Sonntag, 5. Februar 2012

"Warum glaubst Du noch?"

"Glaubenssätze unter dem Gesichtspunkt der Logik" v . Prof. Dr. Uwe Hillebrand  

Eigentlich finde ich schon die Frage "Warum glaubst du noch nicht?" grenzwertig; sie provoziert förmlich die Gegenfrage, warum der Fragesteller noch nicht glaubt.

So kritisch mich auch mit religiösen Dogmen und einseitigen Paradigmen auseinandersetzen mag - persönlich zweifle ich nicht an der Existenz einer willentlichen, schöpferischen Kraft (die von vielen Menschen als "Gott" bezeichnet wird). Mit atheistischer und pauschal gegen Glaube und Religion argumentierender Literatur vermag ich nur in Ausnahmefällen anzufreunden - Zweifel - teils erwachsen aus vermuteten Widersprüchen dogmatischer Glaubenslehren, teils entstanden aus eigener intuitiver Ahnung vom 'Wesen des Seins' - habe ich selbst genug. Es ist weniger mein Wunsch, mich darin noch bestärken zu lassen, als Anhaltspunkte für mögliche Verbindungen zwischen einer ganzheitlichen Wissenschaft (wie sie z.B. von Professor Dürr vertreten wird) und einer Spiritualität zu finden, die ihren Fokus nicht auf einseitige Hervorhebung von Bildausschnitten legt.

Eine kaltherzige, naturalistisch geprägte Darlegung, weshalb Gott entweder gar nicht existieren könne oder weshalb Christen, Juden und Muslime mit ihrer Vorstellung von einem persönlichen Gott auf dem Holzweg seien, bringt mich daher meist nicht weiter. In dieses Spannungsfeld fällt eine Analyse von Glaubenssätzen und -inhalten 'unter logischen Aspekten' mit dem Titel "Warum glaubst du noch?" des Wolfenbütteler Professors Uwe Hillebrand. 
Würde man nicht davon ausgehen, dass speziell diese Frage nur sinnvoll vom jemandem beantwortet werden kann, der selbst eine Form von Glauben bzw. 'spirituellen Zugang' besitzt? Glaube in diesem Sinne bedeutet für mich nicht zwanghaftes Festklammern an Überzeugungen, die grundlegenden, gründlichst überprüften Resultaten der Naturwissenschaften diametral entgegen laufen. 

Vielmehr verbinde ich mit Glauben ein Vertrauen auf etwas, das ich bestenfalls erahnen kann, dessen Existenz ich insoweit nur unterstellen (oder kategorisch ablehnen) kann. Ein Zitat von Freud auf der Startseite der o.a. Webpräsenz von Prof. Hillebrand scheint ebenfalls in diese Richtung zu deuten, was den verengten Fokus mancher religiösen Lehre anbetrifft:
Was immer Wert und Bedeutung der Religion sein mögen, sie hat kein Recht, das Denken irgendwie zu beschränken, also nicht das Recht, sich selbst von der Anwendung des Denkens auszunehmen. (Sigmund Freud)


Sind Ratio und Glaube vereinbar?


Einleitend äußert Hillebrand ein gewisses Unverständnis darüber, dass ein religiöser Mensch sich auf Fragen nach einer rationalen Begründung für seinen Glauben meist auf seine persönliche Überzeugung zurückziehen oder ganz einfach auf die Religionsfreiheit verweisen werde. Dies liege auch daran, dass eine rationale Begründung kaum möglich sei - denn ein objektives Wissen bezüglich der Glaubensinhalte, insbesondere der Existenz Gottes, sei nicht verfügbar.
"Zu allen Zeiten haben sich die Menschen ihren Gott selbst erschaffen."
Zudem liege es in der Natur des Glaubens, die Macht der Mächtigen zu sichern und zu vermehren, wobei die Kirchenvertreter (beider Großkirchen in Deutschland) stets auf der Seite der Mächtigen gestanden hätten. Naheliegend ist doch: zwischen Glaube und religiöser Institution muss unbedingt differenziert werden, um auf der Sachebene zu bleiben. Dass man beide großen Kirchen in Deutschland bzw. Europa gerade im Hinblick auf ihre Vergangenheit (und deren Bewältigung) sehr kritisch sehen kann, ist nicht zu bestreiten. Dieser Fokus ist für mich persönlich aber nicht von vorrangigem Interesse. Hillebrand stellt jedoch auch fest, dass (für ihn) bei logischer Betrachtungsweise viele kirchliche Lehren heute nicht mehr nachvollziehbar sind, was in unserer Zeit zur offenen Äußerung von Kritik und Zweifeln führe. 


Logik - Feind jeder Religion?

Ich stimme dem Autor insoweit zu, als eine allein aus alten Schriften konstruierte "göttliche Logik" als Argument für Glaubensgewissheit und spirituelle Weisheit problematisch ist: So wird eine inhaltliche Auseinandersetzung unterbunden, jeder rationalen Bewertung der kirchlichen Lehren wird die Grundlage entzogen wird. Einem Zweifelnden, der hin- und her gerissen zwischen Glaube, Drohung/Verheißung und Logik/ Wissenschaftlichkeit nach Antworten sucht, hilft eine solche Basta!-Argumentation absolut nicht aus seinem Dilemma.

