Donnerstag, 26. April 2012

Leben nach dem Leben – was bleibt vom Bewusstsein?

Allein die Suche nach einer geeigneten Definition und Beschreibung von Bewusstsein ("… die erlebbare Existenz mentaler Zustände und Prozesse") fühlt reihenweise kontroverse Bücher – die (für mich) zentralen Fragen lauten indessen:
  • Existiert ein Selbst (-Bewusstsein) unabhängig vom Gehirn?
  • Inwieweit bleibt unser Bewusstsein nach dem physiologischen Tod erhalten?
Mögliche Antworten auf beide Fragen könnten die Erforschung so genannter Nahtod-Erfahrungen (NTE) liefern, d.h. berichtete Wahrnehmungen und Beobachtungen von Personen, die für kurze Zeit klinisch tot waren und dann wiederbelebt wurden.
Eine häufige Gemeinsamkeit von Nahtod-Erfahrungen ist die ‘Entkörperlichung’, d.h. den Eindruck, aus dem eigenen Körper heraustreten, über ihm zu schweben und sich selbst sowie die Anwesenden zu beobachten.
Vergleicht man die Untersuchungsergebnisse, Analysen und Interpretationen zu solchen Berichten, dann wird eines sehr deutlich: Die Wahrheit liegt wie so oft im Auge des Betrachters.

Naturalisten, für die ein bewusstes Selbst ohne Körper nicht in Frage kommt, bemühen stets neurologisch plausible, nüchterne Erklärungsmuster für NTE. Die Mehrzahl der Hirnforscher spricht von mangelnder Sauerstoffversorgung des Gehirns:
Bei Nahtodvisionen handele es sich um biochemische Reaktionen des Gehirns auf den bevorstehenden Tod – das Gehirn reagiere mit Hormonausschüttungen und löse so ‘natürlich’ Halluzinationen aus.
Allgemein seien diese visuellen Trugbilder auf die Verstärkung bzw. Störungen von Hirnfunktionen zurück zu führen.

Tatsächlich lassen sich außerkörperliche Erfahrungen durch künstliche Stimulation des Gehirns ebenfalls herbeiführen – damit seien sie durch bekannte chemische Vorgänge zu erklären. Sind die Nahtoderlebnisse also reine Körperfunktionen, die nur solange stattfinden können, wie das Gehirn eine Restfunktion hat?
Zumindest ist Vorsicht angebracht: augenscheinlich gibt es solche und ‘solche’ NTE. Handelt es sich um irreale Bilder, werden diese später durch die Betroffenen gewöhnlich auch als solche erkannt.-


Für Anhänger einer transzendentalen, meist spirituell angelegten Sichtweise sind die NTE dagegen ein mehr als deutlicher Hinweis auf ein Überleben der vom Körper losgelösten Seele.

Tatsächlich wurden Erfahrungen berichtet, die einen sinnvollen, konkreten Bezug zur Realität aufweisen - etwa dann, wenn Erinnerungen an die Zeit der Bewusstlosigkeit mit dem realen (z.B. von Ärzten oder Sanitätern bestätigten) Geschehen übereinstimmen.
Hier lassen sich manche Besonderheiten nicht ohne weiteres rein physiologisch begründen:


Wenn das Bewusstsein ‘nur im Gehirn sitzt’, wie war es dann möglich, dass von Geburt an blinde Menschen während eines NTE plötzlich sehen konnten – und präzise Beschreibungen vom Geschehen um sie herum lieferten? Während ihres gesamten Lebens blinde Menschen waren in der Lage, nach einem Verkehrsunfall im Zustand tiefer Bewusstlosigkeit die Menschen um sie herum zu sehen und später genau zu beschreiben.


Der Heidelberger Psychiater und Neurologe Michael Schröter-Kunhardt vertritt beide Positionen: Einerseits bestätigt er die neurobiologischen Prozesse im Gehirn. Seiner Auffassung nach liegt darin kein Widerspruch zur Transzendenz-Vermutung: das im Gehirn verankerte Programm habe einen tieferen Sinn und vermittle eine vorbereitende Botschaft (‘eine Software, die uns auf das Leben nach dem Tod vorbereitet’):
Wenn ich sterbe, verlasse ich meinen Körper, und meine Seele geht in eine andere Welt."
“Wenn das Gehirn so exakte Daten liefere, dann sei dies ein Indiz dafür, dass irgendein Element des menschlichen Geistes nicht an Zeit und Raum gebunden und daher imstande sei, außersinnliche Wahrnehmungen zu machen…”.
(Zitat des Neurologen Schröter-Kunhardt bei Volker J. Beckers)
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass NTE keinesfalls nur auf einen bestimmten Kulturkreis oder Angehörige einer Religion beschränkt sind. Zwar sind die berichteten Erlebnisse je nach Kultur und Religion unterschiedlich ausgestaltet, doch lassen sich charakteristische Erfahrungsmustern festhalten. Sie bestehen…
“…unabhängig von Geschlecht, Alter und kultureller Zugehörigkeit in allen Kulturen und Religionen aus den gleichen Grundelementen: dem Entschweben aus dem Körper, dem Tunnelerlebnis, dem Lebensfilm, dem Glücksgefühl und dem Eintritt in eine andere Welt. Ihr Auftreten und die außersinnlichen Wahrnehmungen dabei sieht er als Verweis auf eine Existenz außerhalb von Raum und Zeit.”(vgl. WELT online)

