Sonntag, 17. November 2013

The Work - das Ende aller Probleme?!

Vielen 'Ab heute mach' ich alles anders'-Methoden stehe ich zwar nicht ablehnend, aber doch skeptisch gegenüber – soweit es mich selbst betrifft und weil ich meinen inneren Schweinehund aus vielen praktischen Erfahrungen kenne (das ist keine Überzeugung, sondern eine Feststellung:)

Meist verläuft solch ein Aha-Erlebnis für mich in drei Schritten ab:
  1. Die Analyse (‘Selbsterkenntnis, Umwandlung der Opferrolle in ein Verständnis dessen, was ich selbst verursacht habe) klappt recht gut, vielleicht sogar zu gut (zu viel auf einmal erkannt)
  2. Die Ableitung von Vorsätzen findet zwar statt, aber schon etwas gebremst – denn mit fast 50 kenne ich mich samt meiner (Stärken und) Schwächen…und ich weiß sehr genau, dass jeder neu gefasste Vorsatz ein weiteres Messinstrument ist, dass ich ‘ab morgen an mich anlege.
  3. Die Realisierung lässt sich als exponentielle Reduzierung visualisieren: in dem Maße, wie mich der Alltag wieder packt, bleiben die an sich positviven Vorsätze auf der Strecke (ja ich weiß, dass ich selbst es zulasse, dass ‘er’ mich wieder im Griff hat – doch wenn sie ehrlich sind, können sich die wenigsten Menschen mal eben von ihren Alltags-Zwängen und –nöten befreien. So ein Rundumschlag wäre zwar toll, doch wen müsste ich nicht alles vor den Kopf stoßen, wollte ich überall dort ‘eine neue Wahl treffen’, wo dies wünschenswert erscheint…).
Lange Rede, kurzer Sinn: Mein gesamtes Leben als Folge eines Selfmanagement-Vortrages umkrempeln, kann 8ch nicht …und möchte ich vielleicht auch gar nicht, schließlich ist bei weitem nicht alles negativ besetzt, was ich bisher so getrieben habe.
Warum schaue/höre ich mir solche Vorträge dennoch ab und zu an? Nun, ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es eine Strategie vieler kleiner Schritte geben könnte – die zu ihrer Wirksamkeit zwar auch eine Konsequenz im Denken und Handeln erfordert, dabei aber verdaut werden kann und deshalb nicht an den Klippen des Alltags zerschellt.
The Work von Byron Katie ist so ein gut verdauliches Handwerkszeug, das auch aber bei weitem nicht nur im psychotherapeuthischen Umfeld zur Anwendung kommt.

Ausgangspunkt: 
Das einzige Leiden ist ein verwirrter Geist”:
  • Menschen leiden, wenn sie stressbehaftete Überzeugungen haben.
  • Das Hinterfragen dieser Überzeugungen kann positive Veränderungen bewirken kann.
(Wie leicht konditionieren wie uns mit Aussagen wie ‘Ich habe damit ein Problem’, wodurch erst die subjektive Bewertung eines Sachverhaltes eine hartnäckige Überzeugung in uns entstehen lässt.)

Die Methode The Work soll anhand von vier Standardfragen den Wahrheitsgehalt einer  Überzeugung überprüfen, welche Leid verursacht. Mit diesen vier Fragen kann man hinterfragen,

  • inwieweit diese Überzeugung ungünstige Auswirkungen auf den persönlichen Zustand hat
  • und wie der persönliche Zustand ohne diese hinderliche Vorstellung wäre.
Das Ziel: feste Überzeugungen hinterfragen, belastende Gedanken erkennen, darüber neue Vorstellungen  entwickeln und Umstände oder Beziehungen in einem anderen Licht wahrnehmen.