Dass die Gottesvorstellung der meisten Menschen nachhaltig von Kirchenvertretern beeinflusst wird, liegt auf der Hand - schließlich sehen sie sich subjektiv in der Pflicht, die Motive ihres Gottes zu vermitteln. (Als Kleriker "muss man eine Meinung haben, die vom Evangelium und der Lehre der Kirche begründet ist.", erklärt Kardinal Reinhard Marx) 
Laut Hillebrand habe noch kein Gott jemals zu zu etwas persönlich Stellung genommen und seine Handlungsweise bzw. den Grund seines Nichthandelns explizit erklärt. Gesehen habe ihn auch noch niemand ...Überlieferungen wie die Bücher der Bibel werden von ihm als "Berichte aus grauer Vorzeit" vollständig ausgeklammert - bedeutet dies nicht ebenfalls, der inhaltlichen Auseinandersetzung auszuweichen? In Bezug auf die unterschiedlichen Erlösungskonzepte der Religionen - Auferstehung im Fleische am jüngsten Tage, Reinkarnation, das Paradies im islamischen Glauben - stellt Hillebrand fest: 
"Ob es wirklich so sein wird, darüber hat noch niemand berichtet, das kann man nur glauben."
Stimmt nur zur Hälfte. Es existieren durchaus Berichte (z.B. über Nahtod-Erlebnisse, die ggf. auf ein Weiterleben nach dem physischen Tod hinweisen) - und nicht alle sind 2000 Jahre alt. Ob man ihnen glaubt, glauben kann ... diese Entscheidung darf und muss jeder für sich selbst treffen. Inwieweit man diesen Entscheidungsprozess eigenständig vollzieht oder in anerzogenen Denk- bzw. Glaubensstrukturen verharrt, ist eine andere Frage - solange eine Kirche hier ein auf absolute Freiwilligkeit gegründetes, nicht manipulatives Vermittlungsangebot macht, kann man ihre Rolle durchaus auch positiv sehen. 

Neben allgemeinen, fast phrasenhaft anmutenden Feststellungen ("Glauben heißt nicht Wissen") befasst sich Uwe Hillebrand auch mit konkreten Glaubensinhalten - auf eine wenig neutrale, aber durchaus interessante Weise. Im Alten Testament stellt er etliche Widersprüche fest, die sicherlich zu hinterfragen sind. 

Solange man die biblische Überlieferung nicht als zweckbestimmtes, in einen historischen Kontext einzuordnendes Gleichnis 
betrachtet, sondern in ihr das buchstabengenau zu befolgende 'Wort Gottes' zu erkennen glaubt, lassen sich diese Widersprüche kaum überwinden. Dies zeigt sich schon an dem sehr unterschiedlich ausgelegten Gebot 'Du sollst nicht töten': Selbst wenn man akzeptierten würde, dass die erlassenen Maßstäbe zwar für menschliches Handeln, nicht aber für Gott selbst gelten würden - selbst vielfacher Genozid von Menschen an Menschen wird vom A.T. unter fragwürdigen Umständen gerechtfertigt. Bekanntermaßen stoßen wir schon am Anfang des A.T. auf ein weiteres Beispiel, das bis heute viele Fragen und Kontroversen auslöst: 
 

Die Erbsünde

Die Erbsünde resultiert nach der ursprünglichen römisch-katholischen Lehre aus dem Sündenfall von Adam und Eva und führte zu ihrer Vertreibung durch Gott aus dem Paradies. Der Ungehorsam des 'ersten Menschenpaares' habe jeden Menschen mit einer ererbten Ursünde belastet.
"Gott ist zwar allgütig, aber auch sehr nachtragend.
Gemeint ist hier der biblische Gott, insbesondere im A.T. Hillebrands Gedankengang ist nachvollziehbar, seine pauschale Schlussfolgerung dagegen nicht: 

Nach Anerkennung der Evolution als Ursache der Entstehung des Menschen bzw. aller Lebensformen habe die Kirche das Paradies neu definieren müssen. Die Geschichte von Adam und Eva werde nun als Gleichnis aufgefasst, wobei Adam für die gesamte Menschheit stehe. Am verbindlichen Charakter der Erbsünde für alle Menschen ändere dies nichts - die sündige Vergangenheit der Menschheit werde weiterhin jedem von Geburt an angelastet.
(Auf die ironischen Randbemerkungen zu 'sündhaften Einzellern' als Vorläufer des Menschen möchte ich aus naheliegenden Gründen nicht eingehen.) Interessant dagegen sind Anmerkungen zur Entwicklung der Erbsünde - diese sei "bei Jesus noch völlig unbekannt" gewesen.  

