Sonntag, 22. April 2012

Ist unsere Demokratie optimierbar?

Deutsche Spitzenpolitiker charakterisieren die parlamentarische Demokratie sinngemäß mit Worten wie 
”…nicht perfekt, aber ist das beste, was wir haben. Eines dürfen Sie nicht vergessen: Parteien sind kein fernes Konstrukt, sondern Ihre Chance, sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen.” 
Alles ist gut, so wie es jetzt ist?  Was hätte es dann mit der Politik(er)verdrossenheit auf sich?
  • Heinrich Mann bezeichnete Demokratie als die “Anerkennung, dass wir, sozial genommen, alle füreinander verantwortlich sind.
  • Der französische Politiker Georges Clemenceau nannte sie “die Kunst, sich selbst im Zaum zu halten, damit man nicht von den anderen im Zaum gehalten werden muss.“
  • Und Winston Churchill sprach von der  “Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.“
Diese Herren werden unter anderem eines erkannt haben: Loyalität und Integrität funktionieren nun mal nicht als Einbahnstraße, Rechtsstaatlichkeit betrifft und zunehmende Distanz zwischen Regierung und Regierten ist kein zwangsläufiges Attribut einer “lebendigen Demokratie”.
Wie wäre es mit einer Runde Bullshit-Bingo?
Mit den Wortlisten ‘Politik I’ und II dauert es wirklich lange, wenn im TV gerade der Guido, die Renate oder der gute alte Gerhard zu Wort kommen…
Lebendig? Oder fast scheintot? Bislang wurde allenfalls darüber diskutiert, wie sich die wachsende Kluft zwischen den Politikmachern und dem ‘Rest’ überbrücken ließe.
Wer an der Spitze des Staates oder eines Bundeslandes steht, unterliegt so mancher Verführung: Allzu leicht wird - abgesehen von der kurzfristigen Aussagekraft von Umfrageergebnissen - ignoriert, wie es um das notwendige Vertrauen in die Regierenden bestellt ist…

Dabei habe ich den Eindruck, dass unsere Handhabung von Demokratie in hohem Maße vom Eintreffen glücklicher Umstände abhängt: Es ist ein großes Glück, wenn die am besten geeigneten Personen genau die Verantwortung für das Ressort übernehmen, wofür sie qualifiziert sind. Dazu zählt nicht zuletzt das verantwortungsvolle Abwägen von Interessen der Allgemeinheit gegenüber den eigenen.
Kann es sein, dass unser Glück merklich nachlässt…?

Entscheidungen von großer Tragweite für viele Menschen sollten meiner Auffassung nach von einem Gremium aus Fachkundigen und Experten getroffen oder wenigstens vorbereitet werden. ‘Das Volk’ als einheitlichen Entscheidungsträger gibt es ohnehin nicht, es sind immer Individuen, die sich entscheiden. 

Wer das politische Handeln eines Staates, eines Bundeslandes oder einer Kommune vorgibt, sollte sich charakterlich dazu eignen und die notwendige fachliche Qualifikation besitzen – beide Faktoren sind gleich wichtig und können einander nicht kompensieren (Knowhow ist kein Garant für Integrität und umgekehrt).

