Freitag, 20. Juli 2018

Jenseits der linearen Zeit?

Unser alltägliches Zeitverständnis entsteht entweder aus Gewohnheiten, externen Vorgaben und subjektiven Eindrücken - oder es richtet sich nach den klassischen Ideen(vor)gebern im Umfeld der Religionen - hier nur zwei verkürzte Beispiele:
  • Eine sich beruhigend linear nach vorne bewegende Zeit, kennen wir aus dem Alten Testament , wo die Schöpfung der Welt den Beginn der Zeit markiert. Nein, unserer Zeit, denn "Welt" steht im A.T. allein für die Erde, in deren Sichtweite noch ein paar kleine und große Leuchtkörper aufgehängt werden: Sonne, Mond und nahe Sterne.
  • Das Zeitverständnis im Hinduismus ist im wesentlichen zyklisch: nach der Ruhenacht, die mehr als vier Millionen Menschenjahre dauert, schöpft Brahma eine neue Welt und alles beginnt von vorne.
    Vor allem aber glaubt der Hindu an die mehrmalige Wiederverkörperung (Reinkarnation). Jedes Lebewesen, ob Mensch oder Tier, sei dem dem Kreislauf der Wiedergeburten unterworfen. 
Nichts davon ist wirklich objektivierbar anhand naturwissenschaftlicher Kriterien. Insoweit entsteht die Frage:
Existiert Zeit überhaupt, also objektiv? Oder stellt sie lediglich ein menschengemachtes Konstrukt dar, durch das wir unser Leben und die in ihm enthaltenen Prozesse vereinfachen, d.h. koordinieren und strukturieren?

Träfe diese Annahme zu, so würde ohne/außerhalb von uns etwas wie Zeit nicht existieren.

Bekanntlich finden in der Natur aber zahllose zyklische Prozesse mit hoher Präzision statt, auf die wir bei der Festlegung von Bewegungs- und letztlich auch Zeitmaßstäben zurückgreifen. Die Dauer eines Tages, Monats, Jahres ist eben nicht willkürlich - wenngleich Messungenauigkeiten auftreten können.-

  • Ludwig Pohlmann und Uwe Niedersen, die Autoren der Abhandlung "Jenseits der linearen Zeit" wenden sich dieser Frage sowie der Unterscheidung zwischen einem linearen und einem nicht-linearen Zeitverständnis zu. 
Seit Isaac Newton verbreitete sich die Anschauung, wonach die Zeit eindeutig sei, das sie unabhängig vom Inhalt des Universums gleichmäßig ablaufe und das sie, da jede höhere Bewegung auf eine Summe mechanischer Bewegungen reduzierbar sei, das gesamte Geschehen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft determiniere.
Newton beschreibt das Phänomen der Zeit mit den folgenden Worten:
"Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand. [...]  (Mathematische Prinzipien der Naturlehre; London 1687)
Darauf aufbauend die 'zeitgemäße' Wikipedia-Definition: "Die Zeit beschreibt die Abfolge von Ereignissen, hat also im Gegensatz zu anderen physikalischen Größen eine eindeutige, unumkehrbare Richtung."

Nachdem sich die Naturwissenschaft seit Newton grundlegend gewandelt hat bleibt es dennoch bei der festen Überzeugung "in unserem Innersten, ...dass es die linear fortschreitende Zeit Newtons gibt und das sie die eigentliche, die grundlegende Zeit ist, also der sichere Boden des absoluten zeitlichen Bezugssystems". 

Zugänge zur Kritik der linearen Zeit

Vier Ansätze werden von den Autoren benannt, um unsere herrschenden Zeit-Vorstellungen wenigstens kritisch zu hinterfragen, zu kritisieren:
(a) Geistesgeschichtlich: Die Beschreibung und Analyse der menschlichen Zeitvorstellungen im Laufe der schriftlichen Aufzeichnungen könne dazu beitragen, unsere heutigen Vorstellungen zu relativieren und auf ein menschliches Maß zu bringen.  

(b) Menschlich-subjektiv: Das subjektive Zeitempfindens weist eine große Vielfalt an Formen der Zeit auf. Jeder kennt die psychisch-individuelle Zeit, die so leicht durch situative und innere Veränderungen beeinflusst werden kann: Beim Zahnarzt dauern einzelne Minuten kreischenden Bohrens und Dröhnens garantiert länger als Stunden geselligen Beisammenseins mit lieben Menschen.


 (c) Biologisch-konstruktivistisch


(d) Selbstorganisationstheoretisch: Eine Kritik der Zeitvorstellungen, die auf Ergebnissen von Physik und Chemie aufbauen, muss zwangsläufig auf die neuen Erkenntnisse durch die Relativitätstheorie, die Quantentheorie und schließlich die Irreversible Thermodynamik bezugnehmen.  


Zeitempfinden als biologische Notwendigkeit

In einer Welt, in der burchstäblichen alles in Bewegung, d.h. Verändrungen unterworfen ist, finden wir uns nur zurecht, indem wir unser eigenes Verhalten mit den für uns relevanten Abläufen und Veränderungen der Umwelt koordinieren. Außerdem haben wir die Zyklen und Abläufe des eigenen Organismus - die Autoren sprechen treffender von unserem inneren Milieus - zu brücksichtigen. 

Wer mit einem geregelten Stuhlgang gesegtnet ist, wird diesen ohne groß nachzudenken in seiner persönlichen Tagesstruktur 'einplanen'. Das fällt allenfalls auf, wenn einmal Unregelmäßigkeiten auftreten und der gewohnte 'Termin' sich verzögert, gestört ist.

Diese Koordination mit inneren und äußeren Prozessen lässt einen inneren Zeitmaßstab entstehen. Dies treffe in untrschiedlichem Ausmaß auf sämtliche Lebewesen zu:
"Laubbäume müssen 'wissen', wann sie ihre Blätter abzuwerfen haben, bevor der erste Frost kommt."
Diese Fähigkeit zum antizipatorischen Verhalten findet eine natürliche Erklärung in der Evolutions-Biologie. Danach überleben im Zuge der natürlichen Selektion nur diejenigen biologischen Arten, welche durch Mutation rechtzeitig Eigenschaften erwarben, die sie befähigten, für sie relevante Gegebenheiten der Umwelt wahrzunehmen und darauf zu ihrem Nutzen zu reagieren.

 Auf diese Weise müsse die biologische Evolution im Zuge ansteigender Komplexität von Lebensformen auch die Entstehung eines Zeitempfindens begünstigt haben.  Die Existenz solcher interner biologischer Rhythmen ("biologischer Uhren)" wurde bei vielen höheren Tieren bschrieben. Zwar ist noch nicht im Einzelnen bekannt, wie diese  funktionieren.

Immerhin weiß man, dass es sowohl in der Biochemie, als auch in der Chemie der unbelebten Natur viele chemischen Reaktionen gibt, die nicht gleichförmig monoton, sondern periodisch ablaufen, Beispiel: die Belousov-Zhabotinsky- Reaktion
BZR in einem gerührten System mit Ferroin

Soweit also schon vom Metabolismus der Lebewesen her periodische Reaktionen vorhanden waren, konnten diese von der Evolution verwendet werden, sobald sie gebraucht wurden. Dadurch erlangte bzw. gestaltete sie mit der Zeit die Funktion einer "inneren Uhr".

"Das Zeitempfinden der Lebewesen wird nun auf diesen Taktgebern aufbauen, indem es die dazugehörigen Zeitintervalle als Maßstab an die wahrgenommenen äußeren Bewegungen anlegt."
Hieraus nun lässt sich eine biologische Zeit-Definition formulieren: "Zeit in diesem Sinne ist somit eine evolutionär begünstigte und genetisch fixierte Abstraktionsleistung der Lebewesen, die diese benötigen, um sich in ihrer veränderlichen Welt zurechtzufinden und komplizierte Bewegungen miteinander koordinieren zu können."

Dadurch erschließen sich der jeweiligen Spezies die von ihr benötigten Handlungsfelder wie Synchronisation und der Antizipation, welche mit wachsender Komplexität die Abstraktionen "Gegenwart" und "Zukunft" ermöglichen. Mit dem Gedächtnis kommt schließlich "Vergangenheit" hinzu.


