Sonntag, 25. März 2012

Religion: Menschen und Tiere als Opfergaben – wozu?

Aus heutiger Sicht muten die Opfergesetze im A.T. (3. Buch Mose) erschreckend und geradezu abstoßend an: Wenn ‘dieser Gott’ nicht nach menschlichem Blut (in Kriegen) verlangte, so mussten es Tiere sein – ganze Herden müssen dabei draufgegangen sein.

Viel zu viel Blut – auf unsere Zeit übertragen sähen die Opferbräuche eventuell so aus, wie Jörg Sieger schildert:

“Sonntagmorgen, 10.15 Uhr: Durch den Mittelgang der Kirche wird ein Stier hereingeführt; dann die Stufen hinaufgetrieben und vor dem Altar geschlachtet. Das Blut wird aufgefangen und an die Ecken des Altares gegossen. Von dort läuft es die Stufen hinab. Die Haut des Tieres wird abgezogen und der Stier dann in Stücke zerteilt, während die Knochen krachen und splittern. Dann wird Holz herbeigeschafft, um den Altar geschichtet und das ganze Tier darauf verbrannt. Und das jeden Sonntagmorgen …”

Bekanntermaßen ist das Opfern von Tieren keine Errungenschaft des Volkes Israel, im Gegenteil: die im A.T. beschriebene soziokulturelle Gemeinschaft distanzierte sich erstmals klar von Menschenopfern (Vgl. 1 Mose 22 –die Gehorsamsprüfung Abrahams, der den Befehl von JHWH erhalten habe, seinen Sohn Isaak zu opfern… doch es sei bei dem Schrecken geblieben, der Herr habe sich gnädig gezeigt und den Jungen verschont).

Eine Opfergabe bezeichnet den religiösen Vorgang der Darbringung von Gütern oder Lebewesen an eine ‘dem Menschen übergeordnete metaphysische Macht’ wie Ahnen, Geister und Gottheiten sein. Ein Opfer war und ist stets mit einem Ritual verbunden.

Im A.T. wird in den Opfergesetze (Leviticus, 3. Mose 1-7) eine Reihe verschiedener Opferrituale mit unterschiedlicher Bedeutung beschrieben. Insbesondere werden genannt

  • Schuld- und Sühneopfer
    eine Sünde wird bestraft, die Strafe aber wurde wurde auf das Tier gelegt. Der Sünder wird mit Gott versöhnt und gereinigt, ihm wird vergeben (3. Mose 4,26).
  • Friedensopfer
    wurden freiwillig erbracht und sollten die Stärkung der Gemeinschaft mit dem Gott des Volkes Israel sowie due Gemeinschaft untereinander  bewirken.
  • Brandopfer
    versprachen eine
    „Sühnung“ dergestalt, dass das göttliche Wohlgefallen an dem Tieres auf die/den Opfernden übertragen wurde

Neben diesen Opferritualen aus bestimmten Anlässen waren auch tägliche Opfergaben vorgeschrieben (tägl. Brandopfer). Zudem existieren noch besondere Bezeichnungen wie Hebopfer und Webopfer; beides scheint sich aber auf die vorgeschriebenen Rituale und den Umgang mit dem Opfergut zu beziehen. Eine sehr ausführliche Darstellung der mosaischen Opfergesetze findet sich hier.

Ich habe zwar noch keine konkreten Zahlenangaben ausfindig gemacht, aber angesichts der Vielzahl ‘sündigender’ Menschen und der großen Anzahl möglicher Vergehen muss es ein Meer von Blut gewesen sein, das täglich im Umfeld der Stiftshütte (des beweglichen Heiligtum der Israeliten) vergossen wurde.

Zwar wird mit dem Anlass der o.a. Opfergaben in den biblischen Vorschriften auch deren beabsichtigter Zweck dargelegt – Vergebung von Schuld, Gefallen vor Gott und schlicht das Befolgen seiner Gebote. Doch der tiefere Sinn dieser zahllosen Schlachtopfer erschließt sich mir noch nicht: (Was sollte JHWH vom Töten und Verbrennen ‘haben’? –Dass er sich nur am ‘lieblichen Brandgeruch’ erfreuen wollte, wie es mehrmals im A.T heißt, scheint mir für solches Blutbad nicht hinreichend zu zu begründen).

 

Spiritualismus als Erklärungsmodell?

Lediglich bei J.Greber (‘Der Verkehr mit der Geisterwelt Gottes’, ab S. 94) und in den sog. Neuoffenbarungen (z.B. bei J. Lorber) finden wir eine Erklärung, die einen konkreten Nutzen der Tieropfer impliziert – allerdings wird dazu ein (bei Greber allgegenwärtiger) Bezug zum Spiritualismus hergestellt:

Nach Greber fand zu biblischen Zeiten ein reger Geisterverkehr statt, d.h. die mediale Kommunikation zwischen den gläubigen Menschen und jenseitigen Wesenheiten, die im Dienste Gottes standen (beispielsweise Engel). Diese Kommunikation sei auf verschiedene Weise (u.a. in Volltrance, durch Visionen und Träume) erfolgt, habe aber stets eine universelle Trägersubstanz (das Od) erfordert. Dieser Träger sei erforderlich, da “Geist und Materie wegen der Verschiedenheit ihres Seins nicht unmittelbar aufeinander wirken können.”

Auch für seine mittelbare Präsenz unter den Angehörigen des Volkes (durch einen seiner Geister) habe Gott jenes Od verwendet:

“Da fuhr der Herr in der Odwolke herab und redete mit ihm.” 4. Mose 11, 25 – von J. Greber zitiert. In zeitgenössischen Bibelübersetzungen ist lediglich von einer ‘Wolke’ die Rede

Greber beschreibt die Wolkensäule, aber auch den brennenden Dornbusch als Odhülle; sie stehe in Verbindung mit einer Präsenz bzw. Betätigung eines Geistes Gottes: "Der Geist bedarf, um sich sichtbar zu machen, einer Odwolke.”

Die Odkraft wird als eine Art Ursubstanz von Allem (oder moderner als Bioenergie)beschrieben, die in unterschiedlicher Verdichtung

Die Thesen von Johann Greber möchte ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen; ihm ist jedoch für mein Empfinden hoch anzurechnen, das er für viele Mysterien und Mysteriöses im Umfeld der jüdischen und christlichen Religion einen in sich plausiblen Erklärungsansatz bietet. Diese Mühe machen sich amtskirchliche Autoritäten eher selten.

Darbringungen von Tieropfern, aber auch die bei Mose beschrieben Räucherungen sollen also durch Verstärkung der Odkraft die Präsenz des und die Kommunikation mit dem Geist Gottes begünstigen.
Da sich für Spiritualisten auch unangenehme, ‘böse’ Geister dieser Odkraft bedienen, werde so großer Wert auf Reinheit der für die Opferrituale zuständigen Priester usw. gelegt.

Nun besitzen weder J.Greber noch der von ihm beschriebene Spiritualismus eine sonderlich hohe Akzeptanz in unserer Zeit. Für Tieropfer sollte es daher eine im jüdisch-christlichen Kontext allgemein gültige Begründung geben.

Erst nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem im Jahr 70 n. Chr. legten die jüdischen Rabbiner fest, welche Handlungen nun die Tieropfer ersetzen sollten. Diese waren zunächst das Gebet (Amida), die Erfüllung der Mitzwot sowie dasdas Studium der Tora – bis sich das Gebet als liturgische Opfer-Ersatzhandlung durchsetzte.

Auch bei den Christen wurden keine Tiere mehr geopfert; vielmehr stellt das Christentum das bisherige religiöse Opfer generell in Frage.

Damit zeigt sich zwar eine wichtige religionsgeschichtliche Wende, doch bleibt der Grund für die Notwendigkeit weiter im Unklaren, warum überhaupt Opfer notwendig sind in der Beziehung zwischen den Menschen und ihrem Gott bzw. ihren Gottheiten.

Zwar braucht heute kaum mehr ein Regen- oder Sonnengott besänftigt zu werden, doch haben bis heute moderate Formen des Opferns auch im Christentum Bestand:

  • Tätige Nächstenliebe 
    Die zeitliche wie auch die materielle Aufwendung sowie Sachspenden zugunsten anderer Menschen und Institutionen (z.B. der eigenen Kirche) gelten als Gott wohlgefälliges Opfer.
  • Beiträge zur Schaffung von Kirchenbauten sowie deren Erhaltung und Ausstattung,
  • sog. Votivgaben und –kerzen
  • Martyrium
    ”Wer im Falle religiöser Verfolgung lieber den Tod erduldet, als vom Glauben abzufallen, ihn zu widerrufen und/oder das verlangte Böse zu tun, erleidet das Martyrium. Das Martyrium gilt als besonders verdienstvoll und als besonderer Ausdruck der Liebe zu Gott und zum Nächsten … Die Kirche sieht auch im keuschen Leben des Zölibatären, in der Jungfräulichkeit und Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ein unblutiges Martyrium.”

Ist es vermessen, in einem tödlichen Martyrium eine Parallele zu den früheren Menschenopfern anderer Religionen zu sehen? Ein solcher Vergleich hinkt zwar gewaltig-nicht zuletzt wegen der freiwilligen Motivation der Märtyrer – doch scheint immer noch der Grundgedanke zu bestehen, Gott nähme ein solches Opfer mit Wohlgefallen an?
Und was wurde bzw. würde nach offizieller Kirchenlehre aus den Gläubigen, der seinen Glauben aus Angst vor Tod oder Repression widerruft?

 

Das Kreuzesopfer als Erlösung?

Im Neuen Testament hat Gott das größtmögliche aller Opfer erbracht: Durch seine Menschwerdung bis zur letzten Konsequenz des Kreuzestodes habe Gott ein letztes und endgültiges Opfer dargebracht!
Damit hebt sich das Christentum von anderen Religionen ab: Es ist nicht mehr der Mensch, der opfert - sondern aus Liebe habe Gott sich den Menschen unumkehrbar hingegeben. Verbal zeigt sich dies deutlich in den Worten des letzten Abendmahls.

Die katholische Messfeier (auch ‘Messopfer’) soll dieses letzte Opfer auf unblutige Weise vergegenwärtigen.

Im Zusammenhang mit der Kreuzigung Jesu lässt sich die christliche Sicht der Notwendigkeit von Opfern näher beleuchten:

Nachdem die ersten Menschen gesündigt hatten (Erbsünde), sei die einstmals intakte Ordnung der gesamte materielle Schöpfung Gleichgewicht geraten. Aus dieser Verstrickung in Schuld konnten sich die Menschen alleine nicht mehr befreien. Unweigerlich wurden die göttlichen Geboten von allen folgenden Generationen wieder und wieder übertreten. Gott habe selbst eingreifen müssen, um diesen unseligen Zustand zu beenden:

Deshalb habe er seinen Sohn – der als einziger frei von Sünde  und Gott in allem gehorsam war -Mensch werden lassen und bis in den Tod am Kreuz getrieben. Dieser Gehorsam sei der einzige gewesen, um die Welt zu heilen.

Eine etwas andere, für mich fragwürdige Auffassung legt nahe, Gott sei durch den andauernden Ungehorsam der Menschen so sehr beleidigt worden, dass das größte denkbare Opfer ihn selbst habe besänftigen können: Gott musste sich am Kreuz für die Schuld der Menschen opfern (um sich selbst zu besänftigen…).

Beide Erklärungen treten miteinander verbunden und in unterschiedlichen Abstufungen auf – so beantworten die meisten christlichen Theologen  allen Ernstes die Frage, warum Gott seinen eigenen Sohn auf brutalste Weise foltern, beinahe verdursten und schließlich am Kreuz sterben ließ. Siegers Kommentar hierzu:

“Was wäre das denn für ein Gott, der das Blutopfer seines Sohnes braucht, um nicht mehr beleidigt zu sein? Was wäre das für ein Gott, den wir Menschen wirklich beleidigen könnten und der wie eine Krämerseele daranginge, die einzelnen Sünden der Menschen genau aufzurechnen, um das entsprechende Bußopfer dafür zu verlangen?”

(Der gesamte Fragenkomplex kann nur innerhalb der christlichen Glaubenslehre gestellt und beantwortet werden. Sobald die Kreuzigung Jesu in Verbindung mit seiner Gottessohnschaft in Frage gestellt wird, erübrigt sich auch der Rest.)

Erkennbar wird mit dem Dogma der Erbsünde, warum Opferrituale überhaupt eine hohe Bedeutung für Juden und Christen haben. Es geht dabei, soweit mein Verständnis überhaupt reicht, um zwei Unterstellungen:

  • Die tiefe Überzeugung, alle Menschen seien in unheilbarer Weise mit Schuld behaftet – unbhängig von ihrem Alter und ihren eigenen Handlungen,
  • der aus beiden Teilen der biblischen Überlieferung abgeleitete Glaube, Gott sei nicht willens oder nicht imstande, uns allen zu vergeben (sobald die individuellen Voraussetzungen wie Einsicht und Umkehr gegeben seien) – wenn nicht jenes denkbar größte Opfer erbracht werde.

Damit nicht genug: Um nicht doch noch in einer ewigen Hölle zu landen, muss jeder von uns nach dieser Doktrin weitere Voraussetzungen erfüllen: Dazu reicht es keineswegs, ein integres, spirituelles Leben zu führen. Vielmehr muss dieser christlichen Lehre einschließlich der Gottessohnschaft Jesu geglaubt werden – unabhängig davon, ob sich die Existenz von Gott und Jesus dem einzelnen während seines Lebens offenbart hat.

 

Auch hier bietet der bereits erwähnte Pfarrer Greber einen anderen Ausweg an: Eine ewige Hölle sei die Erfindung eines machtgierigen Klerus; in Wahrheit werde jeder Mensch früher oder später erlöst. Erlösung bedeutet für ihn die endgültige Befreiung aus dem nahezu endlosen Kreislauf der oft leidvollen Reinkarnation. Wann dieser Zeitpunkt eintritt, bestimmt jeder Mensch durch die Summe seiner eigenen Handlungen und Entscheidungen (Karmaprinzip).

Doch auch für Greber - der sich trotz Ablehnung der ewigen Hölle und Befürwortung der Reinkarnationslehre als einen guten Christen betrachtete, waren Tod uns Auferstehung Jesu von eminenter Bedeutung:

Vor der Menschwerdung Jesu habe die Menschheit unter des Herrschaft des Bösen gestanden, eine Folge des (für Greber selbstverschuldeten) Abfalls von Gott. Erst das selbstlose Opfer Jesu habe die Voraussetzung geschaffen, dass der Mensch diese ‘Sphäre des Bösen’ (die zugleich die Sphäre der verdichteten Materie ist) verlassen könne – dann, und nur dann, wenn er die notwendige seelische Reife und Einsicht erlangt habe.

Auch die hier sehr verkürzt skizzierte Version Grebers, die er selbst in seinem Buch auf ca. 300 Seiten darlegt, hält noch Fragen und mögliche Widersprüche für mich bereit. Doch sie ist in sich eher plausibel als die Lehre von einem Gott, der seinen Sohn quält um uns zu erlösen – und dann doch mit der Hölle droht, wenn wir nicht schnell genug an ihn glauben…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen