Donnerstag, 9. August 2012

Europäischer Superstaat durch die Hintertür?

Die Ende Juni 2012 beschlossenen Maßnahmen zur Euro- und Bankenrettung könnten unser aller Leben gravierender verändern, als die meisten Menschen sich überhaupt vorstellen können / wollen.

Es ist völlig unverständlich, wie immer größere Summen aufgebracht werden, ohne dass der Erfolg dieses hochriskanten Unterfangens sichergestellt werden kann. Und es ist verwirrend, dass ausgerechnet der künftige ESM-Chef Klaus Regling vor den Risiken der Geldspritzen für Banken warnt - im schlimmsten Fall drohe der Totalverlust von Steuergeldern. 
"Sollte eine Bank Pleite gehen, wäre das Geld demnach verloren."
Wo ist der große Unterschied für den Steuerzahler, wenn die Kohle den Umweg über Staaten nimmt, die potenziell ebenfalls insolvent werden? Sollte ein Staat Pleite gehen, wäre das Geld ebenso verloren. Abgesehen von rechtlichen Feinheiten ist das Ergebnis in beiden Fällen, dass die gewährten Bürgschaften zu Schulden der sog. Geber-Staaten werden. Spätestens dann ist es auch vorbei mit dem geliebten AAA-Rating für die Bundesrepublik seitens nutzloser, schädliche Ratingagenturen.

Arbeiten Regierungen in Europa und anderswo schon längst Hand in Hand daran, dass der politische Zusammenschluss einzelne Nationen zu einem "europäischen Superstaat" unausweichlich wird?


"Geheimer Bauplan" für Europa?


Das Schlagwort ist alles andere als neu …bislang habe ich den Unkenrufen im Internet allenfalls beiläufiges Interesse beigemessen, es solle eine Neue Weltordnung ('NWO') durch subtile Manipulation, wenn nicht Umgehung der Bevölkerungen herbeigeführt werden und ein Schritt zur NWO sei die Errichtung eines gesamteuropäischen Staates...

Doch tauchen Termini wie “Superstaat Europa” oder  “Vereinigte Staaten von Europa” (“ VSE”? klingt wie eines dieser Viren, sorry) nun auch in den etablierten Medien und in Reden verständiger Politiker auf. Es sind die gleichen Gesichter, die sich auch öffentlich gegen allzu weitreichende Garantie- und Finanzleistungen zugunsten eines maroden Geld- und Umverteilungssystems wenden. Diese Schar der Querdenker- und treiber ist nicht besonders groß - aber es gibt sie immerhin - in allen im Bundestag vertretenen Parteien.
Beispielsweise zeichnet der FDP-Politiker Frank Schäffler ein Grusel-Szenario: er befürchtet, dass demokratische Entscheidungsprozesse umgangen werden sollen. Eine solche politische Union betrachtet er als flächendeckenden Einheitsstaat, dergleichen würde vermutlich keine Zustimmung in den meisten Gesellschaften der gegenwärtigen Einzelstaaten finden – wenn sie denn gefragt würden…
Das Schüren der Angst vor einem Zusammenbruch des Finanzsystems bewirkt bereits, dass die meisten Bürger resigniert kuschen. Spätestens nach einem Warnschuss, wenn die Geldautomaten oder die Regale einige Tage leer bleiben, würde der Mainstream achselzuckend mitziehen – die wenigsten Bürger haben Übung in zivilem Ungehorsam und gewaltlosem Widerstand.
Will man verstehen, wovor die schärfsten Kritiker des ESM sich fürchten, ist ein Blick auf diesen Hintergrund unumgänglich: Die EU-Regierungschefs haben viel vor, der aktuell viel diskutierte ESM ist nur ein Baustein von mehreren.
Der EU-Gipfel im Juni 2012 habe gezeigt, dass die bestehende Wirtschafts- und Währungsunion in eine neue Phase eintreten, "wesentliche Bausteine und eine Arbeitsmethode zur Erreichung dieses Ziels" wurden vorgestellt.