Dass Regierungsmitglieder beide Kriterien erfüllen, kommt vor – eine zwangsläufige Konstellation ist das jedoch nicht. Vereinzelt (?) scheint es sogar vorzukommen, dass im weder die fachliche noch die charakterliche Eignung gegeben ist.
Die ‘gesunde Menschenkenntnis der Mehrheit’ (gibt es so etwas?) kommt bei der Besetzung von Ämtern und Ressorts nicht zum Einsatz – in Deutschland finden im wesentlichen keine Direkt-, sondern Listenwahlen statt. Über die Besetzung der Listen samt Reihenfolge entscheiden parteiinterne Organe anhand pragmatischer Notwendigkeiten.
Darf man ausgehend von der gängigen Vergabepraxis für öffentliche Ämter erwarten, dass die richtigen Leute an der jeweils richtigen Stelle eingesetzt sind? Oder ist es eher so, dass die Persönlichkeiten politischen Einfluss ‘gewinnen’, die sich gut verkaufen können und sich medienwirksam zu inszenieren verstehen?
Kann es sein, dass ein guter Innenminister (Hypothese) ein noch besserer Finanzminister ist? Wer betont, in höheren Regierungsebenen seien primär Managerqualitäten gefordert, muss sich fragen, wie viele erfahrene Manager denn in den Regierungen vorzufinden sind?
Die Kernfrage lautet also: Inwieweit ist dieses Gestaltungselement unserer Demokratie ein Garant dafür, dass dieses Land in bestmöglicher Weise geführt wird?
Gegenwärtig delegieren ‘wir’ politische Aufgaben an einen bestimmten Personenkreis (die politischen Parteien). Auf deren Personalauswahl müssen wir uns notgedrungen verlassen.Jene Auserwählten können sich allenfalls in einen winzigen Ausschnitt dessen einarbeiten, worüber sie auf Bundes- und Landesebene mit zu befinden haben.
Das ist den Abgeordneten auch klar; deshalb bilden die Parlamente Fachausschüsse und veranstalten Expertenanhörungen. Auf dieser Ebene mag das momentane System recht gut funktionieren – doch wird die Stoßrichtung der Politik von wenigen Verantwortlichen in Führungspositionen abgesteckt – im Bund etwa durch den/die Bundeskanzler/in und den Ministern.

Integrität und Kompetenz bei Politikern?

Gerade auf Ministerebene erleben wir wieder und wieder, wie ein Mangel an persönlicher Eignung in Verbindung mit Profilierungs- und anderen ‘Nöten’ zu mangelhaften Resultaten führt. Dies ist teilweise dem System geschuldet: in einer 4-jährigen Legislaturperiode fehlt die Zeit, sich erforderliche Skills und Wissenselemente nach einem Machtwechsel erst noch zu erarbeiten. (Gerhard Schröder räumte etwa ein halbes Jahr nach seinem ersten Regierungsantritt umfangreiche ‘handwerkliche Fehler’ ein.)
Worauf will ich hinaus: Besteht die Veranlassung, die gegenwärtige Form der Besetzung von politischen Ämtern zu optimieren? Zumindest lohnt es sich, über Alternativen nachzudenken.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: ich stelle nicht das parlamentarische System als solches infrage, sondern Elemente seiner Handhabung. Unsere geschichtliche Erfahrung zeigt, dass folgende Vorbedingungen und Voraussetzungen unabdingbar sind:
  • Wahrung von Stabilität und Gewaltenteilung: wenn wir die besten Kandidaten für politische Ämter anders auswählen wie bisher, darf dadurch nicht das Risiko von totalitären Strukturen, Machtkonzentration und -missbrauch, Rechtsbeugung oder Unterdrückung wachsen.
  • Die Grundrechte sind unveränderlich (im Idealfall sind sie so widerherzustellen, wie die Väter des Grundgesetzes dies beabsichtigt hatten).
Dass die Regierenden sich gegenüber den Volksvertretungen zu verantworten haben, ist für mich mehr als ein Formalismus: selbiges Volk muss sich vertreten fühlen und wahrnehmen, dass seine Belange gewahrt werden.
Die Natur dieser Vorbedingungen schließt ein radikales Umkrempeln bestehender Entscheidungswege und  -strukturen aus.
Wäre es dennoch möglich, die Minister, Staatssekretäre usw. primär nach Kompetenz, Eignung und Qualifikation zu besetzen? Beim Kanzler wird’s schwierig – er wird vom Bundestag wer sollte so eine Auswahl vornehmen?
Dies halte ich zumindest für möglich – Einstellungstests und Bonitätsprüfungen für Spitzenpositionen sind in der Privatwirtschaft heute selbstverständlich. Starre mathematische ‘Einstellungskriterien (IQ, EQ oder eine Abschlußnote) sind ungeeignet.
Statt werden zunächst K.O.-Kriterien abgecheckt und nach dieser Vorauswahl finden Assessment Center (möglichst über mehrere) Tage statt – nach meiner Erfahrung werden dabei die besten Einstellungsentscheidungen getroffen. Weshalb sollte ein vergleichbares Verfahren nicht auch in der Politik eingeführt werden?

