immunsystems sowie den allgemeinen Gesundheitszustand und sie können sogar den Heilungsvorgang bei Krankheiten fördern.

So lässt sich zumindest im Ansatz verstehen, weshalb Menschen (und m.E. auch andere Säugetiere) im Laufe ihrer Evolution Glücksgefühle entwickelt haben  – das reicht aber noch lange nicht, um den Charakter dieser Emotion zu begreifen.

Wir wissen nicht genau, ob es verschiedene Arten von Glücksgefühlen gibt oder wovon genau ein vollständiges Wohlbefinden abhängt. Weshalb sind sind manche Menschen offenbar grundsätzlich glücklicher als andere?

Deutlich bewusst ist nur: entweder ist dieses Belohnungs- und Glückssystem ausgesprochen instabil – oder die Mehrzahl der Menschen hat sich ein Verhalten angeeignet, welches kaum mehr Anlass zur Selbstbelohnung bietet. Jedenfalls sehe ich an einem normalen Tag nicht viele Menschen, die mir den Eindruck vermitteln, mit ihrem Leben glücklich zu sein. Abwesenheit von Glück bedeutet jedoch nicht zwangsläufig das genaue Gegenteil, also Unglück. Weit häufiger sind wohl die Grautöne…

Immerhin eine Frage können Psychologen eindeutig mit Nein beantworten: Glück ist nicht einfach ein anderes Wort für Freude:

”Freude gehört zu den so genannten Primär-oder Basis-Emotionen des Menschen, Glück besteht dagegen aus einem Gefühlsgemisch. Daher sind Glücksgefühle auch keineswegs immer ein ungetrübtes Erlebnis.
Zwar ist Glücksempfinden in der Regel mit angenehmen Gefühlen verbunden, dennoch kann auch unter Schmerzen Glück entstehen, so bei Frauen direkt nach der Geburt. Sogar bei seelischem
Schmerz sind flüchtige Glücksgefühle möglich, etwa wenn Menschen in einer Konfliktsituation – wie einer ausweglos erscheinenden Ehekrise – einen neuen Weg einschlagen. Andererseits ist es auch möglich, bei einem an sich freudigen Anlass todunglücklich zu werden, etwa wenn es gilt, nach der Hochzeit das Elternhaus zu verlassen.”

 

Ursachen des Glücklichseins

In ihrem bereits mehrfach zitierten Artikel “Auf der Jagd nach dem Glück” beschreiben Uwe Hartmann, Udo Schneider und Hinderk M. Emrich ferner, dass Glücksgefühle in sehr unterschiedlichem Gewand auftreten können.
Von daher lässt sich auch die Frage, ob Geld und Wohlstand glücklich machen, nicht eindeutig für eine Vielzahl von Menschen gleichermaßen beantworten. Im Allgemeinen gilt hier, dass eine
günstige finanzielle Situation meist auch mit einem gewissen subjektiven Wohlbefinden einhergeht. Unter ‘wirklichem Glück’ verstehen die meisten Menschen aber etwas anderes; nicht wenige erinnern sich in Zeiten späten Wohlstands mit Wehmut an die glücklichen Zeiten ihrer Jugendjahre (wobei nicht vergessen werden sollte, dass die 'Erinnerung ‘Fallen stellt’ und lang Vergangenes verklärt).

Kaum jemand würde ernsthaft behaupten, dass Menschen in ärmeren Ländern grundsätzlich unglücklicher sind als die Einwohner reicher Nationen – vorausgesetzt, sie haben ein erträgliches Auskommen, sodass ihre Grundbedürfnisse befriedigt sind. An materiellen Wohlstand gewöhnt man sich leicht, die Ansprüche wachsen – selbst wenn sie wieder und wieder erfüllt werden können, ist dies selten gleichbedeutend mit vollkommenem Glück.

Als Bestimmungsfaktoren des Glücklichseins gelten so unterschiedliche Zielvorstellungen wie beispielsweise:

  • materieller Wohlstand und gesellschaftlicher Status
  • stabile soziale Beziehungen und feste Partnerschaft
  • Religiosität oder Übernehmen von Weltanschauungen

Zudem steigern manche Menschen ihr Glücksempfinden durch das ‘Hinauszögern’; andere bevorzugen einen schnellen, vollständigen Genuss, gleich in welcher Hinsicht. Dass es bis heute kaum möglich war, das Zustandekommen und die Beständigkeit von Glück wissenschaftlich zu analysieren, hat einen Grund:

“Ursache und Wirkung lassen unmöglich voneinander unterscheiden.”