Auch wir Menschen vollziehen diese Abstraktion (meist unbewusst oder vorbewusst), dabei profitieren wir von zuvor erbrachten und uns genetisch weitergegebenen Abstraktionsfähigkeiten. Als Produkt der Selektion weisen aber einen natürlichen Fehler auf: sie gelten nur für diejenige Umwelt, für die ökologische Nische, in der sie selektiert wurden. Unter veränderten Umweltbedingungen einer anderen Umgebung können sie plötzlich zu widersinnigen Reaktionen führen, die sowohl Individuen als auch die gesamte Spezies ins Verderben treiben.


[Exkurs...weil ich diesen Einzeller so faszinierend finde: Das Paramecium (Pantoffeltierchen) besitzt einen walzenförmigen Körper, der vollständig mit Wimpern (Cilien) bedeckt ist. Diese Wimpern bewerkstelligen die Fortbewegung und den Nahrungserwerb.
Zur Fortbewegung schlagen die Wimpern koordiniert nacheinander, so dass gewissermaßen Wellenbewegungen über den Körper laufen, die beim Vorwärtsschwimmen vorne beginnen. Möglich sind auch kompliziertere Manöver wie Drehungen und Rückwärtsbewegungen. Wie kaum ein anderer Einzeller kann Paramecium dank zahlreicher Sinne auf seine Umgebung reagieren.
Paramecien reagieren auf chemische Reize wie Salz- und Säurekonzentration, Temperatur, Licht, Schwerkraft und natürlich Berührung. Die Wimpern sorgen für einen flächendeckenden Tastsinn - und das ganz ohne Neuronen (Nervenleitbahnen) - es handelt sich schließlich um einen Einzeller! 
Trifft es beim Vorwärtsschwimmen auf ein Hindernis, so rudert das Pantoffentier ein Stück zurück, macht eine leichte Drehung und versucht erneut, vorwärts zu schwimmen. Das wird so lange wiederholt bis das Hindernis umschwommen ist. 
Auf der Suche nach Futter bewegt es sich stets in Richtung zunehmender Säurekonzentration im Wasser, da diese die Anwesenheit von 'schmackhaften' Bakterien anzeigt. Bringt man jedoch einen Tropfen einer starken Säure ins Wasser, so bewegt sich das Pantoffeltierchen in den sicheren Tod.]
In gleicher Weise passt das vom Menschen evolutionär erworbene Zeitempfinden nur auf die Bereiche, in denen es entstanden ist. Es versagt schon, sobald die inneren Uhr nur ein wenig durcheinander kommt: im Fieber, im Traum, in der Meditation und im Rausch (z.b. löst eine LSD-Psychose ein stark verändertes Zeitempfinden aus

Daraus erklären sich unsere prinzipiellen Schwierigkeiten, die neuen Zeitvorstellungen der Relativitätstheorie rational und gefühlsmäßig zu verstehen. Experimentell belegte Phänomene wie z.B. die Zeitverlangsamung bei (sehr hohen) Geschwindigkeitenverlassen nun einmal die Grenzen unseres alltäglichen Erfahrungshorizontes und fällt es sehr schwer, sie sich vorzustellen

"Noch unvorstellbarer aber würde es für uns, wenn wir versuchten, uns in die Lage eines einzelnen Photons hineinzuversetzen: Da es sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, vergeht für das Photon die Zeit "unterwegs"...überhaupt nicht ."
Obwohl nach den Berechnungen von Gödel sogar "Zeitschleifen" prinzipiell möglich wären, gibt unser Gefühl nach wie vor der einfachen linearen Zeit den Vorzug, betrachten wir sie als die grundlegende Wirklichkeit.
Und täglich grüßt das Murmeltier... 
Eine Zeitschleife ist eine rekursive Verkettung der Zeit. Normalerweise folgt auf jeden Zeitpunkt der Gegenwart unumkehrbar ein Zeitpunkt in der Zukunft, d.h. alle Ereignisse passieren nacheinander und kausal – die Wirkung folgt der Ursache und nie umgekehrt. In einer Zeitschleife ist die Richtung des Zeitstrahls jedoch so gebogen, dass er sich mit einem Punkt in der Vergangenheit oder Zukunft kreuzt. Dadurch findet ein Sprung in der Zeit statt, der sich auf eine bestimmte Umgebung begrenzt.
Abgrenzung zur Science Fiction: 
Abgrenzung zur Science Fiction: Für Zeitreisen von Lebewesen gibt es bis heute kein physikalisches Modell.
Eine der wesentlichen Schlussfolgerungen bis hierhin: "Es gibt kein absolutes, kein ausgezeichnetes Bezugssystem der Zeit. Die Wahl einer Bewegung als Maß einer anderen ist nur durch außerwissenschaftliche Werturteile begründbar. Keiner dieser Zeitmaßstäbe hat an sich einen Vorzug vor den anderen."
Erst durch eine Wertfunktion, z.B. die des Überlebensvorteil einer biologischen Art, kann sich ein Zeitmaßstab gegenüber den 
möglichen anderen auszeichnen. Insofern ist auch die lineare physikalische Zeit eine menschliche Schöpfung.

Zeit und Selbstorganisation

Bei Selbstorganisationsvorgängen entstehen folglich auf einer jeweils höheren (z.B. der makroskopischen) Ebene qualitativ neue, relativ autonome Entitäten, welche neuen, eigenen Gesetzen gehorchen. Diese widersprechen zwar nicht den Gesetzen der konstituierenden Subsysteme (z.B. menschliche Individuen), aber sie werden auch nicht durch diese erschöpfend beschrieben. 

Was dies mit den Zeitvorstellungen zu tun haben kann? → Nach den o.a. Ausführungen zu biologischen Aspekten der Zeit kann man durchaus von einer Eigenzeit eines jeden Menschen sprechen, die sich aus inneren und äußeren Rhythmen resultiert und individuell verschieden ist. Bilden nun mehrere Menschen eine nicht nur formale Gruppe, die eine gemeinsame Aufgabe oder Funktion hat, so entsteht automatisch das Problem der Koordination der verschiedenen Eigenzeiten. 


Auf Grund der sich zwangsläufig einstellenden Wechselwirkung (die zudem im allgemeinen nichtlinear ist) zwischen den Individuen und deren Eigenzeit-Charakteristiken, bildet sich ein komplexes dynamisches System: aus dem unkoordinierten Wirrwarr der neu gegründeten Gruppe entsteht von selbst ein koordiniertes Handeln, sobald sich sich ein Ordnungsparameter herausgebildet hat. Dieser taktet und koordiniert die anderen Bewegungen mit seiner Bewegung.

Solch ein Koordinationsvorgang lasse sich gleichzeitig als "Zeitentstehungsvorgang" interpretieren:
"Aus dem Wirrwarr der vielen Eigenzeiten (die den Eigenbewegungen entsprechen), entsteht plötzlich...eine neue Zeit, die zur Bewegung des neu entstandenen Ordnungsparameters gehört und an die sich die vielen Eigenzeiten nun dynamisch...anpassen."
Diese Koordinationsform ist dynamisch: sie entsteht, wenn die Systembedingungen danach sind, und sie verschwindet wieder, sobald das System zerfällt oder ein neuer Ordnungsparameter (aufgrund veränderter Bedingungen) entsteht. 

Im Kontext der Gruppe ist es also wirklich sinnvoll zu sagen "Es begann eine neue Zeit" - es entstand eine qualitativ neue Bewegungsform, deren Ausdruck diese neue Zeit ist.

Anschaulicher wird dies durch einen Blick auf die Geschichte: Bedeutende Ereignisse, welche die gesamte weitere Entwicklung in eine neue Richtung lenkten, wurden zum Ausgangspunkt von Zeitrechnungen gemacht: die Gründung der Stadt Rom, Geburt Jesu, der Französische Revolutionskalender ab 1792 - oder die Unixzeit (zählt die Sekunden seit dem 1. Januar 1970, 0 Uhr UTC), mit Relevanz allein für die Gruppe der Unix-Anwender... kein Einzelfall: Unterschiedliche Gruppen haben ihre eigene Zeitrechnung → vgl: Die verschiedenen Kalender auf der Welt.

Erst nach einer hinreichend langen Zeit merkt man, dass eine neue Zeit begonnen hat. Eine Zeitenwende wird nicht sofort bemerkt hat, anfangs treten große Fluktuationen auf, welche die Situation unübersichtlich gestalten.  

