Montag, 30. April 2012

Cyberdeath und virtuelle Friedhöfe?

Des Menschen Bequemlichkeit kennt keine Grenzen…obwohl ich mir dessen (aus eigener Anschauung) bewusst bin, hat es mich heute doch sehr überrascht, als ich die Existenz von Friedhöfen im Internet erstmals zur Kenntnis genommen habe. "Die moderne Technik hat auch dem Totengedenken eine neue Dimension gegeben", kommentierte Heise online bereits im Jahr 2000: schon Mitte der neunziger Jahre seien die ersten virtuellen Friedhöfe im Internet eingerichtet wurden. (Vgl. "Hintergrund: Immer mehr Friedhöfe im Internet", heise.de)
Darunter ist weder ein makabrer Gag noch eine Comicvariante mit nekrophilen Einschlägen zu verstehen, sondern ein ernstgemeintes Internetangebot. Die Anbieter von Webfriedhofseiten werben mit mehr oder weniger klaren Vorteilen:
Durch Anlegen eines virtuellen Grabes auf einem der erstaunlich zahlreichen Cyberfriedhöfe verschafft man sich ‘im Handumdrehen’ eine individuelle, öffentlich zugängliche Stätte zwecks Gedenken an einen lieben Verstorbenen. Noch dazu ohne Kosten (meistens, aber es gibt auch kostenpflichtige Angebote - mit unterschiedlichen Preisklassen, je nach Ausstattung?)
Der ebenso virtuelle Besuch von Friedhof, Grab und Verstorbenem sei ist bequem und jederzeit von zu Hause vor dem Computer sitzend möglich. Auf diesem Wege lässt sich kondolieren und Kondolenzen entgegen nehmen.  

Verglichen mit einem realen Grab bestehen individuelle bis ausgefallene Gestaltungsmöglichkeiten: Persönliches von Verstorbenen wie z.B. Briefe, Gedichte oder Fotos Bilder, Photos, etc.) solle dem ‘letzten Internetauftritt’ eine persönliche Note verleihen. Denn schließlich erscheine auf einem gewöhnlichen Grab “nur der Name, das Todes- und das Geburtsdatum”.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Todesanzeigen seien diese Friedhöfe zeitlich unbegrenzt präsent und  weltweit erreichbar. Von der "Möglichkeit der öffentlichen Trauerarbeit" ist auch die Rede.
Zudem verschaffen die Memorials auch Zuspruch - teilweise in einem Umfang, der im persönlichen Umfeld kaum erreichbar ist.

Zwar möchte ich mich nicht auf Kosten der Nutzer solcher Seiten lustig machen, doch sehe ich mehrere kritische Aspekte von Cyberfriedhöfen:
  • Ist eine kostenlose Internetseite (auch bei ‘ansprechender’ Gestaltung) inzwischen ausreichend, um ein Trauer- und Erinnerungsbedürfnis zu befriedigen? 
  • Trauerbewältigung hat für mich auch mit Kommunikation zu tun. Zugegeben, manch ein trauernder Mensch "braucht einen Ort, den er aufsuchen und unter Umständen an dem er beten und mit dem Verstorbenen sprechen kann". Kann dieses Bedürfniis mit ein paar Mausklicks gehandhabt werden?
    Zeigt das Vorhandensein virtueller Grabanlagen nicht eher, wie sehr die Lebens- und Verarbeitungsweise mancher Personen verflacht?
  • Eignet das Thema Tod – gerade bei persönlichem Betroffensein für den öffentlichen Charakter des Webs? Bietet Facebook demnächst eine Cyberdeath-Sparte an1)?
    Die individuellen Vorlieben sind hier sehr verschieden, denn eine wachsende Anzahl Menschen gibt bereits ihre Trauer (oder Anteilnahme) derart öffentlich preis.
  • Was ist, wenn der Betreiber der Webseite Insolvenz anmeldet oder den Betrieb aus irgendwelchen Gründen einstellt? (Bei kostenlosen Angeboten wird sich dies jedenfalls nicht verhindern lassen)
  • Zu hoffen steht, dass der Verstorbene in jedem Einzelfall mit dieser öffentlichen und, wie ich meine, profanen Präsentation seines Ablebens einverstanden war!
  • Besteht nicht eine erhebliche Missbrauchsgefahr durch fiktive Todesanzeigen und durch verletzende Eintragungen in den Gästebüchern? Auf einigen dieser Grabanlagen erscheinen die vollständigen Namen verstorbener Personen – gleich neben dem Button für ‘Gedenkstätte weiterempfehlen’…

    Kommerzialisierung macht auch vor dem Cybertod nicht halt – jedenfalls existieren dort Werbeeinblendungen für Steinmetze usw.
Mein Problem mit diesen Offerten liegt woanders: Erstens mag ich keine echten Friedhöfe und vermeide Besuche dort, wann immer es möglich ist. Um einer verstorbenen Person zu gedenken oder so etwas wie stumme Zwiesprache mit ihr zu halten, benötige ich weder einen physischen noch einen virtuellen Platz/Ort ...dem für mein Empfinden so gar nichts Angenehmes anhaftet.
Solch ein virtueller Friedhof macht es mir nicht möglich, dem Anliegen seiner Nutzer (der Trauernden) eine sonderlich hohe Bedeutung beizumessen. Für mein Empfinden schwingt da zu viel Selbstdarstellung mit.
Nun ja, dass Menschen sich im Internet auch mit dem Tod beschäftigen, ist verständlich. Trotzdem, ähnlich wie früher meine (konventionell bestattete) Großmutter fange ich an mich zu fragen:

“Wo soll das noch hinführen?” - wenn man schon

  • 'per Telefon mit dem Verstorbenen im Grab reden' kann: bereits seit 2005 kann man für 1500€ ein Spezial-Handy für den Einsatz in Gräbern kaufen kann – mit extrem langlebigen Batterien und einem kleinen Lautsprecher. Die automatische Rufannahme muss aktiviert sein - Rangehen wäre ja schwierig.
    ”…oft ist ein persönlicher Besuch am Grab wegen Zeitmangel nicht möglich.”
  • seine Restlebenszeit ausrechnen lassen kann (klingt nach Verfallsdatum…und Raucher bekommen einen Vorwegabzug und Korpulente werden geradezu beschimpft…),
  • Hasso, Fipsi und Tweety im virtuellen Tierhimmel verewigen kann – mit Grabstein und In-stillem-Gedenken-angezündete-Kerzen-Statistik. (Slogan: "Tot ist nur, wer vergessen ist") 
Und wenn ich die ‘Halle des Lichts’ besuche, reagiere ich betroffen: Dort kann man für jemanden oder aus einem bestimmten Anlass “eine Kerze anzünden” – virtuell, versteht sich. Wer anschließend den Mauszeiger auf eine Kerze bewegt, liest den hinterlegten Text oder das Bild (ein Foto?). Alles beinahe wie in echt: Die Kerzen brennen langsam ab und werden automatisch entfernt, wenn sie ganz abgebrannt sind.
Einige Nutzer scheinen den Service als Tierfriedhof aufzufassen, während andere sehr ernste Gedanken hinterlassen haben.

Dagegen hätte eine posthum aktivierte Abschiedshomepage (vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten vorbereitet und für Jahre vorausbezahlt) einen gewissen Charme – www.licht_am_ende_des_tunnels.de oder etwas in der Art. Könnte eine Geschäftsidee sein, allerdings wiederum mit Mißbrauchspotenzial. Manch einer würde wohl der Versuchung ‘erliegen’, seinen Zeitgenossen endlich einmal zu eröffnen, was er sich früher nie zu sagen traute…
Bis jetzt kann man mit ‘Slightly Morbid’ nur seine früheren WoW-Kumpels benachrichtigen und Bin-dann-mal-weg-Emails versenden lassen. (vgl. ‘Online-Leben nach dem Tod’)


Ein Bedürfnis nach dergleichen Angeboten besteht demnach, auch wenn diese Erscheinungsform bei mir Unverständnis auslöst. Vielleicht besitzen virtuelle Friedhöfe und vergleichbare Dienste ja einen ergänzenden Wert, zusätzlich zu seinem realen Gegenstück?
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Anmerkungen:


  1. Ich hatte ja keine Ahnung, wie nahe meine leichthin geäußerte Vermutung bei der Realität liegt. Mehrere Social Networks arbeiten derzeit an Verfahren, wie sie mit verstorbenen Mitgliedern umgehen. So bietet Facebook mittlerweile die Möglichkeit, Nutzerprofile in Gedächtnisseiten umwandeln zu lassen

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