Welches Zieles? Das Europa der Zukunft. In Umrissen ist der Masterplan schon erkennbar:

1. Bankenunion
Für das Zusammenwachsen des Bankenmarktes sprechen sich vor allem EZB und die EU-Kommission machen sich dafür stark. Die Bankenunion soll drei Elemente umfassen: eine europäische Bankenaufsicht, eine gemeinsame Einlagensicherung und einen zentralen Rettungsfonds für Not leidende Institute.
Vor allem Letzteres wäre eine unmittelbare Antwort auf eines der größten Probleme der Euro-Krise: Geraten große Banken an den Rand der Insolvenz, kann dadurch auch Existenz des jeweils mitbetroffenen Heimatstaates bedroht werden. Dies hat sich in Irland bereits gezeigt und droht sich auch in Spanien ab. Bisherigen Einlagensicherungssystemen wird nur vertraut, wenn zahlungskräftiger Staat mit guter Bonität sie stützt. Gerade die Krisenländern äußern daher den Wunsch, dass nun auch diese Einlagensicherungen unter dem großen, kräftigen Dach der Eurozone zusammengefasst werden. Gleichzeitig müsste wohl auch eine europäische Bankenaufsicht ihre Tätigkeit aufnehmen – vielleicht würde es einer solchen Institution eher gelingen, multinationale Banken unter eine wirksame Kontrolle zu stellen.

So weit ist man sich schon einig – doch die Länder, deren Banken gut durch die Krise bisher recht gut überstanden haben, sind ausgesprochen unglücklich über das Vorhaben einer gemeinsame Einlagensicherung. Gerade in Deutschland mehren sich Stimmen, die vor "einer Vergemeinschaftung von Risiken insbesondere zu Lasten der deutschen Kreditinstitute" warnen.
“Das Thema Bankenunion eignet sich kaum, um die Bürger wieder emotional für Europa zu begeistern.”
 

2. Strukturreformen

Das deutsche Credo seit Anbeginn der Krise: Es ist unerlässlich, dass die Staaten in Südeuropa ihre Sozialsysteme erneuern, ihre Arbeitsmärkte deregulieren, den Binnenmarkt vollständig Realität werden lassen…Doch die Realisierung verzögert sich, wie die EU-Kommission für Spanien und Griechenland widerholt anmahnte.
"Das wahrscheinliche Ergebnis der aktuellen Reformbemühungen wird sein: Wir Deutsche bekommen die politischen Reformen, die wir haben wollen, und öffnen dafür unser Portemonnaie noch ein Stück weiter", sagt Jürgen Neyer, Professor für Politikwissenschaft an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.
"Klassisch hegemoniale Politik" nennt er das: Die Deutschen wollen die Reformen, über deren Notwendigkeit sich Politik und Ökonomie einig sind, erzwingen.”
Im Gegenzug scheinen Frankreich, Italien, Spanien gemeinsam eine geringfügig andere Linie zu fahren: Vor allem Deutschland solle die harten Reformen finanziell unterstützen. Dazu gebe es keine Alternative, denn kein anderer Staat in Europa in der Lage ist, die notwendigen Ressourcen für eine effektive Krisenbewältigung zur Verfügung zu stellen!
 