Es ist vermutlich zutreffend, dass Jesus gänzlich andere Schwerpunkte in seiner Lehre vertrat, als allen Menschen einen unentrinnbaren Schuldkomplex einzureden; dennoch bleibt es eine Tatsache, dass die Erzählung von Adam und Eva aus den Anfängen der hebräischen Tora stammt. Jesus wird sie daher wohl gekannt haben. Augustinus von Hippo (354 – 430) konkretisierte die Vorstellung von der geerbten Sündhaftigkeit, die er zugleich als Ursache für das 'sündige Verhalten' aller Menschen ansah. Doch betrachtete er sexuelle Gefühle wirklich als eine Strafe Gottes für die Sünde von Adam und Eva?

"Augustinus stützte sich in seiner Theorie auf den christlichen Gelehrten Origenes (185 – ca. 254), für den der Sündenfall von Adam und Eva ein sexuelles Vergehen war. Darin sah er die eigentliche Ursache der Erbsünde, die dann auf alle nachfolgenden Menschen übergehen würde. Augustinus betrachtete die sexuellen Gefühle als eine Strafe Gottes für die Sünde von Adam und Eva! 
Die böse Begehrlichkeit belaste seither als Erbsünde alle Menschen, und durch die Lust beim Geschlechtsakt ginge diese Erbsünde auf die gezeugten Kinder über. Hätten Adam und Eva nicht gesündigt, hätte Gott den Menschen einen Geschlechtsakt ohne Lust geschenkt..."
Obwohl sich der Vatikan zur Evolutionstheorie inzwischen bekannt habe, halte er bis heute an der Erbsünde fest. (Na klar, diese Lehre bildet einen Grundpfeiler der manipulativen Lehre, der sündige Mensch könne nicht aus eigener Kraft zu Gott gelangen, sondern sei auf Vermittlung der Kirche sowie deren Rituale wie die Taufe angewiesen). Hier teile ich die Auffassung, das sexualfeindliche Aussagen im Widerspruch zur Evolutionstheorie stehen, wonach Lebewesen nur solche Strategien entwickelten, die für das Überleben der Spezies vorteilhaft waren. Geht man etwa von einer theistischen Evolution aus, unterstellt die sexualitätsbezogene Auslegung der Erbsünde, Gott habe etwas schlechtes, Sündhaftes erschaffen. Viel entscheidender aber ist folgende Feststellung:

Für ein Fehlverhalten, im religiösen Sinne eine Sünde, kann man immer nur persönlich verantwortlich sein. Eine Schuld kann nie übertragen werden, und einem neugeborenen Kind kann niemals etwas angelastet werden, was sich vor seiner Geburt ereignet hat. 

Michelangelo: Der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies 
Wie Hillebrand festhält, stammt die 'Erbsünde' aber nicht von Gott, sondern sie ist unselige Erfindung bzw. Verdrehung der Kirchenvertreter. Damit hat liefert selbst ein Argument, weshalb der Sündenfall im Buch Genesis und andere Berichte der Bibel nicht die Existenz Gottes ad absurdum führen, sondern lediglich die Widersprüchlichkeiten theologischer Erzeugnisse aufzeigen.
Leider unternimmt Hillebrand in vielen Kapiteln eben diesen Versuch, die Unterschiede zwischen einer Göttlichkeit und dem zu verwischen, was die Kirchenlehren aus ihr entwickelt haben. 


Überspitzt formuliert: wäre die Bibel von vorne bis hinten erfunden und erlogen, ließe sich daraus doch kein Beleg für die Nichtexistenz eines Schöpfers konstruieren. Lediglich die Unvollkommenheit unserer Vorstellungen von Gott würde dadurch aufgezeigt.  


Fazit:

ich frage mich, ob Uwe Hillebrand den Titel seines Buches glücklich gewählt hat und nicht bei Teilen seiner Leserschaft falsche Erwartungen weckt:

Das Für und Wider sowie subjektive Gründe für einen Glauben an Gott behandelt er darin nämlich nicht. Sämtliche Argumente zugunsten eines Gottesglaubens werden als "unlogisch" abgelehnt, ohne sie ernsthaft zu erörtern. Glaube, so scheint es, ist für den Autor ein Atavismus, ein Relikt aus vergangenen Zeiten der Unwissenheit und religösen Wahns. So wie ich das sehe, scheint seine Intention allein in der Zusammenstellung wissenschaftlicher und rationaler Argumente gegen Religion zu bestehen. Die mit dem Buchtitel aufgeworfene Frage bleibt dabei komplett unbeantwortet.

Trotzdem: auch wenn die Ausführungen der Textsammlung "Warum glaubst du noch?" eine bisweilen eigenwillige Argumentation aufweisen und gelegentlich ins Polemische abzugleiten drohen, halte ich sie für lesenswert. Wie immer und überall ist eine kritische Distanz angebracht, doch Hillebrands Position provoziert geradezu, sich eigene Gedanken zu den von ihm aufgeworfenen Fragen zu machen.

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