Sonntag, 5. Februar 2012

Sinnsuche in einer komplexen Welt

Vortrag von Rupert Lay, 1997


Der 1929 geborene Philosoph, Theologe, Unternehmensberater und Psychotherapeut beschäftigte sich u.a. auch mit Ethik und Kommunikation. Als Vertreter des Konstruktivismus geht Lay davon aus, dass nichttriviale Dogmen keinen Wahrheitsgehalt beanspruchen können - was ihn zur weitgehenden Ablehnung der herkömmliche katholische Theologie führte, insbesondere des Trinitarismus (Ein Gott - Drei Personen) und Erbsünde. Lay nimmt sich das Recht, mit wissenschaftlichen Methoden an Fragestellungen heranzugehen, die von Theologen lediglich als Gegebenheiten dargestellt würden. , um sich von der theologischen Sprache zu distanzieren, der er intellektuelle Unredlichkeit vorwirft. Auch stellt er klar, dass es sich dabei um ein „Gotteskonstrukt“ handelt, da auch er keinen unanfechtbaren Wahrheitsgehalt beanspruchen könne. Lays spirituelle Vorstellung hat pantheistische Züge; anstelle von Gott spricht er vom „Göttlichen“ (das Göttliche erweise sich in der Liebe). 

Warum fällt es uns persönlich so schwer, uns selbst eine Orientierung zu geben - in einer orientierungslos gewordenen Welt? 

Dies ist eine der zentralen Fragen, auf die Rupert Lay vor 15 Jahren eine Antwort zu geben suchte. Die Aktualität seiner Ausführungen und auch Warnungen hat seit dem nicht gelitten, ganz im Gegenteil. Ein Teilaspekt lag schon damals in der zunehmenden Komplexität und Vielfalt der jeden von uns umgebenden Welt, die wir nur selektiv wahrnehmen können. Die Menge der aufzunehmenden Signale hat stetig zugenommen, doch wie steht es mit der Fähigkeit der Menschen, die Fülle dieser Signale und Informationen zu verarbeiten - und zugleich eigene, eindeutige Signale auszusenden. "Unser Verhältnis zur Welt wird immer unübersichtlicher."  


Und weniger eindeutig. Wir haben die Qual der Wahl (oder umgekehrt) aus verschiedensten Informationen und auch Wahrheiten - kaum ein Thema unseres Lebens ist über Trivialitäten hinaus noch eindeutig. Schon der Begriff Informationsgesellschaft ist potenziell ein Armutszeugnis: Für Lay impliziert sie eine "Inhumanität, die greusslich ist". 

Eine Gesellschaft, deren gesamte Lebensbereiche von Informations- und Kommunikations-Technologien durchdrungen und dominiert sind, verführt dazu, den Sinn des eigenen Daseins ausschließlich noch über den Gebrauch und die Optimierung solcher Technologien zu definieren. Beobachten wir nicht genau diese Tendenz in einer Zeit, wo die private Lebensbeichte in Social Networks für viele zu einem selbstverständlichen ToDo geworden ist?  

Ein Zerfall von Werten, dem womöglich ein Sinn-Zerfall folgt? Da Lay diesen Vortrag vor etwa 15 Jahren hielt, hatte dieser beinahe prophetischen Charakter. Definiert man Werte als Vorstellungen über Eigenschaften (Qualitäten), die Dingen, Ideen, Beziehungen u. a. m. zugewiesen, so ist inzwischen zumindest ein weitreichender Wandel der Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft zu konstatieren, der sich meiner persönlichen Empfindung nach als Verflachung zeigt. 

Allerdings unterscheiden sich die erlebten Werterfahrungen von Generation zu Generation erheblich. Lay erklärt einen Menschen für dumm, der nicht über die Qualitäten seines Gewissens Bescheid weiß und seine Gewissheiten (und Dogmen) für Wissen hält. Anstatt alles kritiklos und unreflektiert zu übernehmen, was uns von Medien und Eliten vorgesetzt wird, erachtet Lay ein als Biophilie bezeichnetes Ethos für erstrebenswert. Diese Gesinnung zielt darauf ab, unser Leben in allen seinen Dimensionen (physisch, psychisch, sozial, musisch, sittlich...) zu erhalten und zu entfalten. 

Auch wenn ich diese Lebensorientierung noch nicht in sämtlichen Bereiche erfasse, leuchtet spontan ein, dass ein allein auf Mainstream-Inhalte begrenzter Fokus zwangsläufig das Verkümmern in mehr als einer von diesen Dimensionen bewirkt.


 

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