Vortrag von Professor Werner Gitt
Von Zeit zu Zeit lande ich bei den Vorträgen von Prof. Gitt, obgleich ich mit kaum seinen theologischen Kernaussagen kaum übereinstimme.Gitts einleuchtende Ausführungen über das Phänomen der Zeit aus wissenschaftlicher Sicht und und Alltagserfahrung münden in die Feststellung: den meisten Menschen stößt es unangenehm auf, wenn sie an die Begrenztheit ihrer verfügbaren Lebenszeit erinnert werden.
Wohl wahr, da treten gewisse Widerstände auf: nach Möglichkeit vermeiden wir jeden Gedanken an den eigenen Tod.
Für mich ist nicht der Tod als Zustand beängstigend, sondern der Vorgang des Sterbens ...dieser Übergang in ein anderes, ungewisses Dasein wirft etwas Düsteres, Bedrohliches als Schatten voraus.
Unsere moderne Vernunftskultur betreibt großen Aufwand, um das Sterben den Tod und - zu verdrängen und um jeden Preis hinaus zu zögern. Das sichtbare Resultat solcher lebensverlängernder Maßnahmen erweist sich mitunter als zweifelhaft. Leben bedeutet mehr als nur zu überleben, entscheidend ist die subjektive Lebensqualität.
Insoweit erachte ich es kaum als erstrebenswert, mit 90, 100 oder noch mehr Jahren in erbarmungswürdiger Hilflosigkeit vor mich hin zu vegetieren - und keinen der einstigen Weggenossen mehr um mich zu haben. Die Erfolge der Medizin erweisen sich als ambivalent zu sehen.
Auf diesem Weg kommt Werner Gitt auf biblische Inhalte zu sprechen, die uns nicht nur den eigenen Tod als unausweichlich vor Augen führen. In diesem Kontext redet er eine vermeintlich begründete Angst vor dem 'Danach' herbei: Wer sich zu Lebzeiten 'nur' für Gott, aber nicht für dessen Sohn entscheide, sei unwiederbringlich verloren. Bei der Schilderung dieser wenig tröstlichen Aussichten für 'Ungläubige' greift die Bibel zu durchaus eindrücklichen Metaphern und Beschreibungen ...sinngemäß: 'nie wieder etwas anderes spüren als Finsternis, Schmerz, unerfüllte Sehnsucht - Heulen und Zähneklappern'. Dieser gnadenlose Unheils-Zustand wird gerne und oft mit unerträglicher Hitze assoziiert.
Diesen manipulativen Ansatz kennt man, nicht zuletzt von kirchlichen Institutionen: die Mobilisierung tief verwurzelter Ängste soll den Boden für jene 'christliche' Heilslehre bereiten, zu der vorgeblich keine Alternative existiert.
Auch Gitt bedient sich leider dieser Rhetorik der Furcht: es sei wohl besser sei, sich aus nackter Angst zum christlichen Gottesglauben zu bekehren, als sich gar nicht zu bekehren. Dabei gelingt es weder ihm noch anderen christlichen Vertretern, mir die Widersprüchlichkeit zwischen nie endender Bestrafung und unendlicher Liebe sowie Gottes' Gnade auszureden. Aber: Andererseits ist es sicher kein Fehler, über die Endlichkeit dieses Lebens sowie mögliche Konsequenzen des eigenen Handelns / Nichthandelns nachzudenken.
Kausalkette oder Bestrafung?
Dass wir früher oder später mit den Auswirkungen unseres Verhaltens konfrontiert werden, ist Bestandteil fast aller spirituellen Konzepte: das Prinzip der Kausalität(1)- wonach man (zwangsläufig) ernten wird, was man selbst gesät hat - ist aus den Religionen nicht wegzudenken. Ob es nun das Karma einer späteren Reinkarnation ist, die Vorstellung vom Paradies im Islam oder Himmel, Hölle sowie das unangenehme, aber zeitlich begrenzte Purgatorium (Fegefeuer) - dem Konzept eines Feedbacks begegnen wir nahezu in jeder Anschauung.Den primären Unterschied zwischen diesen Konzepten sehe ich in deren Sinnhaftigkeit für den einzelnen Betroffenen:
- Die von Christen mehrheitlich und meines Wissens auch im Islam vertretene Vorstellung der ewigen Strafe entbehrt jeder Sinnhaftigkeit für das betroffene Individuum, sobald es diesen Zustand einmal erreicht hat. Pädagogischer Zweck, etwa eine beasichtigte Verhaltenskorrektur? Fehlanzeige! Es gibt in kein Zurück - obwohl für Gott absehbar gewesen sei, dass die Mehrheit seiner bewussten Geschöpfe genau dort landen werde:
"Geht ein durch die enge Pforte! Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der ins Verderben führt; und viele sind es, die da hineingehen. Denn die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind es, die ihn finden." [Matth, 7,13-14; Schlachter]
Die einzige individuelle Sinngebung, wenn man sie denn sehen möchte, liege in der rechtzeitigen 'Bekehrung' - der höhere Zweck der 'Hölle' aber bestehe darin, dass Gott die Sünde aus dem Himmel fernhalten wolle. Im Kontext dieser 'Zweckmäßigkeit' wird gerne Bezug auf die Erbsünde genommen:
Durch Adam, Eva und die Schlange (woher kam die eigentlich?) habe sich gezeigt, dass schon eine einzige schwere Sünde die gesamte materielle Schöpfung 'verdorben' habe ...das dürfe und werde im Himmel nicht wieder geschehen. Mir scheint, 'da oben' bliebe sehr viel Platz, falls eine Hölle als Endlager für Unverbesserliche existiert. 'Sünde', Zweifel und vielfältige Weltanschauungen sind nun mal Wesensmerkmale der Spezies Mensch.
Wozu dient das Geschenk des freien Willens, wenn dessen Ingebrauchnahme zu endloser Bestrafung führt?
Durch Adam, Eva und die Schlange (woher kam die eigentlich?) habe sich gezeigt, dass schon eine einzige schwere Sünde die gesamte materielle Schöpfung 'verdorben' habe ...das dürfe und werde im Himmel nicht wieder geschehen. Mir scheint, 'da oben' bliebe sehr viel Platz, falls eine Hölle als Endlager für Unverbesserliche existiert. 'Sünde', Zweifel und vielfältige Weltanschauungen sind nun mal Wesensmerkmale der Spezies Mensch.
Wozu dient das Geschenk des freien Willens, wenn dessen Ingebrauchnahme zu endloser Bestrafung führt?
- Andere Auffassungen - etwa die Gnosis oder die Allversöhnung - bestätigen ebenfalls Ursache und ihre unausweichliche Wirkung, d.h. zwangsläufige positiven und negativen Konsequenzen aus unserer gesamten Lebensführung. Doch sie verneinen, dass nicht eine einzige Seele unendlich lange 'gestraft' oder durch das Kausalitätsprinzip den Folgen eigenen Handelns ausgesetzt wird. Die Beiträge über Edgar Cayce (Edgar Cayce und die ‘Erbsünde’ und Edgar Cayce (II) – Reinkarnation, unser Weg der Rückkehr zu Gott) gehen ausführlich auf eine meines Erachtens in sich schlüssige Form dieser Betrachtungsweise ein).
Der Sinn und Zweck dieser 'unchristlichen' Konzepte liegt in einer Form des Lernens, die manchmal auch als "seelische Evolution" bezeichnet wird. Dieser Begriff mag etwas irreführend sein, denn naturwissenschaftliches Evolutionsgeschehen - Mutation und Selektion - kommt bei diesem Reifungsprozess nicht zustande.
Schwarz oder Weiß - für alle Zeit?
Das Regelwerk der Bibel betrachtet Prof. Gitt als ein geeignetes Normenkonzept, damit wir die uns zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll und zielorientiert zu nutzen.Nun ja, die zentralen Verhaltensnormen der Bibel sind kaum als falsch zu bezeichnen, schließlich findet unsere gesamte Sozialethik ihren Anfang unter anderem in der Bibel. So ziemlich jeder von uns kennt die Zehn Gebote und die Bergpredigt (zumindest dem Namen nach).
Gitts Intention - seine Zuhörerschaft zu motivieren, ihre begrenzte Lebenszeit bewusst und sinnvoll zu nutzen - kann man wohl nur positiv auffassen.
Eine sinnvolle Anregung ist es zudem, beizeiten über den Tod nachzudenken und sich eine persönliche Einstellung in Bezug auf die Frage nach dem 'Danach' zu erarbeiten. Wem es gelingt, eine wie auch immer geartete Überzeugung von einem Weiterleben nach dem Tod zu gewinnen, der kann daraus einiges an Zuversicht beziehen und eventuelle Zukunftsängste abbauen.
Für Gitt geht es freilich auch darum, dass seine Zuhörer nicht nur 'irgendeinen' Gottesglauben besitzen, sondern wie er einen von Demut und Schuldbewusstsein geprägten Zugang zu Jesus erfahren, der für den Informatiker Gitt das Zentrum seiner Spiritualität bildet. Für mein Empfinden offenbart dieser Zugang eine selektive und dogmatische Haltung; er lässt allein das Wort der Bibel gelten und blendet undifferenziert jedes Infragestellen aus.
Nun ja, versetzt man sich für einen Moment in das Glaubensmodell von Gitt, dann (und nur dann) ist Kritik am biblisch-christlichen Weltbild ausgeschlossen; für ihn ist die gesamte Bibel das einzige Wort seines Gottes und als solches unantastbar. Würde Werner Gitt die Aussagen und Forderungen der Bibel relativieren, bliebe er sich selbst nicht treu. Immerhin verbreitet er nicht das verbrauchergerechte Bild vom neo-katholischen, 'lieben' Gott - sondern er geht von einem 'zornigen, eifersüchtigen und liebe-vollen' Schöpfer aus.-
Zeit ist ein Phänomen, dass uns die Abfolge von Ereignissen vermittelt und diese in drei Phasen unterteilt - Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart (die eigentlich nie wirklich existiert, denn jedes Geschehen wird sofort zur Vergangenheit)
Ewigkeit ist für W. Gitt ein Zustand der Unbegrenztheit, der unmittelbar nach dem Tode beginnt. Auch in der eschatologischen Vorstellungswelt Gitts begegnen wir einem Dualismus zweier gegensätzlicher Zustandsformen von Ewigkeit:
- 'Hölle' - Strafe und Verdammnis als unveränderlicher, nicht endlicher Zustand - "Finsternis, Hoffnungslosigkeit und Depression".
- Himmel als das unendliche Gegenstück zur Hölle, ein Zustand der Vollkommenheit und Gottesnähe
Bildliche Vorstellung des Himmels mit Gott und Engeln
Mir persönlich erscheint diese Vorstellung von einer konstant unveränderlichen Zukunft fragwürdig, denn Unveränderlichkeit würde zugleich einen Stillstand implizieren - das Ende jeder denkbaren Weiterentwicklung. Aus dem gegenwärtigen Dasein des Menschen heraus, das so sehr von Vergänglichkeit und stetigem Wandel bestimmt ist, vermag ich mir so ein 'eingefrorenes Glück' (oder Unglück, wenn man Gitt glaubt) nicht vorzustellen.
Von den beiden konkreten Zustandsformen 'Himmel und Hölle' habe ich ein eher diffuses Bild - warum eine nicht endende Bestrafung für mich völlig unvereinbar mit einem Gottesbild unendlicher Liebe ist, habe ich versucht darzulegen. Als eine zentrale Lebensaufgaben sehe ich es aber an, mir eine schlüssige Vorstellung von dem zu erarbeiten, was uns alle erwarten mag. Manchmal fühle ich eine gewisse Ungeduld, bis hin zur Unzufriedenheit darüber, dass ich nicht auf einen Schlag weiß, was mich bzw. uns noch so erwartet.
Im Grunde ist mir jedoch bewusst, dass Erkenntnis nur auf einem langen Weg funktioniert: durch stufenweises Erfassen, Realisieren und Verstehen. Hier stelle ich eine Form von Intoleranz bei mir fest: es ist mir völlig unverständlich, dass diese Frage nach der nicht-materiellen Zukunft so viele Menschen jeden Alters ohne jede Bedeutung ist.
Selbstverständlich sollten die Aussagen von Gitt (oder R. Dawkins am anderen Ende des Spektrums) mit einer vorsichtigen, kritischen Haltung betrachtet werden. Kontroversen und Polarisierung haben durchaus einen Nutzen, wo sie bewirken, dass sich Menschen überhaupt eigene Gedanken über Zeit, Ewigkeit und vielleicht sogar Gott machen. Wer einem Vortrag von Gitt oder Dawkins (Gitt ist mir lieber, denn er ist konstruktiv in seiner Subjektivität) vehement widersprechen will, muss sich vorher notwendigerweise eine eigene, einigermaßen differenzierte Überzeugung zur aufgeworfenen Fragestellung erarbeitet haben.
Darin läge ein Fortschritt gegenüber dem Durchschnitt dessen, was ich gegenwärtig hierzulande beobachte: ein kleiner Teil der Menschen, die über Gott noch nachdenken, radikalisiert seine Position in einem entschiedenen Pro oder Contra ... der träge Rest aber interessiert sich für 'so etwas' überhaupt nicht.
Seine Gedanken hat Professor Gitt im nachfolgenden Vortrag sowie in Buchform ('Zeit und Ewigkeit', pdf) dargelegt.
Werner Gitt - Was ist Zeit und was ist Ewigkeit
Anmerkung
- Kausalität/Kausalkette: Das Beispiel von Dominosteinen: Das Umfallen des ersten Steins
bewirkt das Umfallen des zweiten Steins; dieses Umfallen bewirkt - wenn die Steine in geeigneten Abständen zueinander stehen - wiederum das zeitlich darauffolgende Umfallen des dritten usw. – bis der
letzte Stein umgefallen ist.
In gewisser Weise sind die Folgereaktionen unausweichlich, sobald die initiale Handlung stattgefunden hat.
Den Begriff "Ewigkeit" finde ich von Gitt gut erklärt...
AntwortenLöschenAlles Zeitliche hat Anfang und Ende,
- ewig nennen wir das, was immer ist, was unendlich ist.
Das Ewige endet nie und beginnt nie.
Wenn wir ein Teil von dem wahrnehmen, was immer da ist, was immer gegenwärtig ist, dann erscheint uns ein kleines Stück von "immer" begrenzt als Zeit (mit Anfang und Ende)...
Aber im Gegensatz zu unseren Wahrnehmungen ist das, was wir wahrnehmen nicht begrenzt.