Montag, 6. Februar 2012

Illusionen zwischen Wissenschaft und Glaube

Glaube denen, die die Wahrheit suchen,

und zweifle an denen, die die Wahrheit gefunden.

Andre Gide



Ist damit nicht schon alles gesagt? Na ja, zumindest liegt in dem o.a. Zitat ein wie ich meine wichtiger Ratschlag. Menschen sind fehlbar, sie lernen ein Leben lang und ändern ihre Perspektive häufig - nicht immer um 180 Grad, doch kommen auf dem langen Weg der Wahrheitssuche stets neue Mosaiksteine des Wissens und Erahnens hinzu und erweitern den subjektiven Horizont ein wenig mehr...


 So sollte es zumindest sein. Wer dagegen meint, erleuchtet zu sein - oder noch schlimmer: wer weiß, dass er es nicht ist, aber ein bewusstes Täuschungsmanöver vollführt, führt kaum Gutes im Schilde. Spiegelbildlich begegnen wir Wissenschaftlern, die jede Demut und Bescheidenheit aufgegeben haben und sich einbilden, nicht einen kleinen Teil des gegenwärtigen Wissensstandes zu repräsentieren, sondern zu wissen. Endgültig, final, Schluss, aus, basta ...das ist jetzt so und bleibt auch so.


Realitätsverlust eben, den man für harmlos halten könnte, wenn sich nicht eine wachsende Anhängerschar um solche Gestalten versammeln würde - "Erlöser", "Meister" oder "Führer" jauchzend und von da an mitgefangen in deren Stillstand.




Jedem von ihnen würde ich gerne empfehlen, das Buch 'Illusionen' von Richard Bach zu lesen, doch die meisten von ihnen würden überlegen lächelnd abwinken, denn sie haben ja entschieden: 'Meine Suche ist am Ende!' Möglich, aber wird sie jemals ans Ziel führen? Manche Erzählungen sind offensichtlich zeitlos...



..."Der Meister glaubte, daß es jedermann guttäte, sich für einen Sohn Gottes zu halten, und weil er dies glaubte, wurde es wahr, und die Werkstätten und Garagen in denen er arbeitete, waren bald überfüllt von jenen, die seine Lehren suchten und ihn berühren wollten, und auch die Straßen waren erfüllt von jenen die da hofften, daß sein Schatten im Vorübergehen auf sie fallen möge und damit ihr Leben ändere.
Und es begab sich, daß sich solche Scharen versammelten, daß die verschiedenen Vorarbeiter und Werkstätteninhaber den Meister baten, seine Werkzeuge abzugeben und seines Weges zu ziehen, denn es hatte sich die Menge so dicht um ihn geschart, daß weder er noch die anderen Mechaniker an ihren Autos arbeiten konnten. So geschah es, daß er sich aufs Land begab, wo ihn die Menschen, die ihm folgten bald den Messias und Wundertäter nannten; und weil sie es glaubten, war es so.
Ging ein Gewitter nieder, während er sprach, netzte kein Tropfen Regen das Haupt eines einzigen Zuhörers; und die letzten der Menge hörten seine Wore so deulich wie die ersten, gleichgültig, ob es am Himmel blitzte oder donnerte. Und stets sprach er zu ihnen in Gleichnissen. Und er sprach zu ihnen: "In einem jeden von uns wohnt die Macht, sich für ein gesundes oder ein sieches, ein reiches, oder ein armes, ein Leben in Freiheit oder Sklaverei zu entscheiden. Wir selbst sind es, die daüber bestimmen - und niemand sonst.« Ein Mühlenarbeiter sprach zu ihm: "Ihr habt gut reden, Meister, denn Ihr werdet gelenkt, wir dagegen nicht. Ihr braucht nicht zu schuften wie wir. In dieser unserer Welt muß man für seinen Lebensunterhalt arbeiten." Der Meister antwortete und sprach:


'Es gab einmal eine Ansiedlung von Geschöpfen am Gunde eines großen, kristallklaren Flusses. Die Strömung des Flusses ging ruhig über alle hinweg - einerlei, ob jung oder alt, reich oder arm, gut oder böse: Die Strömung ging ihren eigenen Weg, denn sie kannte nur ihr eigenes kristallklares Selbst. Jedes Geschöpf klammerte sich in der ihm eigenen Weise fest an die Zweige und Steine im Flußbett, denn ihre Art zu leben bedeutete Sichfesthalten; von Geburt an hatte man ihnen beigebracht, der Strömung zu widerstehen. Aber unter ihnen gab es ein Geschöpf, das eines Tages sagte: "Ich habe es satt, mich immer festzuhalten! Ich kann es zwar nicht mit meinen Augen sehen, aber ich vertraue trotzdem darauf, daß die Strömung weiß, wohin es geht. Ich werde loslassen damit mich das Wasser forttragen kann, wohin es will; denn wenn ich mich weiter festhalte, werde ich vor Langeweile sterben." 

Die anderen Geschöpfe lachten und sagten: "Du Narr! Laß nur los, und du wirst sehen, wie die Strömung, die du so verehrst, dich packen und auf die Felsen schmettern wird, und du wirst schneller daran sterben als vor Langeweile!" Aber dieses eine Geschöpf hörte nicht auf sie: Es holte einmal tief Luft und ließ los und wurde sofort herumgewirbelt und von der Strömung gegen die Felsen geschmettert.
Aber noch rechtzeitig trug die Strömung das Geschöpf, das sich nicht mehr festhalten wollte, vom Grunde des Flusses frei, und es wurde nicht länger zerschunden oder verletzt. Und all die Geschöpfe, die sich stromabwärts angesiedelt hatten und die es nicht kannten, riefen: "Sehet, ein Wunder! Ein Geschöpf wie wir, und doch fliegt es! Seht, der Messias ist gekommen uns alle zu erlösen!". 

Und der, den die Strömung getragen hatte, sagte: "Ich bin nicht mehr der Messias als ihr auch. Der Fluß tut nichts lieber, als uns zu befreien, wenn wir nur den Mut aufbringen loszulassen Unsere wahre Aufgabe ist diese Reise, ist dieses Abenteuer. Aber sie riefen nur um so lauter: "Erlöser!" und klammerten sich dabei an die Felsen, und ehe sie sich’s versahen, war er gegangen, und sie blieben allein zurück und spannen ihre Legenden von einem Erlöser.'

Und als er erkannte, wie sich täglich eine immer größere Schar um ihn versammele, wie sie ihn enger und heftiger denn je bedrängte und ihn anflehte, daß er sie ohne Unterlaß heilen und immer wieder mit seinen Wundertaten füttern möge, für sie zu lernen und für sie zu leben, stieg er an jenem Tage allein auf einen abgelegenen Berg hinauf; und dort betete er.Und in seinem Herzen sprach er: "Unendliches, strahlendes Sein, wenn es dein Wille ist, so laß diesen Kelch an mir vorübergehen, laß mich diese unmögliche Aufgabe beiseite legen. Ich vermag es nicht, das Leben auch nur einer einzigen anderen Seele zu leben, dennoch rufen Zehntausend mich darum an. Es tut mir leid, daß ich es habe soweit kommen lassen. Wenn es dein Wille ist, dann laß mich zu meinen Motoren und Werkzeugen zurückkehren und laß mich leben wie jeder andere Mensch."
Und eine Stimme sprach zu ihm auf dem Berg, eine Stimme, die weder männlich noch weiblich, weder laut noch leise war. Und diese Stimme sprach zu ihm: "Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe; denn dein Wille ist auch der meine. Geh deines Weges wie die anderen Menschen und werde glücklich auf dieser Erde." Und als er dies vernahm, frohlockte der Meister, bedankte sich und summte ein kleines Mechanikerlied, während er von dem Berg hinabstieg. 
Und als das Volk ihn wieder umringte und bestürmte und ihm von seinen Kümmernissen berichtete und ihn anflehte, es zu heilen und ohne aufzuhören mit den Früchten seiner Erkenntnisse zu füttern und mit seinen Wundertaten zu unterhalen, lächelte er der Menge freundlich zu und sagte: 
"Ich höre auf."

(aus: 'Illusionen' von Richard Bach)

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