Sonntag, 5. Februar 2012

Weltarmut und die Pflichten der Reichen

Corinna Mieth in einer 'philosophischen' Dabatte

Bilder und Berichte aus den ärmsten Gegenden Welt wecken nicht nur Mitleid, sondern oft auch Schuldgefühl - und damit nicht selten die Bereitschaft zu spenden. Neben der individuellen Anteilnahme spielen sich reiche Nationen, insbesondere westliche Industriestaaten gerne als Wohltäter auf und verbergen ihre wahren, wenig philantropischen Interessen. Worin aber liegen unsere Verantwortung und unsere Pflichten? Besteht seitens der reichen Länder die Verpflichtung, den von gravierender Armut Betroffenen noch viel mehr zu helfen als bisher - oder liegt es näher, zunächst die "Verantwortungszusammenhänge aufzudecken und und Pflichten stark zu machen"?. 

Die Bochumer Philosophin Corinna Mieth hat eine Abhandlung über die philosophischen Positionen in dieser Thematik verfasst. Sie erläutert ihren Ansatz anhand eines Beispiels:

Wenn ein kleines Kind in einen Teich fällt und darin und zu ertrinken droht, muss ein Beobachter dem Kind helfen und alle Anstrengungen unternehmen es vor dem Ertrinken zu retten. Darin stimmt fast jeder überein. Doch lässt sich dieses Beispiel verallgemeinern und auf die Situation der ärmsten Länder übertragen, in denen Menschen akut vom Tod durch Unterernährung bedroht sind?
„Speise den, der vor Hunger stirbt. Tust du es nicht, so hast du ihn getötet.“ Ambrosius von Mailand (339-397)
Eigentlich ist damit alles gesagt - finde ich jedenfalls. Moral ist mehr als 'nur' die Pflicht, andere nicht zu schädigen. Ein ethisches Ziel darf durchaus ambitioniert sein; dass seine Realisierbarkeit an so genannten Sachzwängen und bisweilen auch am guten Willen der schweigenden Mehrheit scheitert, steht auf einem anderen Blatt. Selbst bei einem so leicht zu verstehenden, allen Menschen betreffenden Grundbedürfnis wie Hunger, Durst und evtl. noch ein Dach über dem Kopf ist nichts 'einfach', was die konkrete Hilfeleistung an sich anbetrifft. Doch zusätzlich zu den praktischen Herausforderungen ergeben sich bei philosophischer Betrachtung (darum geht es in der o.a. Abhandlung) neben den offensichtlichen Fragen des Wie zusätzlich Diskussionspunkte darüber, ob bzw. in welchem Umfang Hilfeleistungen überhaupt vertretbar sind. Besonders beliebt scheint auch die Abwägung zu sein, inwieweit ein (moralischer) Anspruch bestehen kann, Hilfe in einer Notlage zu erhalten.
In der Tradition von Kant wird unterschieden zwischen Rechtspflichten, auf deren Erfüllung andere einen Anspruch haben, und Tugendpflichten, bei denen dies nicht der Fall ist.
Die landläufige Auffassung geht in Bezug auf das Beispiel des ertrinkenden Kindes von einem Analogieschluss aus: Wenn es streng moralisch geboten ist, das Kind zu retten, dann ist es auch streng moralisch geboten, denen zu helfen, die von gravierender, lebensbedrohlicher Armut betroffen sind. In beiden Fällen sei die Pflicht gleich groß, jemandem zu helfen, der vom Tode bedroht ist. Helfen wir nicht, lassen wir zu, dass Menschen sterben, die wir hätten retten können.
„Daher ist der Überfluß, den einige haben, auf Grund des Naturrechts dem Unterhalt der Armen geschuldet.“ Thomas von Aquin (1224-1274)
Und doch wird Widerspruch erhoben: Diese Schlussfolgerung sei 'kontraintuitiv', die 'globalen' moralischen Pflichten gegenüber den von Armut Betroffenen werden nicht im gleichen Ausmaß gesehen wie bezogen auf einen konkreten Einzelfall. Warum nur? Hat diese ambivalente Haltung vielleicht mit der Konsequenz zu tun, dass wir, so lange anderen lebensnotwendige Güter fehlen, alles abgeben müssen, was uns an Ressourcen im Überfluss zur Verfügung steht. Freilich stellt sich außerdem die Frage der Umsetzbarkeit, doch im Mittelpunkt ethischer Meinungsunterschiede steht die Suche nach einem Maß unserer Pflicht: wie groß ist die Hilfspflicht gegenüber anderen tatsächlich? Zu der o.a. Analogiethese stellt die o.a. Abhandlung "Pflichten stark machen" zwei Gegenthesen vor:
  • Erste Gegenthese: Alle Hilfeleistungen sowie Handlungen, durch die wir aktiv die Situation anderer verbessern (sog. positive Pflichten), sind bei genauer Betrachtung nur schwach oder sogar supererogatorisch: Man begeht kein Unrecht, wenn man sie nicht erfüllt. Es gibt keine starken positiven Pflichten.
  • Zweite Gegenthese: Der Fall des verunglückten Kindes ist nicht vergleichbar mit dem Armutsfall. Die Kriterien für starke Pflichten unterscheiden sich in beiden Fällen.
Und so lässt sich seitenlang das Für und Wider einer Hilfeleistung philosophisch diskutieren. Lesenswert ist solches Gedankengut sicherlich, wobei mich solche Phrasen an den bekannten Elfenbeinturm erinnern, in dem sich einige Menschen gerne verstecken, um vor lauter Debatten die Not nicht mit ansehen zu müssen. (mit Nahrung Von der 'Zumutbarkeit der Hilfe' ist da die Rede und natürlich auch davon, dass Pflichten immer mit Kosten verbunden seien, die aus 'liberaler' Sicht so gering wie möglich ausfallen sollten:
...man kann genau so wenig dafür, als Zeuge eines Unfalls jetzt die „Last“ der Hilfe tragen zu müssen, wie als Reicher ausgerechnet jetzt die Mittel zu haben, den Armen helfen zu können.
Hmm... geht es nun um Philosophie, Moral oder letztlich doch nur darum, vom eigenen Wohlstand so wenig wie möglich abzugeben?

Optimierungsmöglichkeiten bestehen gleichwohl - etwa darin, die unterstützten Völker nicht in einer künstlichen Abhängigkeit zu halten, sondern ihnen Mittel und Möglichkeiten in die Hand zu geben, so eigenständig wie möglich an der eigenen Zukunft zu arbeiten. Hilfe zur Selbsthilfe ist nicht nur ein Schlagwort, sondern auch ein lohnendes Ziel....

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