Dieser Prozess sei durchaus objektivierbar - die Autoren sprechen von der objektiven Seite unserer Zeitkonstruktion:
"Diese neuen Taktgeber sind objektiv gegeben in Bezug auf alle anderen Systeme, die damit in Wechselwirkung stehen. So hat die Entstehung unseres Planetensystems neue Zeitmaßstäbe geschaffen (Tag, Mondzyklus, Jahr), welche durchaus energetisch und materiell für alle Prozesse, die danach auf der Erde abliefen, wirksam wurden."
Auch diese objektive Zeit sei immer relativ, da jede Eigenbewegung eines Systems Maßstab der Bewegungen der damit wechselwirkenden Systeme sein kann. → Vergleich mit der in der speziellen Relativitätstheorie: Die Zeitdilatation in sich gegeneinander bewegenden Bezugssystemen ist objektiv (messbar), aber es gibt kein absolutes Bezugssystem, denn sie wird in beiden gleichermaßen gemessen.

Bereits nach Aristoteles ist Zeit ohne Veränderung nicht möglich; er bemerkt also die Untrennbarkeit von Zeit und Bewegung. Das mechanisch-physikalische Weltbild der Neuzeit hat diese Sicht der Zeit wieder verstellt, da es von der Zerlegbarkeit ausgeht und dabei die Trennbarkeit von Zeit und Bewegung suggeriert.

"Wenn wir also die Zeit als abgeleitet von der Bewegung ansehen, so bestimmt sich eben nicht die Zeit durch die Zeit, sondern die Zeit durch eine als Maßstab genommene Bewegung."

Fazit?

Gelernt habe ich, dass eine Gruppe von Individuen (z.B. 'die Menschheit') sehr wohl in der Lage ist, ihre individuellen Eigenzeiten aufeinander abzustimmen und so eine 'neue Zeit' zu erschaffen. Dabei handelt sich aber nicht um etwas absolutes, sondern um einen temporären Konsens zum gemeinsamen Vorteil.
Jedoch suche ich immer noch nach einer hübsch griffigen, einleuchtenden Aussage. 

Wie wäre es mit:

"Es gibt keine Zeit. Es gab nie eine und es wird nie eine geben. [...]Die Gleichungen der Physik sagen uns nicht, welche Geschehnisse genau jetzt erscheinen – sie sind wie eine Karte ohne das 'Sie befinden sich hier'-Symbol." Quelle: revealthetruth.net/ )

Moment, sofern sich das Alter des Universums exakt bestimmen lässt, könnte darauf eine 'objektive Zeitrechnung aufgesetzt werden und wir befinden uns heute im Jahre 13.82x.xxx.xxx. A.B. (After Bigbang), oder? Doch so eine Zeitrechnung ab der mutmaßlichen Stunde Null gilt wiederum nur innerhalb dieses Systems. Sollte es weitere Universen und ein übergeordnetes Multiversum geben, hätte unser neue, umständliche Zeitrechnung dort überhaupt keine Relevanz.

Ob der unumkehrbare Zeitpfeil - eine Wirkung erfolgt ausnahmslos nach ihrer Ursache, also später...und ein Zurückgehen in der Zeit ist nicht möglich - dauerhaft bestand haben wird? Der Hinweis von Pohlmann und Niedersen auf Gödel und die prinzipielle Möglichkeit von Zeitschleifen weckt selbst daran Zweifel.

Quellen

  • Jenseits der linearen Zeit  von Ludwig Pohlmann (Berlin) und Uwe Niedersen. 
  • Was ist Zeit? - deutschlandfunk.de
  • Mittwoch, 4. Oktober 2017

    "Weil es ums Ganze geht" - Hans Peter Dürr und seine holistische Weltsicht

    "Ums Ganze" besitzt für Hans Peter Dürr eine zweifache Bedeutung: zum einen steht es für seine holistische, d.h. ganzheitliche Weltsicht. Zugleich lässt der verheerende Gesamtzustand der Welt für den Physiker keinen Zweifel daran, dass es auch ums umgangssprachliche Ganze geht.


    Ausgangspunkt: "Wir erleben mehr, als wir begreifen können."

    Zumindest haben wir die Fähigkeit, gegenwärtig noch Unverstandenes, Unerklärtes wahrzunehmen und auf uns einwirken zu lassen. Wir wir damit umgehen -als Individuen sowie als Zivilgesellschaft - obliegt unserer eigenen Verantwortung. Klingt zunächst wie eine Binsenweisheit - doch die resultierende Schlussfolgerung mahnt zur Bescheidenheit: Unser Bewusstsein ist derzeit noch nicht hinreichend ausgeprägt, um die naturwissenschaftlichen und 'metaphysischen' Erkenntnisse in ihrer Gesamtheit zu begreifen und eine ihr angemessene Ethik zu entwickeln, geschweige denn anzuwenden.

    Daraus folgt sogleich, wie unsinnig und falsch selbstgefällige Aussagen wie "Wir haben die Welt fast/fest im Griff" sind. Gar nichts haben wir, weder fest noch fast. Bereits kleinere Sonnenstürme können eine Bedrohung für Hightech-Installationen wie Satelliten, Stromnetze und Navigationsgeräte nach sich ziehen. 
    "Wenn es zu einem Supersturm käme, könnte das verheerende Auswirkungen für unser Leben auf der Erde haben", sagte Astrophysikerin Chloe Pugh von der University of Warwick (England) gegenüber der Zeitung "The Independent". (Quelle: Focus, Feb. 2018)
    Ein kräftigeres Husten der Sonne würde uns rasch verglühen lassen - und zwar vollständig, solange wir es nicht schaffen, weitere Planeten zu besiedeln. ine nüchterne Tatsache - und nur eines von mehreren Phänomenen, welche die bornierte Sichtweise 'Der Mensch als Beherrscher der Natur' bestenfalls als vertäumte Momentaufnahme dastehen lässt.
    "Die Welt ist nicht abhängig von unserer Interpretation."
    Der Physiker Hans-Peter Dürr († 2014) macht anhand einer Vielzahl von Einzelbeispielen deutlich, wie sehr wir dazu neigen, die Natur zu analysieren (=in handliche, verstehbare Fragmente zu zerlegen) und uns mit einer Interpretation dieser Bildausschnitte zu begnügen.
    Zwar versucht die Naturwissenschaft, die gewonnenen Ausschnitte wieder zu einem vollständigen Bild zu integrieren, verkennt dabei aber etwas Wesentliches: Gerade die Beschäftigung mit Lebendigem lässt offensichtlich werden: ein lebendiger Organismus ist weit mehr als die Summe seiner Teile
    Dürr setzt sich hingegen für eine neue, ganzheitliche Betrachtungs- und Vorgehensweise ein, eine neue Weltsicht: 
    "...das Erstaunliche dabei ist, dass sich diese revolutionären Einsichten in den vergangenen bald hundert Jahren seit ihrer theoretischen Klärung kaum auf die anderen Wissenschaften ausgewirkt und nur ganz oberflächlich Eingang in das allgemeine Denken unserer Gesellschaft gefunden haben."
    Welche 'revolutionären Einsichten' sind gemeint(1)?
    • Aus der Quantenphysik (Kopenhagener Deutung) wissen wir: Die in der Natur ablaufenden Vorgänge sind nicht nicht determiniert, d.h. nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagbar. 
    • Eine Zerlegung von Materie in immer kleinere Bestandteile muss scheitern, denn Materie sei ihrerseits nicht aus Materie aufgebaut: "Am Ende allen Zerteilens von Materie bleibt etwas, das mehr dem Geistigen ähnelt – ganzheitlich, offen, lebendig."
    Die reduktionistische, analytische Herangehensweise führt bei Untersuchungen der unbelebten Materie zu begrenztem Erfolg, versagt aber "noch" in der Biologie sowie der geistigen Welt, ganz zu schweigen von 'Störfaktoren' wie Ethik und Moral.

    'Wissen'schaft, die schon lange zur 'Machen'schaft geworden ist 


    Auch für Dürr sind "Verstehen und Handeln sind für den Menschen selbstverständlich beide wichtig". Sie ergänzen und bedingen einander. Doch jedes Machen erfordere Verantwortlichkeit derer, die Wissen ins Werk setzen: die Übernahme einer "persönlichen Bürgschaft für ursächliches Handeln".[2] Was Dürr, der den 2. Weltkrieg noch persönlich miterlebte, hier meint, wird schnell deutlich:

    "Mit der Atombombe haben die Physiker ihre Unschuld verloren:...[Beim] ersten Einsatz einer Atomwaffe in einem Krieg [am 6.8.1945 über Hiroshima] wurden ungefähr 80 Prozent der bis dahin unbeschädigten Stadt zerstört und zwischen 90.000 und 200.000 Menschen sofort getötet." [2]
    Zum Stolperstein wird nach Dürr die Nutzung der Wissenschaft zur manipulativen Veränderung der Natur - gegenwärtig u.a. in der Gentechnik.

    "Die Natur ist jedoch so gemacht, dass alles mit allem zusammenhängt. Man kann nicht etwas herausnehmen, ohne die Beziehung zum anderen zu stören. (...) Die Gentechnologie will die existierenden Pflanzen ersetzen durch solche, die einen höheren Fruchtstand haben, weniger krankheitsanfällig oder resistent sind gegenüber bestimmten Herbiziden. Uns ist die Natur, die sich ständig weiterentwickelt, mittlerweile zu langsam. Aber warum ist die Natur so langsam? Doch nicht, weil sie dumm ist, sondern weil sie bei jeder Änderung, die sie einführt, darauf wartet, inwieweit diese Änderung sich im Gesamtkontext bewährt oder nicht bewährt. Wir Menschen aber nehmen uns nicht die Zeit. 
    Durch das hemmungslose Wirken des Menschen bahnen sich an vielen Stellen katastrophale Entwicklungen an. Wie immer schauen die meisten weg. Andere glauben voller Resignation, dass es kein Entrinnen mehr gibt..."[2]
    Hier melde ich sicher keinen Widerspruch an, doch ich frage nach den Konsequenzen dieser Einsicht: Modernisierung und Optimierungen in der Landwirtschaft scheinen angesichts der rasant wachsenden Weltbevölkerung unverzichtbar. Wenn nun die Gentechnik ein viel zu riskantes, in ihren Spätfolgen ganz unverstandenes Instrument darstellt, andere umweltverträglichere Methoden aber unzureichend sind/bei mehr als 10-12 Milliarden Menschen auf der Erde sein werden, müssten wir dann nicht ein vorausschauendes Populations-Management betreiben?
    In Indien geschieht dies bereits - durch freiwillige Sterilisationen auf Staatskosten:
    "Viele Inderinnen lassen sich sterilisieren, weil sie schon Kinder haben und die Familienplanung abschließen wollen. Der indische Staat unterstützt und fördert das - weil er das Bevölkerungswachstum in Grenzen halten will." (Quelle: DLF, Feb. 2017)
    Ob dies nun einen geeigneten Weg darstellt, vermag ich mangels Hintergrundwissen nicht zu beurteilen. (Weshalb reichen weniger invasive Maßnahmen nicht aus, z.B. vorausschauende Familienplanung und Verhütungsmethoden?
    → "Kondome sind in Indien sehr unbeliebt. Und bei der Pille gibt es das Problem, dass viele arme Frauen regelmäßig an Durchfallerkrankungen leiden und die Pille daher nicht sicher ist. Und eine Spirale muss alle fünf Jahre unter sterilen Bedingungen ausgetauscht werden. Alles Gründe, warum sich viele Inderinnen zur einmaligen Sterilisation entscheiden." [3]
    Indessen ist die Haltung "Die Natur regelt das schon von alleine" ungeeignet in einer Welt, die bereits durch Manipulationen von unserer Seite beeinträchtigt und aus dem Gleichgewicht geraten ist. Aus unseren bisherigen Handlungen erwächst also eine unabweisbare Verantwortung, laut Dürr insbesondere auch für die Nachhaltigkeit der Prozesse in Landwirtschaft und Energiegewinnung.


    Wer schon einen oder mehrere Vorträge von Dürr gehört hat, wird vielen seiner Kernaussagen nochmals begegnen. 

    Schlussfolgerungen/Forderungen

    1. Der Forscher muss wirklich in der Lage sein, die Folgen seines Tuns voraussehen zu können. Dafür muss der Forscher auch wirklich frei sein, seine Handlungen hinlänglich zu bestimmen, für die er Verantwortung übernehmen soll. 
    2. Es muss allgemein verbindliche Wertmaßstäbe geben, mithilfe derer der Forscher seine Handlungen als mehr oder weniger vernünftig oder unvernünftig, nützlich oder schädlich, gut oder böse einstufen kann. Und dann muss der Wissenschaftler wirklich selbst für die negativen Folgen in einer für ihn relevanten Weise zur Rechenschaft gezogen werden.[2]
    Ein sachlich begründeter Idealismus, den ich in vollem Umfang teile. Meine realistische Seite lässt mich allerdings erahnen: zu einer derartigen Verantwortlichkeit als einem einheitlichen, weltumspannenden Standard wird es ein absehbarer Zeit nicht kommen. Warum nicht? 
    Nun, es mangelt am Willen (auf seiten derer, die Macht- und Entscheidungsstrukturen dominieren) und infolgedessen kommt eine umfassende Transparenz nicht zustande. Ein weiteres Hindernis bemerke ich schon bei mir selbst, an meinem eigenen Verhalten zur Informationsgewinnung und -verarbeitung: Es stehen in sensiblen Bereichen (wie z.B. der Gentechnik) jeweils nur Ausschnitte, Facetten zur Verfügung.
    Dies wäre zu beklagen, doch andererseits türmen sich bereits diese Ausschnitte zu einer Flut von Inhalten, die Einzelpersonen niemals erfassen und gedanklich durcharbeiten können. Man muss also eine Auswahl treffen - für besonders relevante Themenfelder und innerhalb dieser für einen Bruchteil der abrufbaren Inhalte, Berichte, Ausarbeitungen usw.


    Dieser unerlässliche Selektionsprozesses hat freilich zur Folge, dass etliche nicht minder relevante Problemstellungen an einem vorbeigehen. Alternativ könnte man sich (versuchsweise) 'mit allem' befassen, dann aber mit nichts in der nötigen Tiefe. Dieses Dilemma der Reiz- und Informationsüberflutung wurde von Soziologen und anderen für klug gehaltenen Personen hinreichend erörtert - einige von ihnen vermuten mittlerweile, es sei durchaus gewollt, dass viele von uns den Wald vor lauter Bäumen kaum mehr sehen.

    Nun bin ich dankenswerterweise nicht vor die Aufgabe gestellt, über ethische Grenzen für 'Wissen- und Machenschaften' (s.o.) zu entscheiden. Wer dafür zuständig ist, wird auch nach Wegen suchen, der Informationsflut Herr zu werden. Zumindest haben sich die Mathematiker Prof. Martin Grötschel und Joachim Lügger bereits im Jahr 1996 mit dieser Frage befasst → "Wissenschaftliche Information und Kommunikation im Umbruch".

    Tiefschwarzer Pessimismus oder Fatalismus sind also nicht angebracht, nur weil interessierte Laien wie ich den Überblick zu verlieren drohen 😌

    Quellenangaben: 

    1. "Der Teil und das Ganze" - Rezension zum Buch 'Das Lebende lebendiger werden lassen" von Hans-Peter Dürr
    2. Leseprobe: "Warum es ums Ganze geht - Neues Denken für eine Welt im Umbruch", H.P. Dürr
    3. "Indien: Sterilisation auf Staatskosten" - DLF, Februar 2017)
    Letzte Bearbeitung: Oktober 2021

    Dienstag, 14. Februar 2017

    Pantheistischer Idealismus (II)

    Dieser Beitrag setzt die 'Gedanken über das Buch 'Gottes geheime Gedanken' von Volker Becker fort. Zum Einstieg sei auch das Interview mit dem Autor empfohlen.-

    Determinismus und Chaos

    Determinismus bezeichnet die Auffassung, dass zukünftige Ereignisse durch Vorbedingungen eindeutig festgelegt sind während der Indeterminismus davon ausgeht, dass Ereignisse möglich sind, die auch hätten anders eintreten können.
    Üblicherweise wird "Determinismus" auf Naturereignisse bezogen - gestützt auf die Annahme, dass strikte Naturgesetze über sämtliche natürlichen Prozesse regieren. Schon in der Physik wird kontrovers diskutiert, ob die Unmöglichkeit exakter Vorhersage (Berechnung) zukünftiger Ereignisse nur aus einem Mängel in unseren Modellen resultiert - oder dadurch zu erklären ist, dass die Wirklichkeit selbst nicht deterministisch ist.
    Erst recht umstritten ist Determinismus in Bezug auf geistige Zustände und Vorgänge: wenn diese ebenfalls natürliche Zustände (und somit auch determiniert) sind, scheint ein Konflikt mit dem Postulat eines freien Willens zu bestehen. Ob dieser Gegensatz besteht, ist ebenso umstritten wie die jeweiligen Konsequenzen...

    Das Chaos ist ein (scheinbarer) Zustand vollständiger Unordnung oder Verwirrung. Die Chaosforschung (Komplexitätstheorie) untersucht Ordnungen in dynamischen Systemen, deren Dynamik unter bestimmten Bedingungen empfindlich von den Anfangsbedingungen abhängt, sodass ihr Verhalten nicht langfristig vorhersagbar ist (oder scheint). Wie V. Becker in seinem Buch zeigt, unterliegen allerdings chaotische Systeme (und solche, deren Komplexität wir noch nicht erfasst haben und sie daher als chaotisch bezeichnen) ebenfalls der Kausalität .

    In diesem Kontext fällt der Begriff des Deterministischen Chaos - ein irregulär erscheinendes chaotisches Verhalten, welches jedoch den Regeln einer deterministischen Dynamik folgt. Das Systemverhalten kann nicht  reproduziert werden, weil eine Nicht-Reproduzierbarkeit der (exakten) Ausgangsbedingungen besteht... 
    Vielleicht habe Gott eine in sich gegensätzliche Welt - Determinismus und Chaos - gewollt. Er kenne die Parameter der deterministisch regierten Welt, denn alles sei (für Gott) vorhersehbar und aufgrund festgelegter Anfangsbedingungen berechenbar. Göttliche Eingriffe - sog. 'Wunder' - würden sofort auffallen, wenn sie den Naturgesetzen widersprechen. 
    Übrigens gehen auch etliche Theologen davon aus, Gott habe sich selbst den von ihm geschaffenen Gesetzen unterworfen und insoweit seine eigene Handlungsfreiheit beschränkt! Darin eine Beschränkung der Allmacht Gottes zu sehen, halte ich für einen Fehler.
    Nach vielen religiösen Vorstellungen bilden Wunder eine örtlich und in ihrer Auswirkung begrenzte Abweichung von den Natur, durch die Gott sein Wirken demonstriere. Wenn Gott allerdings unvorhersehbare, chaotische Systeme erschafft, deren Verläufe und Ausgang auch ihm unbekannt sind, dann lässt er dem 'freien Willen' weitaus mehr Raum und hat jederzeit die Möglichkeit der Intervention, ohne das Ganze der Inkonsequenz zu opfern. Minimale Eingriffe/Veränderungen seinerseits blieben von uns unbemerkt und hätten dennoch große Auswirkung.

    Ist die Unterscheidung zwischen chaotischen und deterministischen System nicht eher ein Ausdruck unserer unvollkommenen Erkenntnisgewinnung? Nicht-Reproduzierbarkeit und Unvorhersehbarkeit beweisen m.E. lediglich, dass der Mensch die Komplexität vieler Systeme weder insgesamt beschreiben noch verstehen kann. Dass alle Dynamik, alle einander bedingenden Vorgänge und Konsequenzen ohne Ausnahme dem Gesetz der Kausalität unterliegen, ist m.W. eine Tatsache. Mir fallen da nur zwei Ausnahmen ein: der Urknall - und auch nur dann, wenn sich die These einer zyklischen Abfolge von Universen als unzutreffend erweisen sollte - und Gott, wenn man von der Existenz eines Schöpfergeistes ausgeht, der einst  auch die Kausalität geschaffen hat.


    Übrigens spricht Becker hier von "Gott als letzter Ursache". in der Quantenphysik besitzen subnukleare Teilchen keine unabhängige Realität, bevor sie nicht durch einen Bewussten Beobachter (Messung) an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit in die Realität gehoben werden. So gesehen könnte Gottes Geist durch Beobachtung dem menschlichen Geist Realität verleihen...damit wäre Gottes Geist tatsächlich die letzte Ursache.

    Becker stellt hier einen Bezug zwischen Wissenschaft und östlicher Philosophie (→ Taoismus) her - wenn ich seine Ausführungen richtig verstehe, lassen sich antagonistische (gegensätzliche) Teilaspekte des Seins bzw. des einzelnen Lebens auf einer höheren Ebene zu einem neutralen Ganzen verbinden, sie bilden als Gesamtheit einem harmonischen Zustand.
    Besteht hier eine Parallele zu dem Merkmal der Dualität, dem wir in jedem Lebensbereich begegnen? Hans Dienstknecht beschreibt in seinen Büchern (z.B. "Alles endet im Licht), dass in unserer materiellen Welt das Licht(wie auch die Liebe) erst durch Gegenüberstellung des Antagonisten, etwa der Finsternis, in seiner Besonderheit wahrnehmbar werde.
    Quantenphysik und holistisches Weltbild
    Eine Kernthematik der östlichen Philosophien ist die Auffassung, das 'alles mit allem verbunden ist'. Die westliche Herangehensweise der Physik sei reduktionistisch, d.h. sie zerlege das ein beobachtetes System immer weiter in seine Einzelteile bzw. -aspekte, bis sich diese Fragmente erfassen und halbwegs genau bechreiben und vermessen lassen. Dieses Vorgehen verleitet allerdings dazu, den Blick für das Ganze zu verlieren und sich einzubilden, das Wesen von 'Allem was ist' allein aus den Eigenschaften einiger winziger Fragmente zu verstehen.

    "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile."

    ...leuchtet ein, allein wenn wir an unseren eigenen Körper eigen. Mit Bezug auf die implizite Ordnung des Quantenphysikers David Bohm beschreibt Becker ein holistisches (vereindacht: ganzheitliches) Weltbild, in dem die Realität nicht in einzelne Bausteine teilbar ist, sondern als bruchloses Ganzes aufgefasst wird. Wie Bohm kritisiert er die reduktionistische Aufsplittung der Welt in Einzelteile - Versuche auf der Ebene der Quanten zeigten, dass alle Teilchen zumindest auf dieser Skalierungsebene ein und dasselbe sind.

    "Es gibt keine zwei Teilchen, die miteinander in Wechselwirkung treten."

    Alles Sein gehe vielmehr aus einer holistischen Gesamtheit hervor. Das unabhängige Sein sei lediglich eine Illusion in unserer begrenzten Wahrnehmung. Auch wenn diese Ganzheit von Allem schwer borstellbar ist, werden durch diese Sichtweise mehrere Probleme aufgelöst, welche die Quantenphysik aufwirft:
    • Offensichtlich kann der Beobachter nicht als getrennt oder unabhängig vom Gegenstand seiner Beobachtung angesehen werden. Im Gegenteil - beider interagieren und beinflussen einander, sind demnach auf einer höheren Ebene miteinander verbunden.
    • Die quantenmechanische Verschränkung (jene 'kommunikative Verknüpfung' zwischen subatomaren Teilchen, die auch noch über Billionen Kilometer in Echtzeit wirksam ist) von zwei Teilchen würde erfordern, dass diese in Überlichtgeschwindigkeit miteinander kommunizieren - was nach Einstein aber nicht möglich ist. Werden die Teilchen aber als untrennbare Einheit angesehen, besteht keine Notwendigkeit mehr zur 'unwahrscheinlich schnellen' Informationsübertragung. "
      ...Quantenteilchen können so miteinander vermischt und verbandelt werden, dass sie in mancher Hinsicht zu einem System werden. In diesem "verschränkten" Zustand lebt sozusagen eine einzige Teilchenseele in zwei Teilchenkörpern. 
      Bemerkbar macht sich diese Verschmelzung in Experimenten, bei denen zwei verschränkte Teilchen in unterschiedliche Richtungen geschossen werden und in vielen Kilometern Abstand auf getrennte Messapparaturen stoßen. Sobald das eine Teilchen gemessen wird, nimmt nicht nur es selbst einen exakten Zustand ein, sondern auch sein verschränktes Gegenstück. Sofort. Egal, wie weit die beiden voneinander entfernt sind."
      (aus "Wie real ist die Wirklichkeit?", physikclub.de)
    Soweit mir bekannt, wurden die quantenmechanischen Effekte auf subatomarer Ebene nachgewiesen und bislang maximal für Moleküle nachgewisen, die sich aus bis zu 64 Atomen zusammensetzen (sog. Fullerene) - nicht aber für größere, geschweige denn sichtbare Objekte. Von daher geht Becker m.E. ein Wagnis ein, wenn er von den Quanteneigenschaften auf das gesamte Universum mit all seinen Größenskalen schließt. Seine Begründung für diese Annahme: Schließlich bestehen alle Subjekte aus eben diesen winzigen Quanten. Deshalb existiere kein Ding aus sich heraus allein, nichts könne isoliert betrachtet werden, ohne die Abhängigkeit 'vom Ganzen' einzubeziehen. 

    Auch wenn man nicht so weit geht, diese Ganzheit auch auf soziale Systeme und Strukturen auszudehnen, stellt diese Sicht der Dinge (bzw. des einen großen Dings) unseren 'gesunden Menschenverstand' ziemlich auf den Kopf. Becker verweist auf den Umstand, dass die in unseren Neuronen ablaufenden Vorgänge 'so klein' seien, dass quantenmechanische Implikationen nicht ignoriert werden können. Dabei müssten wir im Grunde von selbst darauf kommen, dass die Dinge nicht so sind wie sie uns erscheinen: 


    Offensichtlich ist, dass wir aufgrund unserer begrenzten und dadurch selektiven (Sinnes-)Wahrnehmung eine subjektive Realität um uns herum konstruieren - ein sehr begrenzter Ausschnitt dessen, was möglich ist. "Jedes Lebewesen lebt in seiner eigenen Welt". 


    Der indisch-amerikanische Physiker Amit Goswami betrachtet Bewusstsein als die einzige wahre Realität - die Realität eines Individuums besteht zu einem bestimmten Zeitpunkt aus der Summe dessen, was ihm bewusst ist. Nach seiner Interpretation widerlegt die Quantentheorie den materialistischen Realismus: Trifft es zu, dass erst der beobachtende Geist ein Objekt real werden lasse, dann hat sich die Annahme erledigt, dass außerhalb von uns ein materielles Universum existiert. - "Das Bewusstsein kann den Weg eines Quantenteilchens selbst dann noch verändern, wenn wenn es diesen Weg schon gegangen ist!"


    "Wenn der Materialismus die Seele abgeschafft hat,
    so hat Goswamis Idealismus den Leib abgeschafft."


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    Viele Phänomene und Begriffe werden in Beckers Büchern aufgegriffen, aber nicht bis ins letzte Detail erläutert (was auch gar nicht möglich wäre, ohne den roten Faden zu verlieren). Zum Verständnis der quantenmenchanischen Grundlagen bietet die Abhandlang Informationen über Quantenmechanik einen ersten Überblick; von Interesse sind evtl. auch einige Angaben zum Doppelspalt-Verusch. Als verständliche und detaillierte Abhandlung zur Quantenphysik halte ich das Buch "Einsteins Schleier - Die neue Welt der Quantenphysik" von Anton Zeilinger für sehr geeignet. Als Einführung in Albert Einsteins Relativitätstheorien empfinde ich das Buch von Thomas Bührke mit dem naheliegenden Titel E=mc2 als hilfreich. 

    Letzte Bearbeitung: 28.10.202021
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    Montag, 13. Februar 2017

    Pantheistischer Idealismus (I)

    Gedanken zum Buch "Gottes geheime Gedanken" v. Volker J. Becker  

    An den Anfang seines Buches stellt Becker folgenden kurzen Text über ein Wesen namens "Llixgrijb":
    Stellen wir uns doch einmal einen Bereich vor, in dem es keine Höhe, Breite, Tiefe oder Zeit gibt... Stellen wir uns ein Wesen vor, das in diesem Bereich lebt. Ein Wesen namens Llixgrijb. Stellen wir uns vor, das arme Llixgrijb sitzt in einer Art extradimensionalem Einsturz gefangen... Es gibt kein Entrinnen. Aber Llixgrijb kann nicht sterben. Sein Bewusstsein dauert an, ganz auf sich gestellt und in alle Ewigkeit – wie immer in solch einem Bereich Ewigkeit aussehen mag – absolut paralysiert. 
    Wie würden wir uns in dieser Situation verhalten?
    Wir würden Welten in unserem Geist erschaffen, Welten in uns selbst...
    Llixgrijb schuf sich ein Universum..."
    Einleitend stellt der Autor die Frage in den Raum, ob eine Synthese zwischen theoretischer Physik und fernöstlicher Mystik herstellbar sei. Nachdem man sein Buch gelesen hat, hält man eine solche Synthese zumindest für denkbar; jedenfalls erging es mir so. Natürlich ist Becker nicht der erste kluge Kopf, der sich mit dieser Fragestellung auseinander setzt. Lange zuvor hatten unter anderem der Kirchenlehrer Origenes und auch die Katharer konkrete Ansätze in dieser Richtung entwickelt, z.B. die Reinkarnationslehre betreffend. Und noch ein Effekt bewahrheitet sich:
    • Becker: "Je tiefer man eindringt, um so mehr Fragen stellen sich eigentlich."
    • Goethe: "Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß; mit dem Wissen wächst der Zweifel."
    Wenngleich der Buchtitel 'Gottes geheime Gedanken' etwas plakativ daherkommt, fand ich das 2006 erschienene Buch von Volker Becker überaus lesenswert - eine erläuternde Zusammenfassung der neuesten philosophisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, die der Autor durch eigene Überlegungen weiterführt.

    Volker J. Becker geboren 1967, studierte neben seiner beruflichen Tätigkeit als Industrietechniker Philosophie und theoretische Physik. Er beschäftigte sich auch intensiv mit östlichen Religionen, dem Hinduismus, Taoismus und Buddhismus. Bis jetzt sind zwei Bücher von ihm erschienen: 'Gottes geheime Gedanken' und 'Am 8.Tag schuf Gott den Zweifel'. Das u.a. Interview mit dem Autor vermittelt Eindrücke über den aktuellen Stand des naturwissenschaftlichen Weltbildes und weckt zugleich mit einer breiten Themenliste ("ein Brückenschlag zwischen Philosophie, Wissenschaft, Parapsychologie, Grenzwissenschaft und Mythologie") mein Interesse, viele diese Felder durch zusätzliche Lektüre zu vertiefen.


    Das Problem jedes Schriftstellers mag in der Vermittelbarkeit (populär-)wissenschaftlicher Forschungsresultate liegen, wenn er Phänomene wie Schrödingers Katze einem breiten Publikum nahebringen möchte - manchmal kommt Verbalakrobatik heraus wie "Die super-positionierte Katze ist gleichzeitig lebendig und tot"...hä?!? 

    (→Vgl: "Die untote Katze von Erwin Schrödinger")
    Becker stellt sich dem mutmaßlichen Wissensdefizit seiner Zielgruppe recht systematisch und legt zunächst einige Grundlagen, die er gekonnt auf den Punkt bringt.

    Zum Beispiel: "Eine wissenschaftliche Theorie ist ein Modell, welches mit physikalischen Gesetzen und Axiomen untermauert bzw. mathematisch bewiesen worden ist." That's it. Verstanden und Akzeptiert. Ohne endlose Abhandlungen über wissenschaftstheoretische Prinzipien zu lesen.

    Freilich ließe sich daran feilen und die Aspekte der Reproduzierbarkeit, der Übertragbarkeit/Vorhersage sowie des Messens und Beobachtens anfügen, doch zum Verständnis dieses Buches ist das nicht notwendig.

    Recht schnell wird der Finger in die Wunde der modernen Physik gelegt, die mit ihrer Urknall-Theorie darin versage, den tatsächlichen Anfang der Existenz von Allem zu erhellen. "Die sogenannte Singularität, ein Raumpunkt unendlicher Dichte, unendlicher Gravitation, das Ende von Raum und Zeit" ist nicht mehr als ein Punkt, an dem die Wissenschaft mit den heute verfügbaren Theorien und Modellen nicht mehr weiter kommt. Dagegen will sich Becker dem "was davor war" - was den Urknall verursachte, warum Raumzeit, Materie und Energie entstanden sind - durch gedankliche Sophistik nähern.