Schröter-Kunhardt stellt klar, dass Sauerstoffmangel alleine keine hinreichende Erklärung für NTE bietet. Denn beim ‘Blackout’ müssten die Neuronen im Gehirn ein ‘wildes Durcheinander’ von Signalen produzieren. Doch die NTE –Berichte zeugten eher von einer besonders komplexen Leistung des Gehirn (und keinesfalls um ein paar zufällige neuronale Impulse. Daraus lasse sich auf das Weiterleben nach dem Tode schließen, dann andernfalls wäre dieses Programm sinnlos.
Außerdem habe sich manche NTE bei Personen ereignet, deren Gehirn nachweislich nicht unter Sauerstoffmangel litt.


Dass das Gehirn ausgerechnet zum Todeszeitpunkt ein Programm starte, lässt sich auch nicht als evolutionsbedingt erworbener Mechanismus einordnen:
Der Zweck eines solchen Programms dürfte in einer psychischen Erleichterung liegen, vermuten Ärzte. Gut möglich, aber ein Evolutionsvorteil entsteht dadurch jedenfalls nicht. Schließlich dient die Evolution der Sicherung und Weitergabe von Überlebensvorteilen – die Arterhaltung ist beim Sterbevorgang jedoch auszuschließen.

Allerdings ist Zurückhaltung gegenüber pauschalen Interpretationen wie ‘Besuch im Himmel’ (oder der Hölle) angebracht:
  • Es hängt offensichtlich von bestimmten Faktoren ab, ob es überhaupt zu einer NTE kommt. Nur ein Drittel der Betroffenen berichtet von ihnen. Für die Gefühle der Glückseligkeit und Ruhe wird die körpereigene Opiatausschüttung bei starken Verletzungen und Schmerzzuständen verantwortlich gemacht.
  • Wo Erinnerungen im Zeitraffer vor dem inneren Auge ablaufen, ordnen Hirnforscher diese bestimmten Gehirnregionen zu, die zeitweilig über-erregt sind.
  • Ca. 10 Prozent der Wiederbelebten haben keine positiven Erfahrungen durchlebt, sondern die reinsten Höllenvisionen.
Vorläufiges Fazit von Volker Becker (“Am 8. Tag schuf Gott den Zweifel.”) :
Das Gehirn ist nicht der Produzent, sondern der Empfänger des Bewusstseins. Unser Gehirn gleicht einem Fernseher, der ein Bild erzeugt. Dieses Bild ist das Bewusstsein.
Der Fernseher empfängt das Bild von einem externen Sender. Das Bild (=Bewusstsein) entsteht also außerhalb des Gerätes (=Gehirn) und kann auch unabhängig von diesem existieren. Wird der Fernseher ausgeschaltet (=Hirntod), erlischt das Bild auf diesem Schirm, aber die Bildinformation existiert weiter.


Was dieses Bewusstsein nach Eintritt des Hirntods noch (ohne Zugang zu körperlichen Sinnesorganen) wahrnimmt, bleibt unklar. Unsere Erinnerungen vielleicht?
Ebenso können wir uns gegenwärtig kaum eine Vorstellung davon machen, wo (‘in welcher Welt’) dieses Bewusstsein weiter existiert. Aus Sicht der Reinkarnationslehre ließe sich weiter spekulieren, dass dieses Bewusstsein in erneut wiederverkörpert werde (d.h. in den Körper eines Neugeborenen eintrete). Spätestens hier ist die Schwelle zum Glauben überschritten, der sich zwar in persönlich-subjektiver Gewissheit, aber eben nicht durch gesichertes Wissen erweisen kann.


