Samstag, 21. April 2012

“Tempel stellt Bibel infrage”

Späte Rechtfertigung für die Samaritaner, die sich selbst als "die Bewahrer des Gesetzes" nennen und mit dem Anspruch auftreten, als einzige die authentische Version des Pentateuch (= der 5 Bücher Mose) zu bewahren?
Seit dem 5./4. Jahrhundert v. Chr. entwickelten sich die Samaritaner zu einer eigenständigen Religionsgemeinschaft, die alleinausschließlich den Berg Garizim als zentralen Kultort anerkannte und alle jüdischen Propheten außer Moses und Josua ablehnte.

Der „Spiegel“ nennt sie in Ausgabe 15/2012  „Gottes vergessene Kinder“ – die heutigen Nachfahren der biblischen Samaritaner. Sie leben nach den mosaischen Gesetzen und bringen ihrem Gott noch eifrig Tieropfer dar. Laut ihrer Fassung der Tora befand sich ihr zentraler Kultort samt Tempelanlage auf dem Berg Garizim (an dessen Nordfuß Nablus liegt - das biblische Sichem) - bei den Juden gilt dagegen Jerusalem als zentraler Kultort.

Bisher gehen Historiker anhand der biblischen Überlieferung davon aus, dass sich die Samaritaner im 4. Jahrhundert v.Chr. als radikale Sekte vom jüdischen Volk abspalteten. In der Bibel treten sie als Separatisten und Götzendiener auf, sie sind ‘unrein und böse’. Der Historiker Flavius Josephus - der selbst jüdischen Glaubens war und die Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels um 70 n.Chr. miterlebte - berichtet, dass die
Abtrünnigen um 330 v.Chr. stümperhaft und „in aller Eile“ ein Heiligtum errichtet hätten, um den Tempel von Jerusalem nachzuahmen.

Doch inzwischen zeichnet sich diesbezüglich eine Neubewertung der historischen Ereignisse ab:

Bei Grabungen wurde seit 1964 die ursprüngliche Tempelanlage auf 881m freigelegt. Nun Der Archäologe Jizchak Magen veröffentlichte die Befunde seiner Ausgrabungen am Garizim, “eine Sensation”: Auf dem Berg wies er Spuren eines gewaltige, Heiligtums nach, das vor 2500 Jahren von einer 96 mal 98 Meter großen Mauer befriedet wurde.
Dagegen sei der Tempel von Jerusalem “zu jener Zeit allenfalls ein simpler Kubus” gewesen.

Knochenreste von Opfertieren, Inschriften und Artefakte verweisen eindeutig auf das Tetragramm JHWH und lassen es zu, die Ausgrabungen eindeutig zu identifizieren. Die Schlussfolgerung: “Nur 50 Kilometer von Jerusalem entfernt stand ein gigantisches Gegenheiligtum”.

Das Volk der Israeliten gespalten in einem religiösen Konflikt um ein Kult- und Opfermonopol, der mit aller Härte und Gewalt ausgetragen wurde?

Wie immer sind Sorgfalt und Vorsicht angebracht, gerade bei der Datierung von Funden und Gebäuderesten. Schließlich wurde die exponierte Stelle von vielen genutzt: Unter Kaiser Hadrian (der ab 117 n.Chr. regierte) wurde auf dem Berg ein Zeus-Tempel errichtet; und um 484 n. Chr. stand dort eine christliche Kirche.

Es trifft aber auch zu, dass der Garizim  im Johannesevangelium (Joh 4,20 Schl) als Ort der JHWH-Anbetung durch die Samaritaner genannt wird; diese Bedeutung hat er für die Samaritaner bis heute behalten.

Von einem Glaubenskrieg zu biblischen Zeiten ist die Rede. Falls sich dies erhärtet, trug die Jerusalemer Fraktion den Sieg davon, obgleich die ganze Region um den Garizim schon zu Abrahams Zeit eine wichtige Bedeutung hatte. Von ihm aus nahm ‘Gottes eigenes Volk’ ihr gelobtes Land in Besitz und errichtete auf dem Berg ein Heiligtum aus weiß getünchten Steinen [Je nach Bibelübersetzung berichtet 5 Mose 27 mal vom Berg Ebal, mal vom Garizim, der im Arabischen Dschabal Dscharizīm genannt wird]. Dies sei „der Ort, den der Herr erwählt hat“, heißt es in den Schriftrollen, die vor etwa 2000 Jahren in Qumran angefertigt wurden.

Dass zu es einem Konflikt kam, ist auch der hebräischen Bibel zu entnehmen – doch wird der Garizim dort keineswegs als „erwählter Ort“ gehandelt.

Aus heutiger Sicht erscheint es ‘normal’, dass getrennte Volksgruppen jeweils eigene Kultstätten und –zentren errichteten, wo sie ihre Gottheit anbeteten und Rituale zelebrierten. Offensichtlich existierten parallel mehrere Tempelanlagen.

Für manche geht es aber darum, “Unwahrheiten und Verfälschungen” in der Bibel aufzuspüren und zu verwerten – meiner Einschätzung nach schwingt bei solchen Bewertungen immer ein Stück religiöser Ideologie mit. Diese – womöglich etwas voreilige – Genugtuung findet sich beispielsweise auch hier:

Die Tempelaristokratie in Jerusalem habe das Alte Testament teilweise so redigiert wurde, wie es ihr am besten passte:

Die Heilige Schrift der Juden und das Alte Testament der Christen unterliegen also streckenweise Fälschungen und Geschichtsglättungen. … […] König David und der Tempel des Salomon sind fromme Erfindungen einer Jerusalemer Priesterkaste, die neidisch auf Tempelanlage und Einfluss jener Gruppe schauten, die den Berg Garizim als Ort ihres Heiligtums gewählt haben und nicht den Berg Zion.”

Streit ist vorprogrammiert und wird durch voreilige Pro-/Contra-Werturteile zur Faktenlage zwangsläufig noch angefacht. Auch der SPIEGEL-Artikel hat einen vorwiegend provokativen Unterton - genau das, was wir in einer Zeit brauchen, in der sich religiöse Gemüter leicht erhitzen.
Prompt findet sich auf theoblog.de
ein Beitrag, der die gegenteilige Position vertritt und argumentiert. Darin wird die These von Peter van der Veen (“
Biblische Archäologie am Scheideweg”) angeführt, der die Verfälschung des biblischen Textes als “reine Spekulation” abtut und hierfür Belege benennt.-

Dass Geschichtsschreibung, ob sie nun religiös motiviert ist oder nicht, stets subjektiv und selektiv ausfällt, ist nun wirklich nicht neu.
Auch ist es m.E. längst kein Geheimnis mehr, dass manche der frühen Bücher des A.T. während des babylonischen Exils inhaltlich verändert und idealisiert wurden. Davon gehen nicht allein ‘anti-christliche’ Kräfte aus, sondern z.B. auch die Verfasser der Stuttgarter Erklärungsbibel. Darin heißt es etwa:

  • “Die Mosebücher sind aus Überlieferungen der unterschiedlichsten Art zusammengewachsen, aber sie bilden in ihrer heutigen Endgestalt eine Einheit.
  • Gegen Mose als Verfasser der 5 nach ihm benannten Bücher spreche, dass das Pentateuch (‘Fünf-Buch’) “starke stilistische Unterschiede und inhaltliche Unausgeglichenheiten aufweist, wie sie beim Werk eines einzigen Autors nicht zu erwarten sind. Der Pentateuch macht eher den Eindruck einer Sammlung als den einer einheitlich konzipierten Niederschrift.”

Mindestens drei Theorien zur Entstehungsgeschichte des A.T. wurden entwickelt, die sich u.a. an den unterschiedlichen Gottesbezeichnungen (JHWH/Elohim) orientieren:

Die Urkundenhypothese1) nahm an, dass drei oder vier eigenständige Geschichtswerke planvoll vereint und ineinander verflochten wurden. Nach der Fragmentenhypothese wuchsen dagegen zahlreiche Einzelüberlieferungen allmählich zusammen, indem sie sich an das Deuteronomium (5. Mose) anlagerten. Die Ergänzungshypothese schließlich rechnet damit, dass eine planvoll aufgebaute elohistische Quelle durch Texte aus einer ‘jahwistischen Quelle’ ergänzt wurde.

Die Forschungen hierzu, welche bisweilen recht spekulativ anmuten, sind noch nicht an einem Endpunkt angelangt. Man nimmt heute – außerhalb der fundamental-wörtlichen Auffassung des AT - aber allgemein mehrere Quellen an, aus denen denen nachträglich ein Gesamtwerk geformt wurde.

Dabei wurde ein Teil der Textinhalte inhaltlich verändert. Im babylonischen Exil um 520 v.Chr. entstand eine neue, umfassende Geschichtsdarstellung aus der Perspektive priesterlicher Theologie.

Diese Priesterschaft “wollte dem Volk Israel durch eine aktualisierende Deutung seiner Geschichte eine Sinnperspektive zu vermitteln, die über die Katastrophe des Untergangs und des Exils hinaus Bestand hat.”

Das gebeutelte und mehr als einmal verschleppte Volk der Israeliten sollte zu einem Zusammenhalt finden, was durch einen einheitlichen Glauben und eine zentrale Kultstätte gefördert werden sollte. Die Priester formulierten eine Heilsgeschichte, um diesem Ziel einen Unterbau zu liefern und ihren eigenen Anspruch (als einziges von der Gottheit gewolltes, erbliches Priestertum) zu unterstreichen.

Die Erzählung gipfelt bei König Salomo, der in Jerusalem 180.000 Arbeiter zusammengezogen habe, um einen einzigartigen Tempel aus Zedernholz zu errichten, „vollständig mit Gold überzogen“.
Diese Angaben sind historisch allerdings umstritten, denn Informationen über den salomonischen Tempel finden sich nur in der Bibel. Unabhängige historische Zeugnisse sind bislang nicht bekannt – und auch archäologisch ist ein Tempel aus der Zeit Salomons nicht nachweisbar.
Sogar die Frage, ob
Salomo als historische Person gelten kann, ist wie bei seinem Vater David unklar. Es fehlt an Belegen außerhalb der biblischen Tradition. 

Dagegen ist die Existenz einer beeindruckenden Tempelanlage auf dem Garizim nicht zu bestreiten. SPIEGEL-Autor Matthias Schulz spricht von “Wallfahrten mit Massenandrang”, welche die Bibel ganz verschweige.
Im Jahr 128 v.Chr. wurde das gesamte Heiligtum von der Armee des jüdischen Fürsten Johannes Hyrkanos zerstört und seitdem nie wieder aufgebaut. Auch diesen Zerstörungsakt konnten die Archäologen belegen – die Ausgräber fanden eine „Feuersbrunstschicht dazu Pfeilspitzen, Schwerter, Dolche und Wurfbleie”.

Was mich wieder einmal stört, ist die Polarisierung – wie sie hier auch im SPIEGEL betrieben wird. Es gibt neue Erkenntnisse aus einer neuen Faktenlage – das ist zunächst einmal positiv (für alle Menschen, die unbelastet von Dogmatismus möglichst viel über die Geschichte zu erfahren wünschen).
Dabei sind einseitig-negative Bewertungen durch eindeutig besetzte Begriffe wie “Unsinn” oder “Verfälschung” so nutzlos wie ein Kropf – egal wer sie verwendet. Eben sowenig hilft es, eine veränderte Faktenlage nicht wahrnehmen zu wollen.

Wo mag die Motivation eines ‘unabhängigen überparteilichen Wochenmagazins’ liegen, wenn es erheblichen Aufwand treibt, eine ‘Legendensammlung’ zu widerlegen? Besteht eine Veranlassen, den biblischen Texten grundsätzlich Misstrauen entgegen zu bringen, ansonsten aber jede Textquelle als zutreffend einzustufen – obwohl Fachleute sich abwartend verhalten.
Die Qumran-Rollen stammen von Leuten, die kaum weniger subjektiv formulierten als die Autoren des A.T.
Geht es vielleicht um den Versuch, die Bibel insgesamt als unmaßgeblich in jeglicher Hinsicht erscheinen zu lassen?

Zu differenzieren ist zwischen einer universalen Weisheitslehre der Bibel einerseits (die sich für mich allerdings aus dem NT erschließt) und der religiös-kulturellen Überlieferung von Völkern auf der anderen Seite.-

Längst sind auf dem Garizim noch nicht alle Funde ausgewertet – und in Jerusalem (erst recht auf dem Tempelberg) sind archäologische Untersuchungen ohnehin nur sehr eingeschränkt erlaubt, wenn überhaupt. Damit stehen offensichtlich noch nicht alle Quellen (z.B. mögliche Nachweise zugunsten oder entgegen der Existenz von Salomons Tempel)  zur Verfügung, um ein endgültiges Bild der Geschichte Israels zeichnen zu können.
Was wir wissen, ist stets vorläufig gültig – kein guter Anlass, um sich als Inhaber der einzigen Wahrheit aufzuspielen.

Im Grunde ist es doch immer dasselbe: “Ich habe recht und du nicht. Mein Glaube ist einzig wahr und du wanderst in die Hölle.” Wobei Atheismus und agnostisches Denken gleichfalls als Glaube zu betrachten sind.
Jede Möglichkeit des Diskreditierens der ‘anderen’ ist da hochwillkommen.

Nicht nur die Bibel lehrt etwas anderes.

1 Kommentar:

  1. Sehr gut!
    Besonders der letzte Abschnitt!
    "Ich weiß, dass ich nichts weiß"
    Alles ist "Glauben"

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