3. Fiskalunion

Europa gibt sich schrittweise einen gemeinsamen Rahmen für seine Finanzpolitik. Doch wie weit soll dieser Rahmen in die Souveränität der einzelnen Staaten eingreifen dürfen? Nicht nur Frankreich sperrt sich gegen den deutschen Vorschlag, die EU-Kommission solle Länder beim Europäischen Gerichtshof belangen können, die sich entgegen getroffenen Vereinbaren über festgelegte Grenzwerte hinaus verschulden.
Statt gemeinsamen Haushaltsregeln befürworten gerade die Krisenländer Euro-Bonds – nichts anderes als gemeinsame Schulden in Form von Anteilsscheinen, für die gemeinschaftlich gehaftet wird. “Für die Krisenländer würden die Zinsen sinken, für Deutschland würden sie steigen.”
Nur unter einer Bedingung, sagt die Bunderegierung: eine europäische Finanzpolitik mit Durchgriffsrechten auf die Haushalte der Mitgliedsstaaten.
Ohne den Nutzen einer gemeinsamen Finanzpolitik pauschal zu bestreiten, stelle ich mir die Frage, wie weit dieser “EU-Sozialismus” denn noch gehen soll. Deutschland zahlt und sagt den ‘armen Ländern’, was sie künftig zu tun und zu lassen haben? Langfristige Friedenssicherung und Vermeidung sozialer Unruhen lassen sich so schwerlich erreichen.
Die Zeiten, wo am deutschen Wesen die (europäische) Welt genesen sollte, gehören hoffentlich endgültig der Vergangenheit an! Gerade wer sich gegen ein ‘Europa nach deutschem Vorbild’ und unter deutscher (bzw. deutsch-französischer) Hegemonie ablehnt, vermeidet den Effekt, das Deutsche und Deutschland künftig in Europa nur dann gerne gesehen sind, wenn es um die Rechnung geht!
 

4. Politische Union

Demokratie in der EU wird wohl bedeuten, die Rechte des des Europäischen Parlaments zu stärken. Die Bürger sollen sich wieder mehr für Europa begeistern, indem sie mehr Einfluss auf Brüssel bekommen.
Wollen “die Bürger” dies überhaupt? Viele, so mein Eindruck, wünschen sich statt dessen ein ausreichendes Maß an nationaler Eigenständigkeit und –verantwortung.In Deutschland wird man dafür erstaunlich rasch mit der Nazikeule sanktioniert. Etwas mehr Differenzierung ist dringend zu wünschen!

Jedenfalls bestehen solche Vorbehalte nicht nur bei den allzu schnell eines braunen Nationalismus verdächtigten Deutschen, sondern in allen Mitgliedsländern. Die Aufgabe staatlicher Souveränität ist ein heikles Ziel – ist dieses überhaupt erstrebenswert? Für die Profiteure von Exportwirtschaft und ausgeweitetem Binnenmarkt bestimmt – doch wie steht es um den Bürger und Steuerzahler, der Wert auf landestypische Eigenheiten und Traditionen legt?
“Am Ende steht die Vision einer EU, die in der Welt mit einer Stimme spricht – von Entscheidungen über militärische Einsätze gegen Despoten über den Einsatz für einen europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat bis zu einer gemeinsamen Steuerpolitik.”
Nicht zu vergessen die gemeinsame Sicherheitspolitik mit Vorratsdatenspeicherung und umfassender Überwachungstechnologie – Schönes Neues Europa…
FDP-Finanzexperte Frank Schäffler kritisiert den Plan einer politischen Union als “ein planwirtschaftliches Projekt von oben, das demokratisch überhaupt nicht legitimiert wäre." Damit käme der “europäische Superstaat durch die Hintertür".

Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mag sich gewaltig vertan haben, als er derlei Planspiele als ein langfristiges Projekt "für die nächsten 30 Jahre” einstufte: Tatsächlich ist der der ESM so konzipiert, dass er weit mehr bewirken wird, als ‘nur’ die jetzige Schuldenkrise der Eurozone zu lösen. Mit ihm wird ein machtvolles Organ geschaffen, das dauerhaft die Finanz- und Haushaltspolitik der Teilnehmerstaaten dominiert. Auf diesem Weg werde die politische Union schrittweise erzwungen, ohne auf störende demokratische Prozesse in 17 Ländern Rücksicht nehmen zu müssen.
Wie dem auch sei – schon heute entbehrt die Sichtweise, Deutschland werde wohl für ‘zu vieles’ eingespannt, nicht einer gewissen Grundlage:

Was ist Target-2?… was meint das böse Wort “Transferunion”?
Wer nur für die Zukunft beschlossene Massnahmen wie ESM und Fiskalpakt thematisiert, übersieht leicht die Komplexität der bestehenden Finanzinstrumente in ihrem systemischen Zusammenwirken:
Das Target-2-Verfahren ist ein technisches System zur Abwicklung von Zahlungen zwischen Notenbanken der Euro-Zone. Die einzelnen Forderungen der Notenbanken werden addiert; daraus errechnet sich im Ergebnis ein Gesamtsaldo jeder Notenbank. Dieser ist positiv, wenn die Forderungen die Verbindlichkeiten überwiegen und andersherum. Man staune: Lt. Monatsbericht der Bundesbank lag der Target-2-Saldo per Ende Juni bei etwa 728 Milliarden Euro - so hoch wie noch nie seit Einführung des Euro. Ob dies gut oder schlecht ist – oder inwieweit mit diesem ‘Guthaben’ Risiken verbunden sind, darüber streiten die Fachleute noch.

Ein Ausfallrisiko besteht nurdann, wenn eine Notenbank nicht mehr zahlungsfähig ist und die hinterlegten Sicherheiten zur Abdeckung deren Schuld nicht ausreichen. Spanien erscheint hier als mögliches Sorgenkind – u.a. mit einem Targetsaldo von minus 408 Milliarden Euro.
Diese astronomischen Summen lassen aber auch erahnen, was u.a. Deutschland blühen könnte, wenn wirklich die Insolvenz eines oder gar mehrerer Euro-Länder eintritt oder der Euro als Währung ganz zusammenbräche!
Wer die einfache Rückkehr zur DMark herbeiredet und meint, sie sei zum Nulltarif zu erreichen, könnte ein Alkoholproblem den Überblick gänzlich verloren haben.

Resultat von zwei Weltkriegen?
Die Position des früheren EU-Kommissars Günter Verheugen (siehe das kurze Statement, Video aus dem Jahr 2010) gibt mir durchaus zu denken. Ist es wirklich denkbar, dass die Integrationsbemühungen bis heute einer Angst der übrigen Staaten Europas vor einem allzu mächtigen, unabhängigen Deutschland entspringen?
Oder wurde da ein beliebter Reiz-Reaktions-Automatismus instrumentalisiert?

Selbst kann ich die gegenwärtige Haltung gegenüber den Deutschen allenfalls für einzelne Privatpersonen in Russland und China vorsichtig einschätzen. Misstrauen oder gar Feindseligkeit habe ich in keinem Fall zur Kenntnis nehmen müssen. Gerade in Russland, aber auch in China differenzieren die Menschen sehr feinsinnig zwischen verschiedenen Generationen, Epochen und Individuen.
Möglich, dass es in der Politik anders zugeht.
Wie dem auch sei, Verheugen liegt unbestreitbar richtig mit seiner Forderung, Deutschland müsse die ihm in den Nachkriegsjahren erwiesene Solidarität erwidern! Soweit ich dies beurteilen kann, wurde und wird diese Solidarität realisiert – dagegen ist nichts, aber auch gar nichts einzuwenden (solange nicht Rüstungslieferungen mit ihr begründet werden). Doch wie weit darf Solidarität gehen? Womöglich Bis an den Rand der Insolvenz oder Selbstauflösung?
Die in der Politik so gerne verwendeten Worthülsen haben den nützlichen Begleiteffekt, dass man ab der zigsten Wiederholung kaum mehr den Bedeutungsinhalt der verwendeten Begriffe zur Kenntnis nimmt. Methode? Ein wenig Konditionierung? Trotzdem: Wenn Angela Merkel den ESM als lediglich einen Schritt, aber bei weitem nicht das
Internationale Politik war und ist ein Balanceakt, Vernunft ist die Balancierstange. Ein währungs- und europapolitischer Alleingang Deutschlands ist m.E. ebenso undenkbar und falsch wie die rückstandslose Fusionierung der mitteleuropäischen Staaten zu einem künstlichen Gebilde.

Übrigens verstehe ich nicht, warum man jenseits der Schengen-Grenze weniger Angst vor einem ‘Superstaat Europas’ haben sollte als vor einem vermeintlich unberechenbaren deutschen Staat, der immerhin über keine Atomaffen verfügt und seine Armee kontinuierlich verkleinert.

Siehe auch:



















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