Samstag, 22. Dezember 2012

22.Dezember 2012: Wir sind 'noch da'. Ein Aufschub?

“Es ist doch den ganzen Tag gar nichts passiert."

Schön, dass wir alle noch da sind – es kam gestern (21.12.2012) zu keinen spektakulären Katastrophen und auch nicht zu rituellen Selbsttötungen als Folge der Untergangs- oder Aufstiegs-Erwartungen vieler Menschen. Also auch keine self fullfilling prophecy, eigentlich der einzige Aspekt, der zu realen Befürchtungen hätte Anlass bieten können.
SPIEGEL online titelt “Apokalypse-Wahn - Davon ging die Welt nicht unter”. Also alles nur heiße Luft? Ich meine, um hier eine zutreffende Antwort zu finden, muss man differenzieren:
  • Das Gerede von auf den Tag genau vorhersagbaren kosmischen Katastrophen, für welche aber kein Astronom etwaige Anzeichen festgestellt hatte, war in meinen Augen wirklich sinnbefreite Panikmache.
    Nicht, weil solche Ereignisse per se auszuschließen sind (es gibt durchaus Gefahren aus dem Weltall), sondern weil man davon nicht durch Mystik und Prophetie erfährt, sondern durch solide naturwissenschaftliche Arbeit.
    Nahezu alle Fachleute hatten in Bezug auf Kometeneinschläge, sich bislang versteckende Planten in unserem Sonnensystem sowie im All umherirrende Geisterplaneten etc. für den 21.12. Entwarnung gegeben, wie zu den vorherigen Weltuntergangsterminen auch. 
    Wie kommt es eigentlich, dass 'denen' so viele kein Wort glaubten? Schließlich handelt es sich nicht um Politiker, sondern um seriöse Naturwissenschaftler aus etlichen Nationen. Wozu sich einreden, alle Physiker seien NWO-Sklaven oder gleich fremdgesteuert? Das ist wirklich hanebüchenes Verschwörungsgeschwafel.


    Ein ‘Aufschub’ des Weltuntergangs-Termins kommt insoweit nicht in Betracht: die Menschheit wird auch an keinem anderen zuvor ‘festgelegten’ Tag ausgelöscht werden. Das Genre ‘Endzeitwahn’ benötigt also eine neue Geschäftsidee.
    Alien-Profi Erich v. Däniken (“Das mit dem Weltuntergang ist wirklich dummes Geschwätz. Ich weiß nicht woher das kommt.”) war sich dessen schon im Vorfeld bewusst und stellte frühzeitig klar, es könne sehr wohl noch bis zu 20 Jahre dauern, bis Bolon Yokte auf die Erde zurückkehre.
  • Andererseits sind solche Ängste und Befürchtungen nicht ganz aus der Luft gegriffen: Auch rational denkende Personen verspüren angesichts des Zustandes der Natur wie auch unserer politischen, ökonomischen und sozialen Verfassung ein wachsendes Unbehagen.
    Die besorgte Fragestellung ‘Wie soll das alles nur weitergehen – und wie lange noch?’ hat durchaus ihre Berechtigung. Es geht schließlich nicht allein um ökologische Themen; meine eigene Gedanken und Sorgen hierzu habe ich auf der Seite ‘Apokalypse selbstgemacht oder entschlossenes Handeln?’ darzulegen versucht. Am gestrigen Tag haben sich die Überlebensbedingungen der Menschheit zwar nicht verschlechtert – aber sie sind auch kein Stück besser geworden!
In diesem Zusammenhang halte ich eine Überlegung für entscheidend: Lohnt es sich, einen eigenen Beitrag für den Erhalt dessen zu leisten, was wir allgemein als ‘unsere Welt’ umschreiben’? Oder ist es so, dass “die Scheiße einfach passiert” und wir sowie so nichts an der Zukunft ändern können, außer in netten Illusionen zu schwelgen – woraus sich dann ein perfektes Alibi zur dumpfen Konsummaximierung bis ans Lebensende konstruieren lässt?


Determinismus oder Zufallsprinzip?


