Samstag, 23. November 2013

Epigenetische Prägung - Vererbung ist mehr als die Summe der Gene

Prof. Dr. Johannes Huber im Gespräch


Die Epigenetik befasst sich mit Eigenschaften von Organismen und Zellen, die zwar auf Tochterzellen vererbt werden, aber nicht in der DNA eines Lebewesens festgelegt sind. Epigenetiker gehen heute davon aus, dass durch bestimmte Veränderungen an den Chromosomen die Aktivität von Abschnitten oder sogar ganzen Chromosomen in ihrer Aktivität beeinflusst werden (epigenetische Prägung). Die DNA-Sequenz wird dabei jedoch nicht verändert.
Sondern Schaltermoleküle, Eiweiße und andere Signalstoffe der Zelle bestimmen, ob und wann Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Diese epigenetischen Veränderungen steuern die Krebsentstehung, verursachen Probleme in der Stammzelltherapie und beim Klonen und bestimmen, welche Eigenschaften vom Vater und welche von der Mutter vererbt werden.

Professor Huber geht vor allem auf epigenetische Mechanismen ein, die bereits während der Schwangerschaft zum Tragen kommen und bestimmte Eigenschaften des werdenden Kindes ein erheblichem Ausmaß beeinflussen. Vor diesem Hintergrund kommt nicht nur der körperlichen, sondern auch der seelischen Wohlergehen der Frau während der Schwangerschaft eine besondere Bedeutung zu.

Die schwangere Frau sei vor Stress, Mobbing und ähnlichen Belastung zu schützen, weil solche Stress-Situationen weitervererben sich und so auf die spätere seelische Gesundheit des Kindes auswirken.

Auch in der Krebsforschung spielt die Epigenetik eine wachsende Rolle: Im Laufe des Alterungsprozesses ermöglichen epigenetische Veränderungen den Zellen, auf Umweltveränderungen und Einflüsse zu reagieren, ohne dass die DNA selber geändert werden muss. Diese Anpassung kann notwendig sein, doch entstehen auch viele Krebsarten unter anderem dadurch, dass die Gene für wichtige Reparaturenzyme oder Schutzmechanismen epigenetisch ausgeschaltet werden.

Bei aller Einsicht in solche Prägungsvorgänge wird man m.E. achtgeben müssen, dass die Eigenverantwortung des Individuums keine übermäßige Bagatellisierung erfährt. Ich denke da an Justiz und Strafvollzug - schon heute nehme ich mit Unverständnis zur Kenntnis, dass Täter nach Begehung einer schweren Straftat mehr öffentliche Zuwendung und Unterstützung zu erhalten scheinen als deren Opfer. Mich würde nicht wundern, wenn in fünf oder zehn Jahren die ersten findigen Rechtsanwälte den Versuch unternähmen, unter Verweis auf die epigenetische Schädigung eines Mandanten ein milderes Urteil für diesen zu erwirken.




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