Samstag, 25. August 2012

Unsterblichkeit der Seele? Platons Phaidon

Ein Dialog über das Wesen der Seele und die Ewigkeit

Auf ein einzelnes der vielen philosophischen oder theologischen Konzepte von Unsterblichkeit und ewiger Existenz der (menschlichen) Seele vermag ich mich nicht festzulegen – an der Hoffnung auf dieses Weiterexistieren der Seele halte ich dennoch unbedingt fest.
Mein persönlicher Grund für dieses Hoffen ist fast banal: Die Vorstellung, für das Selbst – zu dem insbesondere Bewusstsein und Erinnerung zählen – gebe es kein 'Danach', impliziert für mich zu einer völligen Sinn- und Ziellosigkeit des menschlichen Daseins. Anders ausgedrückt: In der Einseitigkeit dessen, was die Mehrzahl der Menschen in ein paar Jahrzehnten irdischen Daseins veranstaltet, entdecke ich plumpen Selbstzweck, naturalistisches Sich-Reproduzieren, maximierte Konsum- und Sinnlichkeitserfahrung sowie die selbstgefälligen Erfolgserlebnisse einzelner Alphamännlein und –weiblein, aber ganz sicher weder Sinngebung noch Vollendung.

Nun hat es manchmal den Anschein, als sei die Frage nach dem Tod, der Beschaffenheit des Jenseits und 'was dann aus uns wird', nahezu ausschließlich die Domäne der um die "Wahrheit" konkurrierenden Religionen. Diese (vor allem die drei großen monotheistischen Religionen) haben entscheidende Nachteile:

  • ein kompetitives Entweder-/Oder-Denken:
    Religionen versuchen uns mit mehr oder weniger drastischen Drohgebärden einzuschärfen, an ihre jeweilige Version vom Weiterleben der Seele seien Bedingungen geknüpft …die natürlich nicht von den den Religionsstiftern oder ihnen nachfolgenden Klerikern, sondern unmittelbar von Gott stammen sollen.
  • ein Exklusivitätsanspruch, demzufolge die große Mehrzahl aller Menschen (nämlich alle jeweils "Ungläubigen") entweder im dunklen Nichts der Vergessenheit oder in niemals endenden Höllenqualen endet.
Als wirklich trostbringend empfindet dies kaum jemand. (Zumindest habe ich im christlichen Umfeld noch keine einzige Beerdigung erlebt, die mit gelassener Leichtigkeit den Übergang des Verstorbenen in eine bessere Welt begangen hätte.) All dies ist Anlass genug, auch die 'unabhängigen' Konzepte seelischer Unsterblichkeit zu suchen – ohne damit die religiös motivierten Eschatologien und Heilslehren per se zu verwerfen.

Platons Phaidon – der Dialog des Sokrates über Wesen und Unsterblichkeit der Seele


Der Gedanke, die Seele sei unsterblich, ist kein exklusives Produkt im Portfolio der maßgeblichen, oft monokausal auf einen übernatürlichen Schöpfer ausgerichteten Religionen - wir treffen ihn schon bei den frühen Philosophen an:


Der Phaidon ist ein zwischen 385 und 378 v. Chr. entstandener Dialog des griechischen Philosophen Platon. Dieser schildert im Phaidon das letzte Zusammentreffen des Sokrates mit seinen Freunden vor dessen bevorstehender Hinrichtung. Gegen Sokrates war das Todesurteil verhängt worden, weil ihm ein verderblicher Einfluss auf die Jugend sowie die Missachtung der damaligen Götter zur Last gelegt worden war.
Auf die Bitte des Pythagoreers Echekrates berichtet Phaidon von den letzten Stunden des Sokrates und von dem letzten Gespräch: der Argumentation vom Fortleben der Seele. Phaidon selbst gründete nach Sokrates' Tod eine Philosophenschule in Elis.
Im Mittelpunkt des Phaidon steht auch die Ideenlehre (s.u.) des Platon.
  • Den ins Deutsche übersetzten Text des Phaidon findet man beispielsweise hier (PDF) in einer überarbeiteten (leicht zu lesenden) Fassung oder auf Zeno.org. Zum Erstaunen seiner Freunde habe Sokrates im Angesicht des bevorstehenden Todes tapfer und "ganz glücklich" gewirkt. So habe Phaidon zwar Trauer empfunden, aber auch die Zuversicht, sein Freund werde begnadet und mit "einzigartigem Wohlbefinden in die Unterwelt eingehen". 


