Sonntag, 5. Februar 2012

Die Wunder der Bibel - Zumutung oder Tatsache?

Vortrag von Prof. Dr. Werner Gitt

Auch wenn ich den Inhalten der Vorträge von Prof. Gitt oftmals mit Skepsis begegne, sehe und höre ich den Professor recht gerne. Zu einer sympathischen Stimme und einem angenehmen Vortragsstil kommt der Eindruck einer großen Ehrlichkeit.

In seinen (angesichts der Themenwahl zwangsläufig subjektiven) Worten vermag ich keine bewusste Lüge oder absichtsvolle Unwahrheit zu entdecken. Nicht dass ich alles was Herr Gitt von sich gibt, für zutreffend erachte; eher das Gegenteil ist der Fall - doch wirkt auf mich er absolut authentisch.
Dies ist in unserer Zeit nicht selbstverständlich, wo der Wettbewerb um Einschaltquoten und das Bedürfnis nach politischer und gesellschaftlicher Resonanz allzu oft zu Halbwahrheiten, 'zielorientierten Darstellungen' und Populismus bzw. Opportunismus verleiten.
Manipulation und Unwahrheit sind integraler Bestandteil der medialen Reizüberflutung und haben unsere Toleranzschwelle anwachsen lassen. Wer regt sich noch auf über offensichtlich verdrehte Fakten in Werbung, Talkrunden und der Spitzenpolitik? Das leicht verdauliche Gemisch aus Halb- und Unwahrheit erweist sich bisweilen sogar als notwendig: "Wer immer und überall die Wahrheit sagt, sollte schnell reiten können."

Mit auffallender Klarheit steht Prof. Gitt zu seiner persönlichen Überzeugung; er verzichtet auf jegliche dem 'Zeitgeist' Rechnung tragende Relativierung - auch wenn er sich damit heftiger Kritik aussetzt oder der Lächerlichkeit preisgibt (z.B. mit der Aussage, die Erde sei vor etwa 6000 Jahren geschaffen worden). Dabei liegt die Wahrheit im Auge der verschiedenen Betrachter - von meinem Standpunkt aus gelange ich zu anderen Schlussfolgerungen als Herr Gitt.
So ist es auch mit 'Wundern'. Ich brauche sie nicht, um an Gott zu glauben und betrachte sie als 'Risiko' (Erläuterung folgt gleich).
Unter einem Wunder versteht man im allgemeinen ein Ereignis, dessen Zustandekommen man sich (noch) nicht erklären kann. Im engeren Sinn werden Vorkommnisse als 'Wunder' bezeichnet, die menschlicher Vernunft und Erfahrung sowie den Gesetzmäßigkeiten von Biologie und Physik zu widersprechen scheinen. Die heutige Vorstellung von einem Wunder als "übernatürlich" setzt insoweit das Wissen um die Naturgesetze voraus.
Vor tausend oder mehr Jahren war die Grenze zwischen "Möglichem" und "Unmöglichem" weitaus durchlässiger, damals galten schon Naturkatastrophen sowie Blitz und Donner als Wunder, das nicht selten als Intervention der jeweils zeitgemäßen Gottheit(en) angesehen wurde.

Genau darin liegt das 'Risiko' für jene religiöse Strömungen, welche die Existenz Gottes mit Hilfe von 'Wundern' nachweisen wollen. Manche der biblischen Wunder, z.B. einige der 7 Plagen, lassen sich inzwischen naturwissenschaftlich erklären - was der christlichen Theologie seit Beginn der Neuzeit einen erheblichen Verlust an Glaubwürdigkeit eingebracht hat. Bis jetzt sind noch etliche 'Wunder' übrig, die wir bis heute noch nicht erklären können - das hängt aber auch damit zusammen, dass wir nach 2000 Jahren nicht mehr sicher rekonstruieren können, was sich zu Lebzeiten Jesu wirklich zugetragen hat.
Manche der Krankenheilungen und 'Toten'erweckungen, von denen die Bibel berichtet, würde man bei Kenntnis der genauen Umstände heute eventuell ohne übernatürliche Intervention erklären können. Möglicherweise werden Generationen nach uns imstande sein, für weitere 'Wunder' aus A.T. und N.T. naturwissenschaftliche Erklärungen zu finden.

Relativitätstheorie und Quantenphysik machten es erforderlich, die bislang gültigen Naturgesetze (z.B. die Gravitationsgesetze Newtons) zu erweitern bzw. neu zu formulieren. Insoweit mögen auch zukünftige Erkenntnisse ein anderes, umfassenderes Verständnis von Prinzipien der bringen und uns dazu verhelfen, weitere 'Wunder' aus Bibel und Religionsgeschichte als natürlichen Vorgang zu erkennen. Johannes Greber hat dazu interessante Überlegungen formuliert. In diesem Fall dürfte die Kirche ein äußerst unangenehmes Deja Vu-Erlebnis haben, sollte sie sich weiterhin an ihre dogmatischen Haltung (bspw. in Bezug auf die Jungfrauengeburt Jesu) klammern.


Sind denn nun Wunder möglich oder nicht?

Keine Ahnung. Ich weiß es schlichtweg nicht mit letzter Gewissheit - ebenso wenig wie die Gesamtheit aller Naturwissenschaftler, ob sie privat eine religiöse oder atheistische/agnostische Überzeugung vertreten. Auch diesbezüglich gilt für mich das Toleranzgebot: ich überlasse es jedem selbst, ob er einem Ereignis oder Sachverhalt den Status eines Wunders zuschreibt.

"Während religiöse Menschen die Möglichkeit von Wundern meist bejahen, wird sie von areligiösen Menschen meist grundsätzlich verneint.", heißt es auf Wikipedia. Angesichts der vielfältigen Formen modernen Aberglaubens auch bei Personen, welche sich selbst als Atheist bezeichnen, habe ich da so meine Zweifel.
Augenscheinlich werden Berichte von Wundern oftmals in manipulativer Absicht aufgegriffen und weiter verbreitet, um bei anderen eine ganz bestimmte Sichtweise oder 'Gläubigkeit' zu bewirken. 

Insbesondere kirchliche Kreise scheinen einen großen Bedarf an wundersamen Dingen zu haben ...warum eigentlich? Soll der Glauben ihrer Beitragszahler 'durch Zeugnisse gestärtkt werden? Möglich, aber dies sollte man nicht zu sehr verallgemeinern.  
Personen wie Professor Gitt sind meines Erachtens nicht in manipulativer Absicht unterwegs (auch wenn Teile ihrer Ausführungen unbeabsichtigt manipulative Wirkung haben können ...etwa wenn wieder einmal mit der ewigen Hölle gedroht wird). Vielmehr ist ihr ganzes Denken auf Schriften wie die Bibel oder den Koran gerichtet, welche innerhalb des subjektiven Paradigmas das unantastbare 'Wort Gottes' darstellen. Diese 'heiligen Schriften' enthalten eine Vielzahl von Wundern und Prophezeiungen, folglich hat beides für Angehörige der jeweiligen Glaubensrichtung eine besondere Bedeutung. Daneben wird es viele andere Gründe geben, weshalb Menschen an Wunder glauben - beispielsweise infolge eines persönlichen Erlebnisses, dass ihnen unfassbar und unerklärlich erscheint. Diese Überlegung führt zu der eigentlich bedeutsamen Frage: 
 

Braucht es Wunder, um an Gott zu glauben?