Haben der Bundestag und die Länderparlamente ein Interesse daran, jeglichem Dilettantismus vorzubeugen? Falls dem so ist, könnten die Parlamente beispielsweise Kriterienkataloge definieren und ein Auswahlgremium mit einer fachlichen Vorauswahl beauftragen. Hier sollten m.E. in sachgerechter Weise auch wirtschaftliche Bonität und ein einwandfreies Führungszeugnis Berücksichtigung finden. Ein letzter Entscheidungsvorbehalt der Volksvertreter denkbar, doch als Belohnungsgeschenk für engagierte Wahlkämpfer sollte keine politische Funktion missbraucht werden dürfen.
Dass der Bundeskanzler sich ein Kabinett ‘aussucht’ ist für mich ebenso ein Unding als das Verschachern der Ministerposten in Koalitionsverhandlungen.


Gerhard Zeitler hat sich hier mit möglichen Inhalten von Eignungstests für Politiker. Er stellt sinnvolle Kriterien vor nennt “Testfragen zur sozialen und ökologischen Kompetenz von politisch Verantwortlichen”. Daneben findet er deutliche Worte:
“Die zunehmende Wahlenthaltung ist ein alarmierendes Anzeichen für den Niedergang unserer demokratischen Kultur und die Gefährdung unseres Gemeinwesens. Weil von keiner politischen Partei überzeugende Lösungen für die soziale und ökologische Krise angeboten werden, breitet sich politische Lethargie aus, und die Hoffnung auf eine selbstbestimmte Zukunft schwindet.
Es gelte klarzustellen, dass die Krise eine Folge des Eigennutzes und der Indoktrination einer Minderheit sei. Für Zeitler steht ökonomische und ökologische Kompetenz im Vordergrund – angesichts der momentanen Zustände mehr als verständlich.
Ebenso wichtig sind m.E. jedoch die ressortspezifischen und charakterlichen Voraussetzungen für jeden, der ein große politische Verantwortung übernehmen will.

Keine Elite der Genies

Ich verwende bei meiner Überlegung ausdrücklich keine Begriffe wie ‘Geniokratie’ – denn so genannte Genies haben nicht selten persönliche Defizite; manche von ihnen sind eher ‘inselbegabt’. Von der ‘Herrschaft der Klügeren’ ist es nicht allzu weit bis zum „Führerprinzip“.
Insoweit ist jegliche auf Elitenbildung angelegte Ideologie ist verzichtbar – allerdings befördern Parteibuch-Karrierismus und Medienpräsenz ohne fachliche Auswahl kaum gute Personalauswahl. Aber ‘Eignung’ sollte man erwarten dürfen.

Es leuchtet ein, dass es nur nach fachlichen Kriterien ausgewählte Idealisten schwer fiele, in der politischen Arena zu bestehen. Vermutlich würden sie von den Kennern des Systems so lange vorgeführt und ausmanövriert, bis sie entnervt und desillusioniert ihren Hut nähmen.
Haben wie etwas vergleichbares nicht bei Horst Köhler und anderen erlebt?

Dieser Gedankengang ist noch nicht bis zuende gedacht; ein konzeptioneller Ansatz fehlt ganz und ich habe auch nicht verraten, wie denn die genannten Vorbedingungen erfüllt werden könnten.
Zunächst wäre zu prüfen, ob eine Modifikation unseres ‘Systems’ dahingehend zweckmäßig wäre, dass Eignung und Qualifikation maßgeblich für die Besetzung politischer Verantwortlichkeiten werden – anstatt Parteizugehörigkeit oder gute Kontakte zu Interessengruppen bzw. deren Vertretern. Die Frage der Machbarkeit solcher Korrekturen ist zu prüfen, darf aber nicht instrumentalisiert werden.-

Verantwortung tragen nicht nur die da oben’