Tod und Reinigung der Seele

Sokrates erklärt, der Tod für den Philosophen keinen Schrecken; er selbst gehe dem "nicht unwillig" entgegen. Jede Form von Suizid lehnt er indessen aufgrund eines aus göttlichen Geheimlehren ersichtlichen Verbotes ab: die Menschheit sei als "eine der Herden der Götter" zu betrachten und jeder einzelne in einer Festung (dem Körper) gefangen, aus der er sich nicht selbst befreien dürfe. Andernfalls drohe womöglich eine Bestrafung.
Auch Sokrates betrachtet die Menschen als Eigentum von weit über ihm stehenden, göttlichen Wesen. Obgleich dem Gedanke, mir nicht selbst zu gehören, etwas Beängstigendes (auf Gedeih und Verderb meinem 'Eigentümer' ausgeliefert zu sein) anhaftet – hier geht es vor allem darum, dass der Hüter der Herde am besten wisse, was gut für sie ist.
Dennoch, der Tod als solcher sei erstrebenswert und Todessehnsucht daher verständlich, sogar begrüßenswert. Widerspruch und Unverständnis seitens Kebes und Simmias bewegen Sokrates dazu, seine Auffassung zu erläutern.
„… wenn ich nicht glaubte, zuerst zu andern Göttern zu kommen, die auch weise und gut sind, und dann auch zu verstorbenen Menschen, welche besser sind als die hiesigen, so täte ich vielleicht unrecht, nicht unwillig zu sein über den Tod. Nun aber wisset nur, dass ich zu wackeren Männern zu kommen hoffe.“
Der Tod verschaffe der Seele die lange gesuchte Unabhängigkeit, denn bei seiner Suche nach tiefen Erkenntnissen behindere der Körper den Philosophen: Sinneseindrücke vermitteln keine objektiven, sicheren Informationen und können den Verstand vielmehr täuschen. Ebenso sind körperliche Bedürfnisse und Triebe störend auf dem Weg zur wahren Erkenntnis.
Mehr noch: der Körper sei eine regelrechte Last; der Philosophen solle ihm nur das Nötigste zugestehen.

“Selbst im Krieg, beim Aufruhr und in Kämpfen, haben wir es nur mit dem Körper und seinen Begierden zu tun. Denn in allen Kämpfen geht es um den Besitz von Geld und Gut, die wir für unser leibliches Wohl haben wollen.
Weil uns diese Dinge so vereinnahmen, fehlt es uns an Muße, Philosophie zu betreiben.
Nur Vernunft lässt das Erkennen und Verstehen der Wirklichkeit zu - während Furcht, Liebe, Angst und alle übrigen Empfindungen dieser Erkenntnisgewinnung im Weg stehen. Folglich ist ein Philosoph gut beraten, seinen Körper von diesen störenden Einflüssen fernzuhalten.
Mit dem Ableben des Körpers hat es damit ein Ende: durch den Prozess des Sterbens erfolgt die Trennung der Seele vom Körper, sie wird von den letzten Fesseln des Leibes befreit und ist nun "für sich allein".
Dies ist für einen Philosophen - als 'Freund der Weisheit' - der Idealzustand:

"Wenn wir je etwas rein erkennen wollen, müssen wir uns von ihm befreien,
und allein mit der Seele die Dinge an sich anschauen."
(Der Tod als Instrument, um kritische Distanz zu all den Einflüssen, denen die Lebenden mit ihren Trieben, Bedürfnissen und Befindlichkeiten ausgesetzt sind? Kann man so sehen, nur stelle ich mir den 'entkleideten' Erkenntnisprozess innerhalb der als Ewigkeit bezeichneten Dimension auf die recht einseitig vor, wenn nicht sogar schal.)
Insoweit sei es töricht, sich vor dem Tod zu fürchten. Erst nachdem diese Schwelle überschritten sei, lasse sich im Jenseits die endgültige Wahrheit finden.
Ohne anmaßend sein zu wollen, scheint es mir doch, als werde hier ein Aspekt übersehen: Bergen nicht auch die so sehr von Sokrates verachteten Erfahrungen und sinnliche Freuden (in Maßen genossen) wesentliche Impulse für den Versuch, die (gesamte) Wirklichkeit zu erfassen? Die Götter, die ‘ihrer Herde’ alles Gute und Notwendige angedeihen lassen, würden die Mitglieder dieser Herde kaum grundlos einem solchen ‘Gefängnis’ ausliefern…
Sokrates mahnt auch zur Besonnenheit, die für mich freilich implizieren würde, sowohl Körper und Sinne als auch Verstand und Seele in einem fortwährenden, fraglos schwierigen Balanceakt gleichermaßen zu ‘nutzen’, um Erkenntnis und Weisheit zu gelangen.

Hören und Sehen versetzen den Menschen überhaupt erst in die Lage, über komplexe Fragestellungen nachzudenken.

"Wenn einer ungeweiht und uneingeweiht im Hades ankommt, so wird er dort im Schlamm zu liegen kommen. Der Geläuterte aber und der Geweihte, wird nach seiner Ankunft dort bei den Göttern wohnen…"

Beweise für die Unsterblichkeit der Seele?

Die bisherigen Überlegungen und Annahmen des Sokrates setzen freilich einen entscheidenden Umstand als unumstößliche Tatsche voraus: Mit dem Tod stirbt allein der Körper, doch die Seele bleibt als Einheit erhalten. D.h. sie unterliegt auch nicht der Reorganisation wie die elementaren Bausteine des materiellen Körpers.
Dies dürfe man eben nicht einfach voraussetzen, wenden Freunde und Schüler des Sokrates ein – sonst bleibe von dem bisher Gesagten nicht mehr als eine schöne Hoffnung. Vielmehr bedürfe es "überzeugender Gründe und Beweise dafür, dass die Seele nach dem Tode des Menschen noch existiert und dass sie dann noch Kraft und Einsicht besitzt."

(Hier liegt für mich der bedeutsamste Knackpunkt, weswegen ich mich nicht auf dem Markt der religiösen und spirituellen Wettbewerbe für eines der angepriesenen 'Produkte' entscheiden mag: Solange diese Eingangsvoraussetzung nicht abschließend geklärt ist - was in Ermangelung von Rückmeldungen aus dem Hades weiterhin schwer fallen dürfte - sehe ich keinen Nutzen darin, meinen Fokus zu verengen und mir damit weitere wertvolle Denkimpulse vorzuenthalten. Besonders angenehm ist dies nicht, denn ich empfinde das Fehlen einer geistigen/geistlichen Heimat durchaus als Defizit.)

Auch Sokrates empfindet zwar Hoffnung auf Erlösung und Zuversicht in Bezug auf seinen Weg ins Jenseits, aber keine absolute und unwiderlegbare Gewissheit. Auch deswegen widmet sich er sich nun intensiv einer Beweisführung für die Unsterblichkeit der Seele.



