Countdown-Webseiten für den vermeintlichen Weltuntergang in weniger als drei Wochen gibt es tatsächlich. Beispielsweise hier werden Wochen, Tage, Stunden und Sekunden angezeigt, bis es dann Wumm! oder Fumb! macht – oder ist das Ende vielleicht geräuschlos?
Die im Vorwort zu Florian Freistetter’s Werk “2012-Keine Panik”1) leicht plakativ beschriebene Party-Stimmung (Kann ich jetzt endlich ungeschützten Sex haben? … Verhütung hat sich doch nun erübrigt, oder?) habe ich in meinem eigenen Umfeld noch nicht wahrgenommen.
Auch nehme ich bislang kaum soziale Auflösungserscheinungen wahr: die meisten Leute gehen nach wie vor zur Arbeit (oder haben rechtzeitig Urlaub eingereicht), sie kaufen noch Möbel bei Ikea, schließen Sparverträge ab und regen sich über Steinbrücks Nebeneinkünfte auf.
Kommt in Unterhaltungen das Thema 2012 zur Sprache, wird die Thesensammlung zum Ende freilich selten ins Lächerliche gezogen…und über manche Gesichter huscht ein sorgenvoller Schatten. Die meisten sind ehrlich genug zuzugeben, dass man ja nicht genau wisse, was auf die Menschheit zukomme.
Aber darauf verlassen, dass genau am 21. Dezember das Ende kommt, will sich niemand, jedenfalls nicht öffentlich.
Manchmal ertappe ich mich selbst oder jemanden anders bei etwas altklug wirkenden Kurzvorträgen – mit dem Tenor, dass einige Szenarien der Untergangsgläubigen durchaus einen realen Kern besitzen, jedoch seien Ereignisse von derartiger Tragweite unbestimmt in Bezug auf ihren Zeitpunkt.
Die Älteren im Freundes- und Kollegenkreise erinnern sich noch an die düsteren Ahnungen vor dem Eintritt ins Jahr 2000. Als sie damals feststellten, das die Welt über das Jahr 2000 Bestand haben würde, wurde eine neue rote Ziellinie abgesteckt: der 21. Dezember 2012. Damit gelang es den haupt- und nebenberuflichen Profiteuren der Angst, die Abhängigkeit der Verunsicherten von ihren “Analysen” und Vorhersagen zu prolongieren. Man darf gespannt sein, wie sie dies ab 2013 gestalten werden, denn in Bezug auf den 21. Dezember hat sich manch einer doch weit aus dem Fenster gelehnt. Das alles lässt sich nicht beliebig oft wiederholen – hoffentlich!
Auch an Trittbrettfahren herrschte wahrlich kein Mangel – sogar die biblische Apokalypse und eine Wiederkehr Jesu wurden vereinzelt in einen Kontext mit diesem Datum gestellt. Manches davon war neu für mich (z.B. die Timewave Zero), während alte Bekannte unter den Szenarien (‘Nibiru’) erstaunliche Langlebigkeit entwickeln.
So lautet Freistetters Feststellung:
“Der 2012-Mythos ist ein Sammelbecken für die unterschiedlichsten esoterischen und pseudo-wissenschaftlichen Vorstellungen geworden, egal ob sie mit dem Thema etwas zu tun haben oder nicht.”
In seinem Kommentar zu endzeitlichen Tipps auf BILD.de1) (Tenor: ‘Schreiben dort dressierte Hunde oder schlecht programmierte Computeralgorithmen? Aber doch sicher keine echten Journalisten, oder?’) benennt Freistetter die Weltuntergangs-‘Fakten’ und führt sie allesamt ad absurdum – und das in einer Wortwahl und Ausdrucksweise, die selbst ich als Laie ohne weiteres verstehe.
Zum Beispiel:
- Das Zentrum der Milchstraße ist 25.000 Lichtjahre entfernt. Von dort kann uns nichts gefährlich werden, weder das supermassive Schwarze Loch noch irgendwelche Strahlen der Objekte in dessen Umgebung.
- Der Maya-Kalender endet zwar am 21.12. diesen Jahres, doch bedeutet dies lediglich, dass eine Anpassung erforderlich wäre, falls dieser Kalender derzeit noch verwendet würde. Etwa so, als wenn am 31.12.9999 eine Umstellung notwendig wird – beispielsweise durch Anfügen einer 5. Stelle für die Jahreszahlen 10.000ff.
- Es gibt keine besondere Konstellation am Himmel, die uns gefährlich werden könnte. Und die „Ebene der Milchstraße“ ist nur eine gedachte Fläche – nicht etwa eine reale Struktur, mit der wir kollidieren könnten. Auch durchquert unser Sonnensystem diese Ebene nicht in drei Wochen, sondern in ca. 30 Millionen Jahren.