Wie auch der bereits erwähnte Autor Gerhard Zeitler betont, reicht es kaum, bei ‘den Politikern’ alle Schuld zu suchen. Jeder Bürger trägt politische Verantwortung, als Wahlberechtigter und durch eigenes Mitwirken:
“Denn Kraft und Richtung der Politik speisen sich einzig aus dem Druck von unten.”
Wenngleich diese Option durch das Wahlvolk immer sparsamer und halbherziger ausgeübt wird, sind sind die demokratischen Elemente der Legislative nicht etwa zu beschneiden, das Gegenteil wäre zu überdenken:
Ist es sinnvoll und machbar, auf Landes- und kommunaler Ebene das Expertenwissen ‘normaler’ (außerhalb der Politik tätiger) Personen weit stärker in die Entscheidungsfindung einzubeziehen als bisher? Ich denke da an nach fachlich Eignungskriterien zu besetzende Gremien, denen nicht nur eine Beratungsfunktion zufällt.

Die sich abzeichnende Spaltung der Bevölkerung in einen inneren, ‘wissenden’ Zirkel und eine Gruppe vermeintlich Unwissender sollte unbedingt unterbunden werden. Hierzu könnten parallel basisdemokratische Elemente gestärkt werden – allerdings unter der Maßgabe, dass sich mit den Themen intensiv befasst, zu denen man in Diskussionsrunden etc. angehört wird. (Die Zurschaustellung von Statements aus einer spontanen Befragung des ‘Britt’-Klientels meine ich damit jedenfalls nicht.)
Natürlich kann nicht jeder über alles mitreden und mitentscheiden. Dadurch würde jede Gemeinschaft handlungsunfähig. Auch Volksentscheide eignen sich m.E. denkbar schlecht – keineswegs muss die unreflektierte Mehrheitsauffassung auch richtig sein.

Denkbar ist eher, die o.a. Expertengremien stets mit einem Anteil ‘interessierter Laien’ zu besetzen – falls so etwas wie ein gesundes Volksempfinden existiert, würde es dadurch Gelegenheit zur Mitwirkung erhalten.

Ob die Einbindung plebiszitärer Elemente (etwa die genannten ‘Bürger-Beiräte’) neues Vertrauen und Akzeptanz in das politische System und seine Akteure schaffen kann? Dies lässt sich jedenfalls nicht dadurch herausfinden, dass solche Ansinnen ungeprüft verworfen werden – nach dem Motto ‘das bringt nix und kostet nur’.

Hat das nicht Zeit?

Warum gerade jetzt die politischen Strukturen verändern – wo uns doch dringliche Probleme ernste Sorge bereiten?
Hierzulande herrschen derzeit noch paradiesische Zustände – relativ zu vielen anderen Regionen betrachtet. Erwarten wir ernsthaft, dass dies immer so bleibt?
Ich möchte eine Zuspitzung ökologischer (und ökonomischer) Krisen nicht herbeireden – doch lässt sich nicht ausschließen, dass energiepolitische Regelungen unsere Freiheiten (z.B. unsere individuelle Mobilität) einschränken werden.

In einer solchen Phase (wenn sie denn vor uns liegt) ist es noch unerlässlicher als bisher, dass die Bevölkerung ihrer ‘Führung’ vertraut – und dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Beides geschieht nicht automatisch; vielmehr muss m.E. sichergestellt werden, dass anstehende Weichenstellungen
  • von den Personen getroffen werden, die dazu in jeder Hinsicht die nötige Kompetenz und Integrität besitzen.
  • in einer Weise erfolgen, dass eine Einbindung der Bürger in vertretbarem Maße gegeben ist – und zwar rechtzeitig.
  • der Bevölkerung als Notwendigkeit vermittelt werden können.
Den öffentlich-rechtlichen TV- und Radioanstalten kommt hierbei eine bedeutsame Vermittlungs- und Aufklärungsfunktion zu. Indem sie diese wieder gewissenhaft ausübten, würden sie ihre Existenzberechtigung eher nachweisen als durch diffuse ‘Analysen’ einer angeblichen Abschiedsvorstellung der Menschheit.

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