    Schon die alten Griechen entwickelten eine Sophistik: Um sich eigene Meinungen zu politischen und gesellschaftlich relevanten Fragen zu erarbeiten und diese auch zu vertreten, eigneten sie sich das Rüstzeug an, argumentative Prozesse erschließen und die eigenen Gedanken ausdzurücken. Dies schloss umfangreiche Sachkenntniss und eine hervorragende Rhetorik ein.

    Die von Erwin Hubble nachgewiesene Expansion des Universums könne man sich vorstellen, "als wäre man eine Ameise, welche auf einem Luftballon herumkrabbelt, der gerade aufgeblasen wird. Egal in welche Richtung die Ameise schaut, alles scheint sich von ihr zu entfernen, jeder Punkt der Ballonoberfläche."
    Diese Gerichtetheit des Kosmos bedinge auch, dass wir einen psychologischen Zeitfluss, einen Zeitpfeil empfinden: mittels visueller Techniken lassen sich kosmologische Zustände der Gegenwart und Vergangenheit festhalten und vergleichen. Dieser Vorgang zeigt, dass das gesamte Universum irreversibel dem thermodynamischen Gleichgewicht, der größten möglichen Entropie ('Unordnung') entgegenstrebt. Becker folgert daraus:



    "Das Universum hat in einem Zustand perfekter Ordnung begonnen! Diese ist ein Anzeichen für einen geplanten Schöpfungsakt!"

    Gleich nach dem Urknall setzt dann eine einer Kausalkette von Ereignissen ein, durch die im Ergebnis das heute beobachtbare Universum hervorgebracht wurde. Raumzeit könne nach Hawking aus der Raumzeit selbst aufgrund von Quantenfluktuationen ohne Ursache aus dem Nichts entstanden sein - für mich unbefriedigendend, denn wo fluktuieren jene Quanten (Teilchen) und wohin, solange doch noch kein Raum existiert?
    Und: wo kommen diese Quanten her? Und woher stammt die Energie, welche diese Quanten 'motiviert'? Die Idee der Entstehung von Materie aus dem Nichts ("so wie bei Baron Münchhausen, welcher sich selbst an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht") zeigt m.E. lediglich, wie 
    lückenhaft unser Erkenntnisfortschritt hier noch ist. Falls dieser Punkt des eigentlichen Urknalls wirklich eine Singularität sei, werde der Mensch womöglich niemals imstande sein, ihn zu ergründen. 

    Braucht das Universum einen Schöpfer?

    Nun aber folgt der interessanteste Teil des Gedankengangs: Die Theorie der Entstehung eines Universums aus dem Nichts lasse einen Schöpfer zunächst überflüssig erscheinen - aber: wenn es 'vorher' weder Raum noch Zeit, sondern nur das Nichts gab - woher stammen dann die erforderlichen physikalischen Gesetze, welche die Entstehung eines Universums erst ermöglichen? 'Irgendwo' müssten diese Gesetze schon vorher 'transzendent existiert haben'.
    Becker sieht hier einen Raum für einen Schöpfer, der gleich einem Komponisten die Gesetze für die Entstehung seines Werkes erdacht hat. Diese schöpferische Kraft müsse dann raum- und zeitlos existieren, denn sie war ja schon vor dem Urknall da, als es weder Raum noch Zeit gab.

    ... eine mögliche Parallele zur hinduistischen Schöpfungsidee, in der die Götter Welten erträumen und Realität durch geistige Kraft erschaffen. Die Quantenphysik impliziere, dass erst die Beobachtung (durch eine bewusste Intelligenz) die Realität schaffe. 

    Beckers Paradigma eines pantheistischen Idealismus entspringt somit einer monistischen Grundidee - der metaphysischen Ansicht, dass die Welt und alles Geschehen in ihr sich auf ein einziges Grundprinzip zurückführen lässt. 
    Der Pantheismus sieht eine Gegenwart des Göttlichen in allen Erscheinungen der Welt. Und Idealismus (ein Sammelbegriff) betrachtet Gedanken als Ursprung und Ausgangspunkt allen Seins...jede Form von Materie sowie auch menschliche Handlungen sind nur ein Produkt von Ideen. (Ausgenommen ist hier der subjektive Idealismus, für den die Realität aus dem menschlichen Geist hervorgeht). Völlig neu ist der Kern dieser Gedanken nicht: David Bohm spricht von einer impliziten Ordnung, während Amit Goswami den Terminus "bewusstes Universum" verwendet. Worin aber liegt die eigentliche Synthese von Physis und Metaphysis? Anders gefragt: lassen sich moderne Wissenschaft und Spiritualität denn nun in Einklang bringen? 
    Vielleicht ließe es sich so ausdrücken: Wenn Gott könnte eine alles durchdringende Intelligenz ist, dann existiert nicht zwangsläufig ein Schöpfer auf/in der rein materiellen Ebene. So gesehen würden Pantheismus und moderne Wissenschaft nicht im Widerspruch zueinander stehen.
    Das könnte passen, denn auf die Frage "Was ist Gott für Sie, Herr Becker?" antwortet dieser ganz im Sinne Stephen Hawkings: beide erachten es für möglich, dass die Summe aller Naturgesetze mit dem gleichzusetzen sind, was sie mit 'Gott' verbinden. Jedenfalls hat das Bild eines persönlichen Gottes ("ein alter Mann mit Bart, der die Dinge baut...") in dieser Vorstellung keinen Platz. 

    Damit argumentiert Becker gegen das dogmatische Gottesbild und die herkömmliche Sichtweise der christlichen Kirchen - wurden die personellen Gottheiten von Menschen erschaffen, die nach einem 'Sinn von Allem' suchten? Zugleich stellt er fest, dass die Wissenschaft sich lange die Option eines mit der Materie interagierenden Gottes offen gehalten hat. 

    Wie Hawking meint auch der Philosoph Becker, angesichts der existierenden Naturgesetze sei ein Schöpfer (heute) nicht mehr zwingend notwendig, es sei denn für die Gesetze selbst (s.o.). 



    Erschuf Gott '1 - n' Universen, um sich selbst einen Sinn zu geben?

    Die Fragestellung "Und wer hat dann Gott erschaffen?" funktioniert nicht, sofern Gott per Definition als die erste aller Ursachen und Ursache in sich angesehen wird.
    Wenn aber Gott schon unendlich lange existiert, dieses Universum aber 'erst' seit 13,7 Milliarden Jahren, sei die Frage zulässig, was der Schöpfergeist denn 'vorher' gemacht habe. Musste Gott ein Universum schaffen, um sich selbst einen Sinn zu geben? Nun, 'Sinn' ist eine Kategorie des menschlichen Denkens, ebenso wie die Annahme, alles und jedes (sogar Gott) müsse eine Ursache haben.
    Eine andere Möglichkeit liege darin, die "Kausalkette um ihr erstes Glied zu kürzen", d.h. nicht von einem Schöpfer außerhalb des Universums auszugehen - sondern von einem Universum, dass sich selbst begründet: Das Universum braucht dann keine Ursache, denn es ist die erste Ursache von Allem: Es schafft und erklärt sich selbst, wie Gott. Das Bild der Schöpfung ohne transzendenten Schöpfer wird als
    Pantheismus bezeichnet (vgl. Spinoza, Hegel, F.H. Jacobi).


    Während der traditionelle Gottesbegriff im Theismus strikt zwischen Gott und Welt unterscheidet, glaubt der Pantheismus, die Welt mit Gott identifizieren zu können. Dagegen halten christliche Theologen die Transzendenz Gottes für ein wesentliches Kennzeichen, welches in der Endlichkeit des Pantheismus unzutreffenderweise aufgehoben werde.