Ich verneine dies für mich in Bezug auf wundersame Ereignisse wie z.B. die Erweckung von Toten, Hellsichtigkeit oder Spontanheilungen, bin mir gleichwohl aber eines Umstandes wohl bewusst: Wenn ich ein unbegrenztes Wirkungspotenzial ("Allmacht") Gottes für möglich erachte, impliziert dies zugleich an die Fähigkeit dieser Entität, 'wirkliche Wunder' zu bewirken. 
Auch in meinem eigenen Leben hat eine Reihe von Ereignissen und Begegnungen stattgefunden, die mir in ihrer Gesamtheit als bemerkenswert erscheinen: etliche Synchromizitäten, d.h. scheinbare 'Zufälle', die genau im 'richtigen Moment' und in einer optimalen Konstellation stattfanden, um meinem Dasein eine Wendung zu geben oder mir zu einer wichtigen Erkenntnis zu verhelfen. Weil diese 'Zufälle' zum Teil äußerst unwahrscheinlich oder zumindest unerwartet waren, halte ich sie für 'besonders'...aber ich erwarte bestimmt nicht, dass irgend jemand außer mir sich dieser Sichtweise anschließt. Und doch tendiere ich dazu, diese Ereignisse und Erlebnisse nicht allesamt als zufällig zu betrachten, sondern das Wirken einer göttlichen Intelligenz zumindest für möglich zu halten. Dass sehr viele, wenn nicht alle Menschen solche 'merkwürdigen Zufälle' erleben, könnte bei aller Vorsicht als Hinweis auf das gezielte Wirken einer solchen Intelligenz betrachtet. Von einem 'Wunder' kann dennoch keine Rede sein.

Meiner Meinung nach ist Gott nicht darauf angewiesen, Wunder außerhalb der Naturgesetze zu bewirken - weder um das Weltgeschehen 'am Laufen zu halten', noch um seine Existenz unter Beweis zu stellen. Es mag wohl sein, dass in der Geschichte der Menschheit noch kein einziges 'echtes' Wunder stattgefunden hat ...weil alle Abfolgen und Ereignisketten innerhalb der 'wirklichen Naturgesetze' möglich waren, welche wir bis heute noch nicht vollständig erfasst haben.
Die Entstehung der Materie (soweit es einen Urknall gab und das Universum nicht für alle Zeit zyklisch pulsiert) und des Lebens stehen für mich auf einem anderen Blatt - beide Ursprünge stehen m.E. außerhalb der Naturgesetze: wir konnten bisher nur beobachten, wie Leben aus Leben hervorgeht - persönlich kann ich mir kein Naturgesetz vorstellen, welches die erstmalige Entstehung von Leben aus dem Nichts vorsieht und beschreibt. Das sieht die moderne Physik übrigens genau so, nur greift sie eine Kette von Zufällen als Ursache zurück.

Wenn ich also eines 'Gottesbeweises' benötigen würde, um an Gott zu glauben, dann wäre das Wunder des Lebens mehr als ausreichend. Nur widerstrebt es mir, die Existenz Gottes an der Anzahl und/oder Qualität unerklärlicher, übernatürlicher Dinge festzumachen. Den Grund dafür habe ich angeführt: in diesem Fall hinge der Grad meines Gläubigkeit ab vom Grad der Unvollkommenheit ab, mit der ich die Naturgesetze verstehe.

Als eine 'Zumutung' fasse ich die Wundererzählungen der Bibel aber nicht auf, eher als Bestandteil einer mit lehrreichen Metaphern und Gleichnissen angereicherten Geschichte, deren historischen Background wir nicht in einzelnen kennen.
Wenn ich persönlich von der Existenz einer göttlichen, schöpferischen und zielorientierten Intelligenz ausgehe, ohne sie zu kennen oder eine klare Vorstellung von ihr zu haben - dann tue ich dies aus einem anderen Grund: Nur mit einer solchen Intelligenz, die alles durchdringt und in allem wirkt, vermag ich die Sinnfrage unseres Daseins positiv zu beantworten.

Meine Intuition sagt mir, unser Dasein hat einen tieferen Sinn, der über Konsum und Lustprinzip hinausgeht. Natürlich sind dies keine 'logischen' Schlussfolgerungen - und ich räume eine gewaltige Portion Wunschdenken meinerseits ein. Dennoch weigere ich mich, das scheinbar sinnlose Leiden Unschuldiger auf der Welt lapidar mit 'Das ist halt so' hinzunehmen - oder mich allein mit wohlfeilen Phrasen wie 'Gott straft, wen er liebt' oder 'Die Wege des Herrn sind unergründlich' abspeisen zu lassen. 


Die Wunder der Bibel - Zumutung oder Tatsache?


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen