Samstag, 5. Mai 2012

Ökonomie contra Philosophie

Sternstunde Philosophie

In einem kontroversen Gespräch diskutieren der Ökonom Ernst Fehr und der Philosoph Richard David Precht darüber, welche Disziplin heute Antworten für eine zukunftsfähige Gesellschaft liefern kann.

Ist der Mensch tatsächlich als kooperatives Wesen “mit dem Instinkt für das Gute ausgerüstet”? Ein Blick auf die Nachrichtenlage lässt mich ernstlich daran zweifeln. Auch Precht sagt deutlich:

“An eine intrinsische Motivation des Menschen, etwas für den Erhalt der Gattung zu tun, glaube ich nicht.”

Instinkt (“Naturtrieb”) bezeichnet eine genetische Anlage, welche das Verhalten über Automatismen steuert. Da man den Menschen ein willentliches, entscheidungsbasiertes Verhalten unterstellt, gelangt dieser Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung eher bei Tieren zur Anwendung.
Zählt man die Spezies Mensch aus evolutionsbiologischer Sicht auch zu den Tieren, dann kann man dessen ‘Instinkt’ weder etwas Böses noch etwas Gutes attestieren. Precht weist auf die Zweischneidigkeit unserer ‘Anlagen’ hin, die sich sowohl positiv als auch negativ auswirken können. Freilich haben die Psychologie und auch die ‘Verhaltensökonomie’ diesen Begriff nie eindeutig definiert, heute meint seine Verwendung oftmals das ‘tiefe, ursprüngliche Bemühen’ aller Menschen um das Gute.

Ob genetisch determiniert oder kraft eigener Entscheidung – die Hang zum Guten vermag ich so oder so nicht bei allen Menschen auszumachen. Sicher werden viele im Laufe ihrer Sozialisierung zu einem ‘Teil jener Kraft, die Gutes will und Böses schafft’ (bei Faust lautet die Aussage anders) – und fragen sich zum Ende ihres Lebens, wo sie falsch abgebogen sind.
Doch wir sehen auch eine wachsende Anzahl von Leuten, denen moralische Kategorien von Richtig oder Falsch weitestgehend gleichgültig sind – solange sie nicht persönlich oder materiell von Gewalt und Unruhen beeinträchtigt werden.

‘Fairness’, ein in der u.a. Diskussion thematisierte Gesinnungs- und Motivationsfaktor, entsteht nicht aus einer Veranlagung, sondern aus Einsicht und vielleicht auch aus Inspiration (oder einer Form von Egoismus, wie es im u.a. Gespräch mehrmals anklingt). Sie geht m.E. über das Vernünftige (Leben und leben lassen) hinaus:

Fairness drückt einerseits eine individuelle Vorstellung von Gerechtigkeit und Angemessenheit aus, und impliziert eine altruistische Komponente – die Bereitschaft auf persönlichen Verzicht im Interesse eines Ausgleichs. Richart Precht stellt fest, dass Kappuzineraffen sehr wohl einen Sinn für Unfairness haben, das ihnen aber ein Sinn für Fairness fehlt (vgl. auch ‘Fairness bei Affen’) – gezeigt durch ein Experiment von Dr.. Sarah Brosnan:

Die Verhaltensforscherin hat mit den Kapuzineraffen einen einfachen ‘Handel’ begonnen. Die Affen mögen Gurken einigermaßen, aber Weintrauben sind für sie richtig lecker. Erhält ein Affe eine Weintraube und muss der andere sich mit einer Gurke begnügen, dann entsteht bei dem zweiten deutliche Frustration.

“Erhalten beide Kapuziner Gurkenstücke, dann tauschen sie ausgesprochen gerne. Wenn ich aber nur dem einen eine Weintraube gebe, dann reagiert der andere ausgesprochen heftig. Er weigert sich, den Kiesel zurückzugeben oder er gibt ihn zurück und will dann die Gurke nicht haben. Das ist ein sehr ungewöhnliches Verhalten.”

Wie Precht schildert, steigerte sich bei den Affen, die sich mit Gurken begnügen mussten, der Frust so weit, dass sie die Forscher sogar mit den Gurken bewarfen.

Das erläuterte Beispiel trifft den Nagel auf den Kopf – auch auf Aspekte menschlichen Gruppenverhaltens in der Ökonomie bezogen. Hier zählt oft der Vergleich: eine Gehaltserhöhung von 500€ verliert ihren Charme leicht, sobald der Kollege bei vergleichbaren Voraussetzungen 1.000€ erhält. Der (subjektive) Sinn für Unfairness könnte bei dem scheinbar Benachteiligten zu Verhaltensäußerungen führen, die sich von denen des Kapuzineräffechens nur graduell unterscheidet.-

Zur Sprache kommen auch ‘soziale Ansteckungseffekte’: Bei der Inanspruchnahme sozialer Leistungen wird das Verhalten des Individuums vielfach durch Beispiele aus der sozialen Umgebung verändert und geprägt (‘Wenn alle andern den Staat betrügen,…’).

Was bedeutet dies für die ‘Erziehung des Menschen’ zu mehr verantwortlichem, moralischem Handeln? Appelle zu mehr Nachhaltigkeit werden auch weiterhin ohne große Wirkung verpuffen. Doch im Verlaufe dieser überaus interessanten Diskussion wird unter anderem ein interessanter Aspekt erarbeitet – die soziale Ansteckung könnte positiv genutzt werden durch die Etablierung moralischer Milieus:

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