Samstag, 9. Juni 2012

Verteilungssysteme und die Zukunft

Wirkliche Armut habe ich persönlich erst einmal kennengelernt, in den 90ern …ausgerechnet auf den Malediven: ein kleiner, schmächtiger und wenig gesund aussehender Kerl im Alter von vielleicht 55 oder 60 Jahren bettelte förmlich darum, meinen wirklich schweren Koffer quer über die kleine Insel zu schleppen und dafür den üblichen Dollar zu erhalten.
Gefühlt habe ich mich wie ein elender Sklaventreiber – obwohl klar war, dass der Mann auf diese Erwerbsquelle angewiesen war. Er weigerte sich übrigens, für etwa 20 Minuten schweißtreibender Arbeit einen höheren als den üblichen Betrag anzunehmen; den genauen Grund dafür habe ich infolge der Sprachbarriere nicht herausgefunden.

Zwei Gedanken haben mich damals ziemlich lange beschäftigt: Ich möchte selbst nicht in einer Armutsfalle landen, in der es mir so ergeht wie dem Kofferträger auf Meeru oder noch schlechter. Ebenso wenig möchte ich zu den ‘Reichen’ gehören, die ihren Wohlstand gezielt auf Kosten des Wohlergehens anderer Menschen gründen.

Tatsächlich partizipiere ich wie viele Deutsche zumindest kollektiv an einem Wirtschaftssystem, das hiesigen Wohlstand klar über die Interessen von Menschen in anderen, meist nicht-europäischen Nationen stellt. Dass dies im Wege von Handelskriegen auch auf militärischem Wege geschieht, durfte schon Horst Köhler nicht ungestraft feststellen:

“Wer es wagt, die Dinge beim Namen zu nennen, stößt auf große Schwierigkeiten”, stellt auch der Vortragende im u.a. Video fest. Andreas Popp, der im Web mitunter als zwielichtige Unternehmer-Persönlichkeit mit esoterischen Anwandlungen dargestellt (oder gezielt diskreditiert?) wird, soll mal zur rechten Szene gehören, dann wieder wird er dem linken Spektrum zugeordnet.
In dem verlinkten Vortrag wird jedenfalls nichts über Kriegsschuldfragen oder ähnlich heikle Themen gesagt. Allerdings wird die Frage der Rechtsstaatlichkeit im Zusammenhang mit der Euro-Einführung aufgeworfen, die im Falle Deutschlands  strafrechtliche Relevanz besessen habe.
Wer Popp nun unbedingt im politischen Spektrum einordnen will, dem mag die Info helfen, dass er einer der Mitbegründer der Piraten-Partei ist; vgl. dazu ein Interview auf SPIEGEL ONLINE (v. 16.9.2009) mit dem Titel ‘So eine Alternative suchen viele Leute’ .

Popp will einen ‘Plan B’1) entwickelt haben, der einen Lösungsansatz aus dem gegenwärtig völlig verfahrenen Finanzsystem aufzeigen soll, welcher ohne maximale Krise als Initialzündung eines System- und Wertewandels auskommen will. Er prägt Begriffe wie ‘Danistakratie’ (manchmal als ‘die Herrschaft des Wuchers’ übersetzt), um das gegenwärtige Geld- und Zinseszins-System als zum Scheitern verurteilte Maschinerie zur Umverteilung des materiellen Reichtums an einen kleinen Zirkel zu brandmarken. Dass dieser Zirkel auf dem besten Wege ist, auch politische Entscheidungswege zu beeinflussen und letztlich zu vereinnahmen (Plutokratie), kann meiner Beobachtung nach kaum mehr bestritten werden,

Mein erster Eindrück speist sich nicht aus den Beurteilungen Dritter, sondern aus dem Inhalt des u.a. Vortrages: Der Mann weiß wovon er spricht und ich habe das Gefühl, es stimmt, was er sagt.

Dass “dieses System nicht dem Volk dient”, ist spätestens seit der erzwungenen Priorisierung von Bankenrettungen und der Situation von Beziehern der Grundsicherung Hartz IV (“fünf Euro mehr”) offensichtlich. Wie immer, so gilt auch und gerade für solche Vorträge: Bitte ein eigenes Urteil bilden und nicht etwa die Thesen Popp’s unreflektiert übernehmen (oder pauschal ablehnen), nur weil’s erfrischend anders als die Phrasen vieler Politiker klingt, die gebetsmühlenhaft das alternativlose Festhalten am Euro und dem gegenwärtigen Finanzsystem predigen.

Stellenweise wird der Vortrag etwas plakativ (“Deutschland bezahlt die EU”, “Die Pharma-Industrie produziert nachhaltig Dauerkunden”, “Hanf ist harmloser als Alkohol” usw.); vermutlich würde Popp sehr schnell dem Vorwurf des ‘Populismus’ begegnen, sobald die etablierte Politik sich mit seinen Thesen befassen würde.
Er stellt aber auch klar, dass das Ziel nicht darin bestehen darf, “den Reichen etwas wegzunehmen, um es den Armen zu geben”.
Vielmehr müsse ein Prozess gestoppt werden, der absehbar in einen wirtschaftlichen Kollaps führe – ist dies nicht genau der Extrakt einer intuitiven Empfindung, die viele von uns beschleicht?

Gut möglich, dass sich ein Denkfehler in den Gedankengängen und der Konzeption von Andreas Popp befindet – jedenfalls sein Vortrag nicht manipulativer als Wahlkampfreden und Angies Regierungserklärungen.
Während seine Gegner den in Kanada lebenden Popp als Einäugigen betrachten, der mit einer Flöte verführte Blinde um sich schart, bringt der Mann immerhin den Mut auf, ohne den Schutz der relativen Anonymität des Internets kritische Fragen zu stellen und einen subjektiven Lösungsweg zu zeichnen.

Sein Ansatz impliziert und befürwortet offenbar einen Staatsbankrott, dessen Auswirkungen allerdings verharmlost werden. Einfach eine neue Währung einführen und nach einem Schlußstrich einen unbelasteten Neuanfang wagen? So kalkulierbar und einfach sind die impliziten Risiken dann wohl doch nicht.
Hier sehe ich den Vortragsstil von Popp ausgesprochen kritisch, da er die tatsächlichen Auswirkungen einer staatlichen Insolvenz (die kaum geordnet verlaufen kann) bewusst verharmlost! Die Geschichte kennt genügend Beispiele für chaotische Zustände, die vorübergehend infolge von Staatsinsolvenzen (z.B. Argentiniens) begleitet haben. Auch dürfen wir die besondere historische Situation Deutschlands nicht ignorieren – ein wirklich ‘positiver Staatsbankrott’ ohne ernstlich Leidtragende wäre ein Novum! Einen diesbezüglichen Alleingang wird die ohnehin argwöhnische Schutzmacht jenseits des Meeres zudem kaum zulassen, zumal ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen fraglos unmittelbar betroffen würde.
Auch wenn dies die Herbeiführung einer Beschlusslage und Konzeptionierung erheblich erschwert, führt vermutlich kein Weg an einem multilateralen Turnaround vorbei.

Man darf und muss sich jedoch fragen, ob ein Kollaps des gesamten Finanz- und Wirtschaftssystems ohnehin unausweichlich ist:

  • Aktuell mehren sich die Anzeichen, dass Spanien ein Hilfeersuchen an die Retter und ihren Schirm richten wird – von 40 Milliarden € ist die Rede.
  • Griechenland benötigt überhaupt erst einmal eine arbeitsfähige Regierung, um einen Staatsbankrott vielleicht noch abzuwenden.
  • IWF und Notenbankern verschärfen den Kapitalbedarf noch durch strengere Eigenkapitalregeln zur Unzeit (‘Basel III’)
  • Derweil hofft das politische Deutschland immer noch, halbwegs ungeschoren davonzukommen, klammert sich an seine A-Note bei den Ratingagenturen und leiht sich Geld zum Nulltarif, während andere Staaten bis zu 7 Prozent Zinsen aufbringen müssen…

Man muss nicht Mathematik studiert haben, um zu erkennen, dass die Transferressourcen früher oder später erschöpft sein werden; die deutsche Kreditwürdigkeit hat ebenfalls Grenzen.

Derweil verschlechtert sich die Stimmung drastisch: Deutsche spotten über die angeblich trägen Griechen, die sich gegen die deutsch-europäische Bevormundung mit Merkel-Karikaturen zur Wehr setzt und die Briten sich über Merkel-Bilder mit Hakenkreuz-Armbinde delektieren.

Popp spricht in diesem Kontext von den Versuchen der Politik, allenfalls noch die Fallhöhe zu optimieren. Hochaktuell bleibt insoweit seine Skepsis gegenüber dem sog. ESM-Vertrag – ein ‘Rettungsschirm’, welcher die selbsternannten Retter auf unabsehbare Zeit knebelt und als Körperschaft rechtliche Immunität besitzen soll (Popp verweist auf ein vierminütiges Video, das bereits 2011 von Abgeordneten-Check.de auf YT eingestellt wurde):


Aus dem Inhalt:

‘Zu den wichtigsten Fakten des Vertrages soll die Aufstockung des Euro-Rettungsfonds auf 700 Milliarden Euro gehören. Alle Mitglieder des ESM hätten Zahlungsforderungen "unwiderruflich und bedingungslos zuzustimmen".
Weiterhin genieße der ESM vollständige gerichtliche Immunität. Das Grundkapital könne selbstständig aufgestockt werden und Enteignungen würden vertraglich ausgeschlossen…’

Als sicher kann angenommen werden, dass Menschen wie Popp oder der mindestens ebenso umstrittene, durch den Hype um seine Bücher Millionen verdienende Thilo Sarrazin viel Applaus von der falschen Seite erhält – doch allein darin mag ich keinen Beleg dafür erkennen sehen, dass ein Ansatz inhaltlich falsch oder gar verwerflich ist.

Zugegeben, wer hat schon mitten im Sommer Lust, sich einen mehr als zweistündigen Vortrag über ‘so langweiliges Zeug’ anzutun… Andererseits regnet es gerade und das ‘langweilige Zeug’ könnte unser eigenes Leben nachhaltig beeinflussen.Zwinkerndes Smiley

Hier nun der gesamte Vortrag:

Ein Fazit…

…ist angesichts der Komplexität der Thematik schwierig. Denn die Grenzlinie zwischen realen, berechtigten Existenzängsten und den Effekten der medialen Inszenierung verschwimmt zusehends. Davon unberührt bleiben die nüchternen Fakten: Als Individuen haben wir null Einfluss darauf, ob und wann ein Finanzcrash einritt.

Die von Popp diagnostizierte Angst vor Verelendung existiert wirklich2) , und sie macht Menschen tatsächlich krank.
Doch wem helfen abgehobene Ratschläge eines Spitzenverdieners nach dem Motto ‘Lächeln und Winken – “Vermeiden Sie Fehler. Handeln Sie immer autark und vor allem entspannt…alles wird gut”??
Auch von Empfehlungen zur Umschichtung und Sicherung von Vermögenswerten profitieren allenfalls jene, die auch bisher nicht zu den ‘Systemverlierern’ zählen.-

Fraglos ist ein Finanzcrash in Europa derzeit wahrscheinlicher als der nach wie vor wild diskutierter Weltuntergang. In einer Währungskrise oder eventuellen -umstellung ist die Knappheit von akzeptierten Zahlungsmitteln ein wesentlicher Punkt, gefolgt von der möglichen Verknappung von Gütern des täglichen Bedarfs.

Derzeit haben wir die Möglichkeit, Krisenvorsorge zu treffen und uns auf das vorzubereiten, was kommen kann.
Sich im Zuge einer verbreiteten Anspruchshaltung (‘Wozu zahle ich Steuern’) allein auf den Staat zu verlassen, halte ich für gefährlich. Eher sollten wir wir mögliche Folgen für den Fall mildern, dass die staatlichen Versorgungssysteme vorübergehend nicht mehr funktionieren.
Einschlägige Websites empfehlen Nahrungsvorsorge durch Einlagerung von Langzeitlebensmitteln (und Trinkwasser!) sowie den Kauf von Edelmetallen in kleiner Stückelung – z.B. Silbermünzen, die gleichzeitig auch einen Wert als gesetzliches Zahlungsmittel besitzen - sind wohl die besten Möglichkeiten zur Krisenvorsorge. Ein paar Hilfsmittel (von der Taschenlampe über das batteriebetriebene Radio bis zum Esbitkocher…) sind auch kein Fehler. Ein paar Hinweise und Links finden sich
hier.

Gesundheitliche Vorsorge ist ein weiterer Punkt. Bestehen Anzeichen für noch unbehandelte Erkrankungen (und wenn es nur der unliebsame Besuch beim Zahnarzt ist)? Ein Arztbesuch schafft Klarheit und gegenwärtig sind Medikamente sowie Therapieangebote zur Genüge vorhanden.

Siehe auch:

Anmerkungen:

1) Dieser ‘Plan B’ beschreibt eine “tatsächliche Neuordnung” des Finanzsystems und wird beispielsweise hier skizziert.

2) Diesen Effekt muss ich in meinem eigenen Umfeld beobachten, wenn erkrankte Mitarbeiter und Kollegen sich aus Angst vor einem Jobverlust gegen jede Vernunft zur Arbeit schleppen. Kaffee und Nikotin sind noch die ‘harmloseren’ Nahrungsergänzungen, mit deren Hilfe die eigene Leistungskraft krampfhaft optimiert werden soll…

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