  • Somit bleiben auch in naher Zukunft nur zwei Alternativen: Entweder endet mit dem Tod alles – dann bekommen wir davon nichts mehr mit – also leiden wir unter diesem Zustand sicher nicht (besonders begeistern vermag mich diese Vorstellung dennoch nicht).
  • Oder es existiert eine transzendente (jenseitige) Welt, zu der wir während unseres körperlichen Lebens keinen (bewussten) Zugang haben. Aussagen über ihre Beschaffenheit sind daher nicht möglich – jedenfalls nicht aus wissenschaftlicher Sicht:
“Da für uns nur real ist, was unser Bewusstsein wahrnimmt, ist diese Welt für unser Bewusstsein in dieser Raumzeit irreal.”
Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Gedankengang schlüssig ist – denkbar ist auch, dass – sofern mehr als vier raumzeitliche Dimensionen existieren sollten – unser ‘reales’ Diesseits ein Teil einer mehrdimensionalen Welt ist. Das ‘Jenseits’ wäre somit in einer höheren Dimension. (Wir erinnern uns an “Dr. Quantum in Flachland” – einer zweidimensionalen Welt mit zweidimensionalen ‘Flachländern’, die sich eine dritte Dimension (Höhe/Tiefe) nicht vorstellen können…)
Unser Nachteil gegenüber den ‘Flachländern’ liegt darin, dass es für uns keine weitere unerschlossene Raumdimension gibt. Folglich dürfte eine 5. Dimension gänzlich anders beschaffen sein als jene, die wir kennen. Deshalb tun wir uns recht schwer mit derartigen Vorstellungen. Basisinfos finden sich z.B. bei Prof. Lesch (‘Wieviele Dimensionen hat das Universum?’).

Siehe auch:


Nahtod - Erfahrung: Der Sonderfall Pam Reynolds

"Pam Reynolds, eine junge amerikanische Lehrerin, hatte ein Aneurysma in ihrem Gehirn. Das große Blutgerinsel lag so tief, dass man mit herkömmlichen chirurgischen Methoden nicht herankommen konnte.”
In höchster Lebensgefahr entschloss sie sich, einem Chirurgenteam zu vertrauen, das Pionierarbeit auf dem Gebiet eines waghalsigen chirurgischen Verfahrens geleistet hatte, dem so genannten „hypothermischen Herzstillstand". Bei einem solchen Eingriff wird die Körpertemperatur auf 15,5 Grad Celsius gesenkt. Herzschlag und Atmung kommen zum Stillstand. Das Blut fließt aus dem Kopf ab, die Gehirnwellen sinken auf einen Nullzustand. Der Patient wird also klinisch in einen tod-ähnlichen Zustand versetzt, bevor der Eingriff beginnt.

Aus medizinischer Sicht ist auszuschließen, dass der/die Patientin den Eingriff bewusst miterlebt (dies soll durch die Narkose schließlich unterbunden werden, zudem besteht keine messbare Gehirnaktivität).
Als der operierende Arzt mit einer feinen Stabsäge Pam Reynolds Schädeldecke durchbohrte, ahnte er nicht, dass er dabei beobachtet wurde: Die Patientin hatte nämlich - was erst nach der Operation herauskam - ihren Körper verlassen und sich als ein gestaltloses Etwas auf der Schulter des Chirurgen niedergelassen. Von dort aus schaute sie ihm bei seiner Arbeit zu.
Verrückt? Esoterischer Quatsch? So sieht es aus. Aber wir erfuhren von der Sache durch ein „BBC-Special" […]. Als die Operation erfolgreich beendet und die Patientin sozusagen ins Leben zurückgeholt worden war, erzählte Pam Reynolds ihrem Chirurgen, dass sie während der Operation „mit einem Pop" ihren Körper verlassen habe und zunächst über dem Operationstisch geschwebt sei.”
Sie habe dem Operateur über die Schulter geschaut und beispielsweise gesehen, wie ein dieser „mit einer Säge, die wie eine elektrische Zahnbürste aussah" ihre Schädeldecke öffnete. Die Knochensäge sah genau wie eine elektrische Zahnbürste aus…
Pam Reynolds schilderte den Operationsverlauf in vielen Einzelheiten. Während Monitore die vollständige Leblosigkeit ihres Organismus anzeigten, hörte sie die Worte der Ärzte und Schwestern während der Operation. Und sie konnte diese Dialoge später wörtlich wiedergeben (vgl. Artikel über Pam Reynolds auf sterbeforschung.de).

Spekulativen Folgerungen ("Der Tod ist eine Illusion.", "Der Tod ist erst der Anfang." usw.) stehe ich dennoch distanziert gegenüber. Diese und ähnliche Annahmen über ein Leben nach dem Tod lassen sich aus der Vielzahl glaubhafter NTE-Berichte weder herleiten noch beweisen.
Mrs. Reynolds und andere Betroffene waren eben nicht tot - wenn wir Tod als irreversiblen Prozess definieren: sie wären gestorben, falls die OP missglückt oder eine Wiederbelebung misslungen wäre. Diese beiden Zustände sind meiner Ansicht nach nicht gleichzusetzen.

Es mag uns nicht gefallen, aber: Die Ungewissheit bleibt. 

Film: ‘Leben nach dem Leben’, Teil 1


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