(1) Werden aus dem Gegensätzlichen’ und der Kreislauf des Lebens

Hier wird angenommen, dass Gegensätzliches einander hervorbringt: Wo immer Gegensätze bestehen (warm - kalt, Gutes – Schlechtes, Licht – Finsternis) muss eine Veränderung von einem Zustand in einen entgegengesetzten Zustand erfolgen. Dieses Prinzip des Werden aus dem Gegensätzlichen’ gilt für alles, was wird.
Ferner bestehe die Notwendigkeit einer zyklischen Regeneration: Wenn irgendwo ein Mensch oder Tier stirbt, werde an einem anderen Ort ein gleichartiges Lebewesen geboren. Werden und Vergehen, Leben und Tod müssen einen Kreislauf bilden, sonst käme alles zum Stillstand.
"…würde nicht ebenso, lieber Kebes, wenn alles zwar stürbe, was am Leben Anteil hat, nachdem es aber gestorben wäre, das Tote immer in dieser Gestalt bliebe und nicht wieder auflebte, ganz notwendig zuletzt alles tot sein und nichts leben? 
Denn wenn zwar aus dem Andern das Lebende würde, das Lebende aber stürbe, wie wäre denn zu helfen, dass nicht zuletzt alles im Totsein aufginge?"
Wirklich einleuchtend finde ich diese Beweisführung noch nicht, jedenfalls nicht in Bezug auf das Weiterleben der immateriellen Seele. Unterstellt man freilich die Unveränderlichkeit der Seele [vgl. (3)], so schließt sich der Kreis des Werdens und Vergehens allen Lebens im 'biologischen' Sinne, wobei die Seele gleichsam als Katalysator an diesem Kreislauf teilnimmt. Aber wie lange?

(2) Wiedererinnerung
Kebes beruft sich auf die die Lehre der Wiedererinnerung: Danach ist Lernen die Erinnerung an etwas, das in einem früheren Leben bereits bewusst war. Folglich müsse die Seele schon vor der Geburt unabhängig vom Körper existiert haben. Sokrates erläutert dies an einem Beispiel:
Zwei Steine erscheinen uns gleichgroß – dennoch realisieren wir auf einer nicht-visuellen Ebene, dass sie nicht vollkommen gleichgroß sind. Dies sei nur möglich, da wir den Standard des Gleichgroßen an sich kennen und so Abweichung der Steine von diesem Standard erfassen.

Diesen Standard aber müssen wir lt. dieser Sichtweise schon vor unserer Geburt besessen haben. Daraus folgt für Sokrates: die Seelen  existierten schon zuvor, ohne den Körper. Eine solche Präexistenz der Seele besagt indessen noch nicht ihr Existieren über den Tod hinaus.


(3) Die Neigung der Seele zum Ewigen
Zerstörbarkeit beruht laut Sokrates darauf, dass Zusammengesetzte sich wieder in seine kleineren/kleinsten Bestandteile zerlegen lasse. Veränderlichkeit und beobachtete Veränderung ist ein Anzeichen für das Bestehen aus kleineren Bausteinen - Unveränderlichkeit kennzeichnet Unteilbares, also eine unzerstörbare Einheit.
"Das Gleiche selbst, das Schöne selbst, und so jegliches, was nur ist selbst, nimmt das wohl jemals auch nur irgendeine Veränderung an? Oder verhält sich nicht jedes dergleichen als ein einartiges Sein an und für sich immer auf gleiche Weise und nimmt niemals auf keine Weise irgendwie eine Veränderung an?"
Wir erfassen Veränderungen durch Wahrnehmungen, das Unveränderliche dagegen erfassen wir überhaupt nicht und klassifizieren es daher als unsichtbar. Das Unsichtbare bleibe demnach immer gleich, unterliege keinerlei Veränderung und sei insoweit 'unzerstörbar'. So verhalte es sich auch mit der Seele (im Gegensatz zum Körper): sie ist unsichtbar und demzufolge weder veränderlich noch zerstörbar.
Solange sie sich mit der Welt beschäftigt, macht sie von den körperlichen Sinnen Gebrauch - damit ist für Sokrates ein Abstieg der Seele verbunden: für die Dauer des irdischen Lebens ist sie an veränderliche Objekte gebunden und von ihnen abhängig.

Deswegen ist die Seele nur verwandt mit dem Ewigen, sie erlangt ferner die Herrschaft über den Körper. In dieser Funktion sei mit dem Göttlichen vergleichbar, das über sterbliche Lebewesen herrsche. Somit sei die Seele dem Unveränderlichen, Göttlichen, Unsterblichen ähnlich, im Gegensatz zum Körper, der veränderlich und sterblich ist und bleibt.