Im Film Knowing, den ich gestern mehr oder weniger passend zum angekündigten Ereignis angeschaut habe, geht es u.a. um diese Schlüsselfrage. Die kurze Szene, in der Prof. John Koestler alias Nicolas Cage mit einen Studenten einige Sätze über die Frage ‘Zufall oder Determinismus?1) wechselt, ist alles andere als unwichtig: Gerade nach persönlichen Unglücksfällen (im Film der Tod von Koestlers Ehefrau) und einschneidenden Erlebnissen stellen sich viele Menschen genau diese Frage.
Deren Tragweite geht über die persönliche Dimension hinaus: Entstand das Universum spontan durch einen ‘lautlosen Knall’ im Vakuum und entwickelte sich eine Vielzahl komplexer Systeme (Proteine, Zelle, DNS, Stoffwechsel usw.) zufällig aus anorganischen Bausteinen?

Fest steht: wären die Naturgesetze und -konstanten exakt nicht genauso angelegt, wie es der Fall ist, so wäre kein Leben auf der Erde möglich bzw. ‘dieses’ Universum wäre so nicht entstanden.
Daraus zu schließen, in allen Bereichen der Realität sei jedes Ereignis vorherbestimmt, halte ich für einen großen Fehler. Zum einen gibt es wissenschaftliche Theorien, welche die Naturgesetze unseres Universums ohne Determination erklären (so wie ich das verstanden habe, wird z.B. die Existenz einer sehr großen Anzahl verschiedenster Universen angenommen; das unsrige hat nun mal die für menschliches Leben geeignete Konfiguration an Naturgesetzen und –konstanten…nur darum sind wir hier).
Ausführlicher dargelegt wird Determinismus-Thematik von Boris Kotchoubey (‘Vorbestimmungsglaube: „Mythos Determinismus“ von Brigitte Falkenburg’)
In Bezug auf das Kausalitätsprinzip stellt sich die Frage: Sollen wir den guten alten Glauben, dass wir “Kausalität als normativen Grundsatz betrachten sollten, also eine Verfahrensregel: Der Naturwissenschaftler tue gut, wenn er bei jedem Phänomen nach dessen Ursachen suche. Eine Verfahrensregel kann weder wahr noch falsch sein, sondern je nach Problemstellung nur nützlich oder nutzlos. […] Man kann auch in der postmodernen Ära an die absolute Wahrheit glauben; aber Nutzen ist auf jeden Fall nur relativ, und was mir gestern nutzte, nutzt mir morgen vielleicht nicht mehr.”
Determinismus sei völlig okay, solange er als vorwissenschaftlicher Glaubenssatz angesehen werde, der für den Fortschritt in vielen, aber nicht zwingend allen Wissensbranchen vom Nutzen sei. Als solcher stehe er dem freien Handeln der Menschen im privaten wie im politischen Bereich nicht im Wege. Als wissenschaftlich nachgewiesene, zwingenden „Wahrheit“ aber sei er überholt.
“Das 20.Jh. hat uns bereits gezeigt, zu welch ernsthaften sozialen Konsequenzen es führen kann, wenn sich eine Ideologie als Wissenschaft darzustellen versucht. Einen weiteren derartigen Fall brauchen wir wahrlich nicht.”--
Hier besteht m.E. auch ein Bezug zu der Auffassung, die Zukunft lasse sich ohne Kenntnis beweisbarer Fakten auf den Tag genau vorhersagen. Natürlich lassen sich viele Prophetien aufstellen, die so allgemein formuliert sind, dass sie sich im Nachhinein auf jeden beliebigen Zeitraum anwenden lassen – irgendwas ist ja immer. Bei eindeutigen Formulierungen (‘Ankunft von Aliens’, ‘Auslöschung der Menschheit’) ist dies aber definitiv nicht der Fall.
Sinnvollerweise sollten wir auf die Erfahrungsmomente vertrauen, welche uns vermitteln, dass entschlossenes Handeln die einzige Chance darstellt, auf eine kritische Situation positiven Einfluss zu nehmen. Verdrängung, Gleichgültigkeit und Fatalismus sind gleichbedeutend damit, sich dem unterstellten ‘Schicksal’ zu unterwerfen – anstatt eigene Gestaltungsoptionen wahrzunehmen (so unbedeutend sie im globalen Maßstab auch anmuten mögen).
Eine pauschale Verschwörungsgläubigkeit nach dem Motto ‘Wir werden von Politik und Wissenschaft sowie den Medien (und natürlich dem Vatikan) immer und in allen wichtigen Aspekten belogen’ bewirkt also kaum einen verbesserten Kenntnisstand in Bezug auf das, was als real zu erachten ist. Vielleicht ist dies eine wichtige Konsequenz, die all jene ziehen können, die wegen dem vermeintlichen Weltende Monate oder Jahre lang Ängste ausgestanden haben.
Eine solcher Dauerstress kann freilich auch eine ‘nützliche’ Strategie2) sein.
“God, give us grace to accept with serenity the things that cannot be changed, courage to change the things which should be changed,
and the wisdom to distinguish the one from the other.

Gott gebe uns
die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die wir nicht ändern können,
den Mut, Dinge zu ändern, die wir verändern können,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.”

Anmerkungen
1) In diesem Kontext ein paar kurz gehaltene Begriffsklärungen (vgl. Wikipedia, da steht einiges mehr dazu):
  • Determinismus bezeichnet die Auffassung, dass alle, also auch zukünftige Ereignisse durch Vorbedingungen eindeutig festgelegt sind.
  • Prädestination (ein Konzept), also ‘Vorherbestimmung’ und ist ein anderes theologisches Konzept, demzufolge Gott von Anfang an das Schicksal des Universums und aller Menschen vorherbestimmt hat. Dabei geht es vor allem um die Erwählung einzelner Seelen zu ewiger Gnade oder ewiger Verdammnis im Leben nach dem Tod.
  • Die Gegenthese (Indeterminismus) vertritt, dass es überhaupt oder in einem bestimmten Bereich der Realität Ereignisse gibt, die auch hätten anders eintreten können.
  • Von Zufall spricht man dann, wenn für ein einzelnes Ereignis oder das Zusammentreffen von mehreren Ereignissen keine kausale Erklärung gegeben werden kann. Als kausale Erklärungen für Ereignisse kommen in erster Linie allgemeine Gesetzmäßigkeiten oder Absichten handelnder Personen in Frage. Die Erklärung Zufall ist also gerade der Verzicht auf eine (kausale) Erklärung.
2) Ich habe aus meinem eigenen Umfeld den Eindruck gewonnen, dass nicht wenige ‘Verunsicherte’ – weder materialistisch eingestellt noch auf eine ‘esoterische’ Schiene festgelegt, sondern von diesem Hype regelrecht infiziert – gar nicht vom Gegenteil (=kein unmittelbare bevorstehendes Ende der Menschheit) überzeugt werden wollten. Erklärungen und Hinweise auf verständliche Lektüre von Fachleuten fruchten allenfalls so lange, bis diese Leute durch emsiges Suchen eine neue These oder Argumentationskette gefunden hatten, weshalb die Welt doch untergehe.
In so einem Fall besteht jetzt vielleicht die Gelegenheit, für sich selbst zu hinterfragen, welchen Nutzen diese Strategie denn hatte – vielleicht handelt es sich ja um einen unbewussten(?) Abwehrmechanismus, um sich bestimmten Aspekten des eigenen Lebens nicht zu stellen (‘es geht ja eh’ alles zuende, wozu dann noch unangenehme Wahrheiten an sich heranlassen’)…

Wie dem auch sei, jede fortgesetzte Häme gegenüber den Menschen, die sich fest vom Stichtags-Ende der Zivilisation hatten überzeugen lassen, ist völlig unangebracht. Wer sein Leben wirklich auf die Erwartung des nahenden Weltuntergangs eingerichtet hat, dürfte nun genug Schwierigkeiten haben, auch ohne Gegenstand ständigen Spotts zu sein.

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