Ausgangspunkt der Analyse mit The Work ist ein eigenes Urteil über sich selbst, über einen anderen Menschen oder über einen Lebensumstand. Die diesbezüglich durch die Fragen ausgelöste Innenschau kann als Hilfe zur Selbsthilfe betrachtet werden. Damit die sich selbst prüfende Person nicht aus der Frageroutine ausbricht, wird die Methode The Work schriftlich angewandt. Die vier Standardfragen lauten:
  1. Ist das wahr?
  2. Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?
  3. Wie reagierst du (was passiert in dir), wenn du diesen Gedanken glaubst?
  4. Wer wärst du ohne den Gedanken?
Diplom-Psychologe und Buchautor Robert Betz ( zur Person) greift diese Methodik auf, erläutert sie und nennt Anwendungsbeispiele:




Das Angenehme daran: auch ‘Kopffüßler’ kommen dabei auf ihre Kosten, denn sie erhalten ein vortreffliches Werkzeug für ihren Verstand, der bislang zwar vielleicht gut funktionierte, aber ‘verschwenderisch’ für zu viele alte, negative Gedanken und deren fortwährende Bestätigung.

Tipps zur Anwendung...und was bitte sind 'Arschengel'?:
  • Gedanken schriftlich festhalten, sonst verpufft die Wirkung binnen weniger Minuten…wir tricksen uns zu leicht aus…
  • Beobachterhaltung: Routinetätigkeiten nutzen, um sich selbst zu beobachten und ‘Gedachtes’ notieren…Aha-Erlebnisse sind garantiert...
  • Beim vierten Schritt ist die eigene Vorstellungskraft gefragt; hierbei kann es helfen, sich drei konkrete Situationen auszudenken, in denen man ohne den betreffenden Gedanken 'auskommt'. Das Resultat kann, je nachdem, eine geradezu befreiende Wirkung haben - sobald man für sich realisiert, um wie vieles einfacher man es sich macht, wenn man auf eine unangebrachte Überzeugung verzichtet bzw. verzichten würde.
  • Nachfolgender, deutlich kürzerer Vortrag wendet The Work auf zwischenmenschliche Beziehungen an. R.Betz hat eine interessante Bezeichnung für jene Menschen in unserem Leben, über die wir uns wiederholt ärgern, aufregen und stressen: er nennt sie liebevoll "Arschengel", denn wir halten sie für das erstere, sie erweisen sich jedoch oft als Engel? Mein früherer Vorgesetzer soll ein Engel gewesen sein? In  gewisser Weise kann man das so sehen, denn sein cholerisches Verhalten hat mich durchaus auf bestimmte Eigenheiten meiner Person hingewiesen...

So einfach kann es doch nicht sein!?

Unser Verstand ist auf Komplexes, Schwieriges programmiert – und auf Gewohntes. Es erfordert keinen gewaltigen Paradigmenwechsel, sich auf die Anwendung von The Work einzulassen – in dem Maße und auf die Anwendungsfelder bezogen, wie man es selbst für zweckmäßig erachtet.
Dabei ist mir besonders wichtig, dass mir keine künstliche Überzeugung antrainiert wird: kein zwanghaft positives Denken, kein Aufsagen nicht wirklich für wahr erwarteter Mantren wie “Ich bin ein herrliches Wesen”, “Ich bin ein Gänseblümchen” oder "Alles wird gut! Und auch keine Übungen vorm Spiegel, bei denen zumindest ich mir bescheuert vorkomme (was ein interessantes Anwendungsbeispiel für The Work wäre…).
Es geht also nicht darum die Lebenssituation zu akzeptieren und nichts mehr zu verändern. Vielmehr sollen 
"...feindselige Haltungen gegen die gegenwärtigen Umstände nicht länger aufrechterhalten werden, welche in endlos belastende Grübeleien münden, die ihrerseits wiederum die Lebensqualität verschlechtern".

Abnicken und akzeptieren?

Tatsächlich kann The Work kann missverstanden und irrtümlich als “eine von Apathie gekennzeichnete Abnickhaltung” interpretiert werden. Eben darum geht es aber nicht bei dieser Methode – es kommt halt darauf an, wie und worauf sie angewendet wird. The Work eignet sich nicht dazu, objektive Mißstände (Erkrankungen, Schulden, usw.) zu beseitigen - ein somatisches Leiden lässt sich nicht weg-analysieren, sondern erfordert einen Arztbesuch.
Doch es hilft enorm, subjektive Überzeugungen zu entlarven, man habe ein Problem (welches aber allein in dieser Überzeugung besteht bzw. durch sie hervorgerufen wird.)

Robert Betz und auch Byron Katie gehen in ihren sonstigen Vortragsinhalten noch weiter und empfehlen, alle Lebensumstände "in Liebe anzunehmen"...sorry, aber dazu reicht es bei mir nicht. Schon das Beispiel im o.a. Video ("Wenn Sie nicht schlafen können, dann sollen Sie auch nicht schlafen, sondern wach sein") läuft schon nach wenigen Tagen frontal gegen eine Wand.

Die Eingangsfrage 'Das Ende aller Probleme?' ist auch mit The Work fairerweise zu verneinen. Buchtitel wie "Wer wäre ich ohne mein Drama? (B. Katie) suggerieren, wir seien lediglich ein Volk von Selbstdarstellern seien, deren 'Probleme' vorwiegend auf falschen Überzeugungen basieren. Da ist zwar auch viel Wahres dran, aber ganz soo einfach ist es dann doch nicht. Eben darum ist The Work hilfreich für mich - bei der klaren Unterscheidung von subjektiven (und evtl. falschen oder verzerrten Überzeugungen) und tatsächlichen Herausforderungen, die eine sachgerechte Reaktion erfordern.
 Dass 'sachgerecht' nicht z.B. heißt, bei andauernden Kopfschmerzen andauernd Tabletten einzunehmen, steht auf einem anderen Blatt. Bei einem PKW schalte ich ein Warnsignal auch nicht ab, sondern suche und behebe die Ursache...dann erlischt auch das Warnsignal...

The Work ist nicht mehr und nicht weniger als schonungslose Selbstreflexion - anstatt sich als Opfer anderer zu verstecken, wird man immer auf sich selbst zurückgeführt. Auf diesem Wege wird emotionaler Stress deutlich reduziert - in dem Maße, wie man sich selbst unangebrachten Überzeugungen unterworfen hat.
Bedenklich finde ich dagegen, wenn mit Schlagworten wie "Auflösung von Depressionen" für eine Selbsterkenntnismethode geworben wird. Es gibt nun mal seelische Erkrankungen, die eine therapeutische Behandlung erforderlich machen - innerhalb der auch eine Methode wie The Work als ein Baustein zur Anwendung kommt. 

Abschließend ein persönliches Beispiel:
Früher habe ich es gehasst, Präsentationen stehend vor einer Gruppe zu halten, denn im Laufe meines Vortrages 'wurde ich' von abschätzenden Blicken verunsichert. Dies hatte durchaus einen sachlichen Grund (ich bin ziemlich groß), mein Problem war aber die subjektive Überzeugung, dass sich mein Auditorium an meiner körperlichen Länge stören würde. 
Ein Coach machte mich während eines Seminars erstmals mit The Work bekannt; und mir wurde einiges klar:
Zwar bin ich 'etwas' größer als der Durchschnitt. Doch das stört niemanden ernstlich, außer vielleicht in den ersten Minuten des Kennenlernens - bei einer Präsentation kommt es auf Inhalt und Darstellungsweise an, aber nicht auf die körperlichen Vorzüge des Vortragenden.
Es besteht also keine Notwendigkeit, mir derartiges einzureden - denn ohne diese Gedanken vermag ich meine Präsentation deutlich unbefangener zu halten.
Seitdem bin ich zwar immer noch nervös vor einem solchen Vortrag, aber ich rede mir keine 'schiefen Blicke' mehr ein...


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