(4) Seele bedeutet Leben, nicht Tod


Zuletzt argumentiert Sokrates, dass es Träger von Eigenschaften gibt,die aber nicht mit diesen Eigenschaften identisch sein müssen. So ist Feuer nicht identisch mit Hitze, aber ein Träger dieser Eigenschaft. Allerdings würde Feuer könnte niemals Kälte als Eigenschaft besitzen können.
Die Seele hingegen bringe das Leben als notwendige Eigenschaft mit sich. Durch ihre Anwesenheit werde der Körper belebt. Da der Tod dem Leben entgegengesetzt ist, kann die Seele den Zustand des ‘Tot-seins’ niemals annehmen, ohne das zu bleiben, was sie ist. Sie ist zudem unzerstörbar und somit könne die Seele niemals durch den Tod vernichtet werden.
Eine tote Seele wäre ein Widerspruch in sich, da die Seele der Träger des Lebens ist.-


Schließlich sind seine Freunde mit Sokrates einer Meinung und haben keine Einwände mehr (oder verzichten in dieser Situation des nahenden Todes taktvoll darauf, weitere zu äußern?).

Der Dialog endet mit der Schilderung, wie Sokrates sich von seiner Familie verabschiedet und der anschließenden Sterbeszene: Ruhig und gelassen habe Sokrates den ihm gereichten Schierlingsbecher getrunken und in Anwesenheit seiner weinenden Freunde das Eintreten des Todes erwartet. Phaidons Schluss-Satz :
„Dies, o Echekrates, war das Ende unseres Freundes, des Mannes, der unserm Urteil nach von den damaligen, mit denen wir es versucht haben, der trefflichste war und auch sonst der vernünftigste und gerechteste.“
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Dies ist nur eine verkürzte Wiedergabe einzelner, m.E. zentraler Elemente des Dialoges. Es lohnt sich durchaus, den gesamten Text zu lesen und kritisch zu durchdenken. Was heute den Naturwissenschaftlern weder positiv noch negativ gelingt, konnte damals auch bei den Philosophen (aus Schule des Pythagoras) nicht in für alle Zeit unwiderlegbarer Weise funktionieren: Per mathematischer bzw. logischer Beweisführung kann die Sterblichkeit oder Unsterblichkeit der Seele nicht letztgültig belegt werden - das fragliche Jenseits (als spätere 'Aufenthalts-Dimension' für die Seelen) ist den naturwissenschaftlichen Erkenntnismethoden nicht zugänglich. Zudem kommt Unsterblichkeit wohl nur durch eine immaterielle (über-natürliche) Komponente zustande, welcher auch für unser diesseitiges Bewusstsein und Verstandesvermögen nicht bzw. nicht vollständig zu erfassen ist.

Die Argumentation des Sokrates ist durchdrungen von dessen tiefer Überzeugung, dass die Seele unsterblich sei. Allein diese Überzeugung, nicht aber die Lückenlosigkeit seiner Beweisführung, lässt ihn voller Zuversicht dem Tode entgegen sehen. Worte wie "Der Tod ist erst der Anfang" könnten auch von ihm stammen.

Unerfreuliche Aspekte des gegenwärtigen Zeitgeistes resultieren aus der zwar oft verdrängten, aber sehr wohl präsenten Wahrnehmung vom Tod als gefürchteter Sensenmann, von dem kaum etwas angenehmes erwarten dürfe. Hier wird der für viele Menschen unbestreitbar leidvolle Sterbeprozess vermischt mit dem Zustand, der sich erst daran anschließt ...und von dem wir in Bezug auf die Seele herzlich wenig Wissen haben. 
Aus Angst vor beidem - einem potenziell wochen- oder Monate währendem Sterben sowie der Ungewissheit in Bezug auf den Zustand des Tot-seins - werden stressbehaftete Anstrengungen unternommen, um beides hinaus zu zögern. In angespanntem Lebenshunger wird der materieller Konsum und sinnliches Erleben(wollen) auf bisweilen zwanghaft anmutende Weise ausgeweitet und verlängert, bis die sichtbar begrenzte Lebenszeit dann trotz aller Angestrengtheit unwiederbringlich verronnen (vertan?) ist.
Gelänge es hingegen, den Tod als Freund oder wenigstens als einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Vollendung unseres Daseins aufzufassen, könnte dieser stetige Stress- und Verdrängungszustand eventuell abgemildert werden. Wir würden uns angstfrei auf einen Prozess der Umwandlung einstellen und einlassen können, den wir als vorläufiges Ziel dieses Lebens(abschnittes) betrachteten.
"Angst ist die größte Barriere der eigenen Entfaltung und somit ein Hindernis auf dem Weg zum Ursprung, zu Gott."  Stefan von Jankovich
Das 'unvermeidliche' irdische Leben verkäme dank einer dergestalt modifizierten Perspektive nicht länger zum fragwürdigen Selbstzweck des Überlebens, sondern dient nun der bewussten Vorbereitung "für die Werte des jenseitigen Lebens." Mit der Einschränkung, dass je nach persönlichem Reifegrad zuvor noch einige weitere Übungsrunden (im Sinne der Karma- und Reinkarnationslehre) anstehen könnten.
Auch wenn die von dem griechischen Gelehrten hochgehaltene Todessehnsucht m.E. in der Welt der Lebenden heute meist nicht in Erscheinung zu treten braucht (es mag durchaus begründete Ausnahmen geben wie z.B. unheilbare Krankheiten), dürfen wir uns an dieser Zuversicht des Sokrates ein Beispiel nehmen - unabhängig von unserer eigenen Religion oder Weltanschauung.

Nun, das ist die Theorie. In der praktischen Umsetzung hänge ich noch ein wenig fest: den Tod als unabänderliches Daseinselement und unausweichlichen Zustand fürchte ich nicht mehr, seit ich mich vom römisch-katholischen Konzept der Höllenstrafen distanzieren konnte. Meine Furcht vorm Sterben ist hingegen geblieben, als unbelehrbarer Konsument einer Alltagsdroge (Nikotin) gehe ich nicht von einem notwendigerweise friedlichen Einschlafen aus. Je intensiver ich mich indessen mit Aspekten von Sterben und Tod auseinandersetze (z.B. Patientenverfügung? Organspende?), um so ruhiger bleibe ich innerlich, wenn der Gedanke 'Na, mit mehr 50 Jahren kommst du allmählich auf die Zielgerade' wieder einmal aufkommt.

Platons Phaidon, mit Hans-Georg Gadamer 



Anmerkungen


  1. Platons Ideenlehre ist die neuzeitliche Bezeichnung für die auf Platon (428/427–348/347 v. Chr.) zurückgehende philosophische Konzeption, die Ideen als eigenständige, dem Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Objekte ontologisch übergeordnete Entitäten annimmt. Solche Ideen werden zur Unterscheidung vom modernen Sprachgebrauch, in dem man unter „Ideen“ Einfälle, Gedanken oder Leitbilder versteht, „platonische Ideen“ genannt.




Übersicht zur Ideenlehre (Quelle: Wikipedia)


Platonische Ideen sind beispielsweise „das Schöne an sich“, „das Gerechte an sich“, „der Kreis an sich“ oder „der Mensch an sich“. Nach der Ideenlehre sind die Ideen nicht bloße Vorstellungen im menschlichen Geist, sondern eine objektiv existierende metaphysische Realität. Die Ideen, nicht die Objekte der Sinneserfahrung, stellen die eigentliche Wirklichkeit dar. Sie sind vollkommen und unveränderlich. 

Als Urbilder der einzelnen vergänglichen Sinnesobjekte sind sie die Voraussetzung von deren Existenz. Platons Ideenkonzeption steht somit in polarem Gegensatz zur Auffassung, dass die Einzeldinge die gesamte Wirklichkeit ausmachen und hinter den Allgemeinbegriffen nichts steht als das Bedürfnis, zur Klassifizierung der Phänomene Ordnungskategorien zu konstruieren.



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