Solche Artikelserien auf BILD sind leider symptomatisch für große Teile der absatzorientierten Medienlandschaft: Irgendwie muss es doch möglich sein, an diesem Hype zu partizipieren…und journalistische Ethik ist überbewertet oder eine Killerphrase der Einfallslosen…
Siehe auch: Mit Eigenurin und Mayonnaise gegen den Weltuntergang
Wie die Zeit bis Freitag, den 21. überbrücken?
Eine solche Herangehensweise ignoriert eines völlig: Viele Menschen haben tatsächlich Ängste entwickelt oder machen sich ‘moderate Sorgen’, was denn in weniger als einer Woche auf uns zukommen mag. Völlig spurlos geht die momentan spürbare Anspannung an wenigen vorbei.
Rationale Analysen helfen da nicht, wo vor allem Gefühlsregungen dominieren – doch sie sind immer noch besser als substanzlose “Ratschläge”. Auch für so genannte Weltuntergangspartys fehlt mir das Verständnis – wozu braucht man ein Alibi, um sich bis zur ‘Schmerzbefreiung’ zu betrinken?
Andererseits, wie kann man die Zeit des Wartens (auf was genau eigentlich?) sinnvoll überbrücken, wenn die Angst übermächtig wird? Auch wenn ich persönlich einem ‘angesagten’ Weltuntergang mit großer Skepsis gegenüberstehe, kann ich die Ängste vor einschneidenden Veränderungen, Leid und Tod gut nachvollziehen.
Das TV-Programm, für mich inzwischen ein Synonym für Verflachung, ist keine echte Hilfe – sogar 3SAT glänzt mit 45-Minuten-Dokus über Endzeitliches und Verschwörungen, vor allem die dramaturgisch anscheinend unverzichtbare Musik-Untermalung nervt. Dann schon lieber ein eigenes Video, um die 2012-Neurose aufzuarbeiten… ;)
Vielleicht liegt ein gewisser Nutzen darin, eine Weile nicht mehr über das globale Weltgeschehen zu grübeln (es dürfte eh’ alles zerdacht und zerredet sein) – und statt dessen über den ganz persönlichen Mikrokosmos nachzudenken, also das eigene Leben.
Was wollte man schon längst in Angriff nehmen? Wie wäre es mit ein paar guten Vorsätzen – für den Fall, dass am 22.12. und danach keine schlagartige Veränderung eintritt?
Probleme und Herausforderungen hat die Menschheit mehr als genug – lohnt es sich darüber zu reflektieren, ob all dies wirklich nichts mit einem selbst zu tun hat? Es gibt durchaus seriöse Medien- und Internet-Angebote, um sich über reale Szenarien der nächsten Jahrzehnte zu informieren – möglichst mit dem Fokus auf Chancen und Optionen, die jedem von uns zur Wahl stehen.
Wenn die 2012 – Hysterie und ein sich evtl. anschließender ‘Hurra, ich lebe noch’-Effekt einige Leute zum Umdenken bewegt, hatte das ganze wenigstens etwas Gutes.
Anmerkungen:
- Das Buch “2012 - Keine Panik” ist mit 2,99 € (als ebook) durchaus erschwinglich
- Auch mir bereitet dergleichen Unbehagen wegen der möglichen Auswirkungen, die derart verquirltes Geschreibsel bei Teilen der BILD-Klientel auslösen könnte. Dabei bin ich noch unentschieden, ob diese Ratschläge von abgrundtiefem Zynismus oder ebenso unfassbarer Dummheit zeugen – oder nur von einer Art Humor, die ich nicht verstehen möchte: Silvester und Weihnachten vorziehen, damit man noch etwas davon hat…dem Chef mal so richtig die Meinung sagen, Lebensversicherung kündigen, komplett leer räumen etc.
Und dann noch der Link auf einen ähnlichen Artikel: Ein flotter Dreier, bevor die Welt untergeht (Warum eigentlich solange warten?;). Ein “prominenter Gespiele” solle lt. einer Umfrage möglichst involviert sein – etwa Jessica Alba oder Johnny Depp, je nach Präferenz Hugh Jackman oder George Clooney…
Wie war das doch gleich…Niveau ist keine Creme!
Es folgen noch ebenso nützliche Hinweise für den Fall, dass die Welt am 22. Dezember noch existiert? „What a wonderful World“ auflegen, schnell den Chef anrufen – und gleich auch die Bank.
Da fehlt noch der HIV-Test und/oder ‘Plan B’, falls man wg. des besonderen Datums auch auf Safer Sex verzichtet hatte.
Vielen Dank für diesen Kommentar.