    Das Paradigma des pantheistischen Idealismus basiert schließlich auf der Annahme, dass alles Sein sich auf göttliche Gedanken zurückführen lässt. Übrigens hängt sich Becker nicht unterschiedlos an jedes esoterische Ferkelchen, dass kaum geboren schon lautstark durchs Dorf getrieben wird: Von Ufos oder Astrologie hält er eher wenig, während Telepathie unter der Voraussetzung eines holistischen Universums plausibel sei.
    Geist als Ursache von Allem?
    Die Überlegung eines 'erschaffenden Geistes' ist nicht leicht greifbar; hier finde ich folgende Vorstellung des eingangs erwähnten Llixgrijb hilfreich:


    '... Stellen wir uns vor, das arme Llixgrijb sitzt... gefangen … Es gibt kein Entrinnen, (es) … kann nicht sterben. Sein Bewusstsein dauert an, ganz auf sich gestellt... absolut paralysiert. Wie würden wir uns verhalten? … Wir würden Welten in unserem Geist erschaffen, Welten in uns selbst … Llixgrijb schuf sich ein Universum …'

    Ist es denkbar (und wahrscheinlich), dass wir ein ferngesteuertes 'Unterhaltungsprogramm' für einen Schöpfer sind? Würde ein Universum als des Schöpfers Experiment nicht der Auffassung widersprechen, für negative Ereignisse seien entweder der Mensch oder andere natürliche Kausalketten verantwortlich? Beckers Auffassung hierzu: für Gott liege kein Sinn darin, immer dann einzugreifen, wenn etwas seinem ursprünglichen Plan zuwiderläuft, um alles wieder in die gewünschte Richtung zu lenken. 

    Man kann diese Vorstellung bis in Absurde(?) treiben: "vielleicht macht es Gott ja Spaß, intelligente Lebewesen [ähnlich wie Pawlowsche Hunde] in einem Zoo zu halten und zu beobachten, wie si auf Strafe und Belohnung reagieren." 
    Dann wäre er wirklich ein Mad Scientist - oder bloß 'fieses Kind mit einem Brenngras', wie es im Film 'Bruce Allmächtig' heißt.


    Von der christlichen Gottesvorstellung unterscheide dieses Bild sich nur insoweit, als das Christentum einen grundsätzlich guten (und allmächtigen) Gott postuliere. So hat es nach aller Beobachtung und Logik den Anschein, dass Gott 'Mißstände' in seinem Universum toleriert - als habe er, ähnlich mancher Forschungsexperimente der Menschen, einen Anfangszustand geschaffen (ähnlich einem Uhrmacher, der eine Uhr herstellt und aufzieht), um dann die weitere Entwicklung innerhalb der von ihm definierten Gesetze nur noch zu beobachten. 

    Oder wäre die Erde längst von einem Kometen oder einem Sonnensturm zerstört worden, wenn Gott dies nicht verhindert hätte?

    Die Quantenphysik widerlegt die Annahme eines von Gott installierten 'starken Determinismus': nichts sei von göttlicher Seite exakt vorherbestimmt denn auf atomarer Ebene sind Zufall und Unbestimmtheit gegeben. Quantenereignisse seien nicht vorhersagbar und daher auch nicht vorherbestimmt. Wie aber ließe sich der Sinn des gesamten Kosmos einschließlich einer ganz bestimmten mit Intelligenz ausgestatteten, aber bei weitem nicht immer intelligent agierenden Spezies ohne einen zielgerichteten Plan, ohne Gott, begründen? 

    In seiner holistischen Sichtweise fragt Becker hier nach dem Sinn des Ganzen - kann die Gesamtheit allen Seins nicht den Sinn für die Existenz in sich selbst tragen? Liegt der Sinn des Kosmos darin, einfach zu sein? 
    Aus meiner laienhaften Sicht nimmt der Aspekt des Bewusstseins hier eine zentrale Rolle ein: Sobald ein sich selbst und des Universums bewusstes Individuum das Sein wahrnimmt und mit ihm interagiert, ließe sich daraus ein Sinn begründen:


    "Die Existenz des Geistes ist der Sinn allen Seins."

    Geben wir (eher: jegliche selbst-bewusste, denkende Entität - schließlich sind wir kaum die einzigen) und dem Ganzen ('Allem was ist') schon dadurch einen abstrakten Sinn, indem wir es wahrnehmen und drüber nachdenken? Oder ist diese Sichtweise schlicht selbstreferenziell, also ein (wenn auch weit gefasster) Zirkelschluss? 'Ich denke, also bin ich, also hat das wahrnehmbare Ganze einen Sinn'??
    Manche von uns kommen aber ohne ein von außen vorgegebenes Ziel für ihr persönliches Dasein nicht aus, sofern sie nach diesem Sinn suchen. 
    „Ihr seid doch nur ein Rauch (oder: Hauch), der für kurze Zeit sichtbar wird und dann verschwindet“ (Jakobus 4, 14)
    Für eine überschaubare Zeitspanne in der Biosphäre auftauchen, denken und handeln, um dann endgültig wieder im Nichts zu verschwinden ohne wirklich Bleibendes zu hinterlassen - das allein reicht nicht jedem von uns, um einen Sinn zu ergeben. Jedenfalls dann nicht, wenn nicht einmal unsere Erinnerungen in einer geistigen Form erhalten bleiben...
    Wonach genau suchen wir, wenn wir so denken? Nach einem objektiven Sinn des Seins oder nach einer Befriedigung des eigen Egos, dass verständlicherweise nicht in der Bedeutungslosigkeit verkommen will? Schließlich machen wir von unseren Möglichkeiten Gebrauch, die Dinge um uns herum (zum Positiven?) zu verändern und verschaffen dadurch unser eigenen Existenz einen befriedigenden 'Sinn'.


    In seinem Buch 'Gottes geheime Gedanken' skizziert Volker Becker nun die Einheit des Seins auf Grundlage der Superstring-Theorie, mit der drei der vier Naturkräfte - die elektromagnetische Kraft sowie die starke und die schwache Kernkraft mathematisch zu einer 'Superkraft' vereinheitlicht werden konnten. Wenn es nun noch gelänge, diese Superkraft mit der Materieenergie sowie der Gravitationskraft und der Raumzeit zu vereinigen, dann würden wir tatsächlich auf Gottes geheime Gedanken blicken, meint er.


    Buchvorstellung: Quantenphysik und "Gottes geheime Gedanken"



    Ich habe da so meine Zweifel: selbst wenn es gelingen sollte, diese Aufgabe zu lösen, kommt dabei 'nur' eine mathematische Beschreibung von Teilen eines unübersehbaren Ganzen heraus, welche m.E. weit davon entfernt bleibt , das Wesen des Seins in all seinen Facetten zu erfassen. Zudem würden im Erfolgsfall allein die Zusammenhänge diese einzigen uns bekannten Universums erhellt. Was ist mit den (unendlich?) vielen weiteren Universen mit abweichenden Naturgesetzen, deren Existenz von einer wachsenden Anzahl ernstzunehmender Wissenschaftler zur wahrscheinlich erachtet wird?

    Ein Gott, der sich versteckt?

    Insbesondere Lebenskrisen führen zu dieser Frage, sofern die Existenz Gottes geglaubt wird: 'Bin ich diesem Gott so egal, dass er mich vollständig ignoriert?'. Auch ein Pantheist wie Becker wird diese Frage vermutlich nicht stellen, denn sie impliziert ein personifizierte Gottesbild, das Gott nicht nur als transzendenten Schöpfergeist betrachtet, sondern jenen persönlichen Gott sucht, der sich eigentlich um uns kümmern müsste. Und zwar bitte so, dass wir etwas davon mitbekommen.

    So viel ist klar: Ein allmächtiger Schöpfer, der nicht entdeckt werden will, würde ein Universum 
    konstruieren, welches ohne sein Zutun funktioniert und auch ohne sein Wirken entstanden sein könnte (bzw. den Anschein hierzu erweckt). Dadurch bliebe seinen intelligenten Geschöpfen maximale Willensfreiheit erhalten - sie dürften selbst entscheiden, ob sie Gott in ihre Lebensgestaltung einbeziehen und an ihn glauben wollen. Das 'Experiment Universum' erhielte dadurch maximale Objektivität.  
    Freilich setzen die Anbetung und Gehorsam einfordernden, monotheistischen Religionen mehr voraus als ein solches Bild von einem objektiven Gott, der nicht erkannt werden will.

    Unabhängig von dogmatischen Festlegungen und Vorgaben der Religionen gehe ich persönlich davon aus, dass 'er' durchaus erkennbare Spuren hinterlassen hat. Beispielsweise erachte ich die DNS, diesen unfassbar komplexen, universalen Bauplan aller uns bekannter Lebewesen, gleich welcher Gattung und Komplexitätsstufe, als unvereinbar mit einer auf bloßem Zufallsketten basierenden Evolution. 

    → Weiterlesen: Teil II
     
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    Letzte Bearbeitung: 28.10.2021