Immerhin besitzen verschiedene Formen des Glückserlebens auch gemeinsame Eigenschaften. So sollen glückliche Menschen beispielsweise besonders empfänglich für Gefühle und sich für Eindrücke aus der Umgebung öffnen. Dadurch werde die Grenze zwischen dem eigenen Selbst und der Außenwelt etwas durchlässiger…

“Empfindungen der Nähe oder gar Einheit mit der Umwelt treten auf. Diese geistige Verbindung mit der Welt kann sinnlich oder auch erotisch getönt sein – Sexualität und Erotik versprechen ja gerade besondere Glückserfahrungen.”

Hmm…ich weiß nicht recht, die diese Eigenschaften glücklicher Menschen besitzen meines Erachtens eher ambivalenten Charakter: Wer sich seiner Umwelt und seinen Mitmenschen mehr öffnet und dadurch mehr von sich preisgibt als andere, wird dadurch auch verletzlicher. Dennoch leuchtet ein, dass ohne diese Offenheit nur schwer Glücksempfinden aus zwischenmenschlicher Begegnung zu gewinnen ist…

Dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, möglichst intensive Glücksgefühle zu erreichen, halte ich ebenfalls für naheliegend. Glückliche Menschen sind jene, die sich die meiste Zeit in ihrer Haut wohl fühlen und nur selten unter unangenehmen Empfindungen leiden. Eher unglücklich ist, wer ständig nach höchster Ekstase sucht – persönliches Glück hängt also auch von der eigenen Erwartungshaltung ab.
Diese emotionale Grundeinstellung lasse sich jedoch kaum willentlich beeinflussen, denn sie sei tief ist sie in der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur eingegraben.

Daraus folgt dann aber auch, dass wir zwar einiges für unser Glück tun können, aber nicht dessen Herr sind.

Die neurologischen und physiologischen Mechanismen, körpereigene Botenstoffe und viele sonstige Einflussfaktoren werden im o.a. Artikel eingehend erörtert, auch kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass die ‘Fähigkeit zum Glücklichsein’ auch in unseren Genen begründet ist.
Auch die spirituelle Suche als potenziell ganz wesentlicher Bestandteil persönlichen Glücks wird eingehend betrachtet. Wer für sich eine persönliche Antwort auf die Frage nach Gott und der Unendlichkeit des Lebens gefunden hat, lebt meist angstfreier und nicht selten auch glücklicher.

Entscheidend bei der Fahndung nach allgemeinen Merkmalen von Glück scheint mir jedoch eine Erkenntnis zu sein:

Tiefe, befriedigende Glücksgefühle entstehen, wenn Menschen sich konzentriert und erfolgreich mit einer anspruchsvollen Aufgabe beschäftigen.

Der ungarisch-amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi prägte für diesen Zustand den Begriff ‘Flow’ oder optimale Erfahrung: Wenn wir sehr in eine anspruchsvolle Tätigkeit vertieft sind, absorbiert sie uns völlig und wir vergessen uns selbst und die Welt um uns herum. Dies sei vor allem bei kreativer Arbeit der Fall – etwa beim Schreiben eines Romans, beim Malen eines
Bildes, aber auch beim Spielen. Wir gehen förmlich in einer solchen Tätigkeit auf.

Ein glücklicher Mensch ist demnach, wem es gelingt sich einer Lebensaufgabe oder Berufung dauerhaft zu widmen, durch die er diesen Zustand möglichst häufig und intensiv erreicht. Wer dazu noch mit einen geliebten Partner durchs Leben geht, einigermaßen gesund ist, ‘hat wirklich Glück’.

Wer Glück will muss erwerben, was ihm kein Schicksalsschlag entreißen kann.
- Aurelius Augustinus-

Wir sind auf Erden um das Glück zu suchen, nicht um es zu finden.
- Sidonie-Gabrielle Colette -

 

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