AntwortenLöschenIn Bezug auf Nutzen und Schädlichkeit von Angst habe ich eine etwas andere Auffassung. Angst ist aus evolutionsbiologischer Sicht insoweit nützlich, als sie etwas bewirkt, etwa ein bestimmtes Vermeidungsverhalten oder eine Verhaltenskorrektur. Dann kann sie einen Überlebensvorteil implizieren.
Dazu müssen m.E. bestimmte Voraussetzungen gegeben sie:
- Die Angst muss sich auf einen realen, nicht nur subjektiv erlebten Sachverhalt beziehen.
- Es muss ein geeignetes Verhaltensrepertoire zur Verfügung stehen, um die Ursache der Angst abzuwenden oder zu bewältigen.
In Bezug auf das möglicherweise (nicht in 4 Tagen, eher in einigen Jahrzehnten) bevorstehende Ende der Zivilisation stimme ich zu - dies ist in der Tat beängstigend.
Oftmals frage ich mich, weshalb der Mensch in der globalen Dimension jämmerlich zu versagen droht - trotz alle bei Einzelindividuen unserer Spezies nachweisbaren Problemlösungskompetenz. Eine Ursache liegt darin, dass zu viele Menschen sich als abhängig von dem Cargo-Kult erleben, den Sie beschrieben haben.
Freilich sehe ich auch die angesprochen Instabilität des gesamten Finanzwesens - und ebenso die offensichtlichen Implikationen militärischer Konflikte mit weltweitem Eskalationspotenzial.
Nur ich habe für mich persönlich realisiert, dass ich auf diese Prozesse bestenfalls marginalen Einfluss nehmen kann.
Ein anderer Aspekt beunruhigt mich weit mehr, denn einen Zusammenbruch des Wirtschaftsgefüges würde die Spezies Mensch meiner Einschätzung nach überleben.
In Bezug auf die fortschreitende, irreversible Zerstörung der Biospähre schätze ich die absehbaren sowie die noch unerkannten Konsequenzen als weitaus schwerwiegender ein. Ich bin mir im Unklaren, ob der Point Of No Return diesbezüglich schon überschritten ist, doch der von Menschen (nicht von kosmischen Naturphänomenen) verursachte Schaden mag den keim des Untergangs für alle 'höheren' Lebewesen in sich tragen. Dagegen nimmt sich ein Ende der 'modernen Zivilisation' wie ein Schnupfen aus...was nicht bedeutet, dass ich diese Risiken unterschätze. Den Verzicht auf Öl und Strom könnte die Mensch überleben, die zu Veränderungen fähig und willens sind.
Beim Wegfall von Nahrungsgrundlagen und Trinkwasser oder einem drastischen Temperaturanstieg sieht dies m.E. anders aus. Was diese Gefahren anbetrifft, sind 'Eigenleistungen' für viele Menschen gerade hier im Westen durchaus möglich, ebenso stehen zur gesellschaftlichen und politischen Willensbildung durch gezielte Kommunikation durchaus Handlungsalternativen offen.
Und wenn ich dann sehe, wie Millionen Menschen sich statt dessen vor Nibiru & Co. ängstigen und Abermillionen an Geld in archetypische, aber fiktionale Bedrohungssznarien 'investieren' - anstatt sich mit dem real existenten Krisenpotenzial zu befassen - dann fasse ich mir an den Kopf.
Die Finanzkrise ist schlimm, besonders für die wirklich Leidtragenden. 'Liquiditätskrise' klingt erst mal abstrakt, sobald die Warenströme versiegen sollten, werden die Auswirkungen erschreckend konkret sein. Das ist auch mir klar.
Und doch verstellt auch die (kaum unbegründete) Furcht davor letzten Endes den Blick für die tödlicheren Gefahren, welche die Menschheit sich selbst eingebrockt hat.
Falls also am kommenden Sonnabend die Medien auf ein kollektives "Hurra, wir leben noch" einschwenken, dann sollte die Betonung auf dem Wort 'noch' liegen. Nicht wegen der Maya, und auch nicht wegen Schäuble & Co - sondern mit Bezug auf die (allerdings mit der Weltwirtschaft und ihren elitären Hauptakteuren in einem kausal verbundenen) Ausbeutung und Zerstörung der Natur.
Viele Grüße,
George
PS: Ich habe, soweit ich mich erinnere, nie behauptet, keine Angst zu haben. Denn pauschal formuliert wäre das eine glatte Lüge. Doch ich weigere mich, fiktive Prophetien zu fürchten und dabei die Realität zu verdrängen.
PPS: Was halten Sie vom 'Plan B' eines Andreas Popp? Liegt darin eine realistische Alternative zum derzeitigen Finanzsystem??